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Heinrich Schwarz * 1903

Weidenstieg 10 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
HEINRICH SCHWARZ
JG. 1903
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET IN 1944
AUSCHWITZ

Heinrich Schwarz, geb. 18.12.1903 in Hamburg, am 10.3.1943 nach Theresienstadt deportiert, am 28.9.1944 nach Auschwitz überstellt, ermordet

Weidenstieg 10

Als das Standesamt Hamburg Flottbek im Dezember 1945 eine Heiratsurkunde auf die Namen Heinrich Schwarz und Ella Nöhren ausstellte, rückwirkend gültig ab 29.11.1944, war Heinrich Schwarz schon seit über einem Jahr in Auschwitz "verschollen", wenn auch noch nicht für tot erklärt. Bis zum einsetzten Datum waren die beiden acht Jahre als Paar verbunden gewesen und hatten einen sechsjährigen gemeinsamen Sohn.

Nachdem am 23.6.1950 ein Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Eheunrechts, das "Gesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter" in Kraft getreten war, beantragte Ella Schwarz, geb. Nöhren, die Anerkennung ihrer freien Ehe auf den 18.12.1938 zurückzudatieren, und dem wurde stattgegeben. Das Paar hatte in der Zeit des Nationalsozialismus nicht heiraten dürfen, denn Heinrich Schwarz wurde "rassisch" verfolgt. Obwohl durch die Taufe Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche, galt er aufgrund der nationalsozialistischen Rassegesetze als Jude ("Geltungsjude"), dessen Verbindung mit einer "Nichtjüdin" als "Rassenschande" geahndet wurde.

Über Kindheit und Jugend von Heinrich Leopold Schwarz und seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Helene Minna (geb. 11.8.1905) ist wenig bekannt. Der Vater, der Schlachtermeister Wilhelm August Schwarz, geboren am 7.5.1873 in Bremerhaven-Wulsdorf (verstorben im Januar 1942), war getauft und gehörte der evangelisch-lutherischen Kirche an. 1898 wählte er als seinen Dauerwohnsitz Hamburg und heiratete dort am 4.5.1899 Eva gen. Ida Simonsohn, geb. am 28.3.1872 in Osterholz-Scharmbek, "mosaischer" (=jüdischer) Religionszugehörigkeit. Der Vater von Eva Ida Simonsohn war auch Schlachter gewesen. Er verstarb 1879 in Bremen.
Von Heinrich Schwarz‘ vier Großeltern waren drei jüdischer Abstammung, denn auch die Familie des Vaters Wilhelm Schwarz war, obwohl getauft, zur Hälfte jüdischer Herkunft. Heinrichs Großmutter väterlicherseits nämlich, Minna Schwarz (geb. in Eidewarden und 1919 im Alter von 66 Jahren gestorben), trug den Mädchennamen Rosenberg und war Jüdin. Ihre Eltern Marcus Rosenberg (1815 - 1908) und Rosalie Rosenberg, geb. Levy (1824 - 1916), sind auf dem jüdischen Friedhof Bremerhaven-Lehe begraben.

Am Steindamm 142 baute Heinrichs Vater Willy Schwarz, wie er sich nun nannte, Anfang des 20. Jahrhunderts eine Schlachterei und Wurstfabrik mit einem angeschlossenen Verkaufsladen auf. Ihm gehörte das Gebäude Steindamm 142 und dort wohnte er auch. Der Ertrag des Geschäfts von 5500 Mark zu versteuerndes Einkommen ermöglichte es dem durch Geburt preußischen Staatsangehörigen, am 23. Dezember 1909 ein "Gesuch auf Aufnahme in den Hamburgischen Staatsverband" zu stellen. Da seinem Antrag alle notwendigen Papiere beilagen und die Polizeibehörde nichts einzuwenden hatte, händigte ihm die "Aufsichts-Behörde für die Standesämter" bereits am 14. Januar 1910 die Aufnahmeurkunde aus.

Heinrich Schwarz folgte beruflich seinem Vater, wurde ebenfalls Schlachtermeister und arbeitete in dem väterlichen Betrieb mit. Hinzu kam ein zweites Geschäft in der Silbersackstraße 21 auf St. Pauli. Wirtschaftlich ging es der Familie sehr gut. Aus dieser Zeit datierte eine Freundschaft mit den Brüdern Otto und Heinrich Spethmann, deren Vater einen Fischverarbeitungsbetrieb besaß.
Heinrichs Mutter Eva Ida Schwarz gehörte seit mindestens 1930 als wahlberechtigtes Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburgs (=Jüdische Gemeinde) an, wie das Wählerverzeichnis ausweist. (Dem gegenüber nannte ihre Kultussteuerkarteikarte den 9. Juni 1936 als Eintrittsdatum.) Die Kinder Heinrich und Helene jedoch waren getauft.

Im Laufe des Jahres 1933 begannen die geschäftlichen Schwierigkeiten von Willy und Heinrich Schwarz. Sie erhielten kein Schlachtgut mehr zugeteilt, was den Ein- und Verkauf so beeinträchtigte, dass sie das Geschäft am Steindamm aufgeben mussten. In St. Georg war bekannt, dass es sich um eine jüdische Schlachterei handelte, und gleich 1933 kam es zu Ausschreitungen, Scheiben wurden mit antijüdischen Parolen beschmiert. Willy Schwarz verkaufte das Gebäude 1935 zusammen mit dem Grundstück. Im Adressbuch erscheint nun als Eigentümer des Hauses der Hamburger Fleischgroßhandel Hinz, Schulze & Co.

Das Geschäft in der Silbersackstraße 21 konnten Vater und Sohn Schwarz noch eine Weile fortführen. 1934 hatte es Heinrich Schwarz als selbstständiger Schlachtermeister übernommen. Vom 4.4.1935 bis zum 7.7.1938 wurde er in der Handwerksrolle geführt, dann gab er das Geschäft an seinen Vater zurück. Wilhelm Schwarz verkaufte es später gezwungenermaßen; es überdauerte den Krieg.

1936 zog Familie Schwarz nach Eimsbüttel in eine 3 ½-Zimmer-Wohnung im Weidenstieg 10. Heinrich Spethmann stellte Heinrich Schwarz 1938 in seiner Firma "Fischindustrie Hansa, Heinrich Rabe", später umbenannt in "Heinrich Spethmann sen.", Heidenkampsweg 86-92, als Mariniermeister ein, obwohl dieser als "Halbjude" galt, und unterstützte darüber hinaus Familie Schwarz nach Kräften.

Nach dem Tod von Wilhelm Schwarz im Januar 1942 wurde seine Witwe aus der Wohnung ausgewiesen, da ihr als Jüdin keine Wohnung mehr zustand. Sie konnte jedoch wohnen bleiben, da ihr "halbjüdischer" Sohn als Mieter eintrat. Im Juli 1942 erhielt sie dort den Aufruf zur Abreise in das Altersghetto Theresienstadt und wurde am 19. Juli 1942 mit dem zweiten Großtransport dorthin deportiert.

Das nun leer stehende Zimmer vermietete Heinrich Schwarz an den Kraftfahrer der Firma Spethmann, Heinrich Schwien, der ausgebombt war. In der Wohnung Weidenstieg 10 I lebte Heinrich Schwarz etwa ein halbes Jahr mit seiner Verlobten und dem gemeinsamen Sohn. Am 17. November 1942 erhielt er ein Schreiben von der Gestapo, dass er, "Geltungsjude" sei und als solcher den Stern zu tragen habe. Er habe sich am folgenden Tage in der Beneckestraße 2 einzufinden und bis dahin die Wohnung zu verlassen. Er nahm einigen Hausrat mit in sein Zimmer in der Beneckestraße, das er mit einem ihm fremden Mann teilen sollte. Heinrich Schwien erledigte mit einem firmeneigenen Lkw den Umzug und blieb mit seiner Familie wohnen, bis seine durch Bomben beschädigte Wohnung wieder hergestellt war. Tatsächlich aber hielt sich Heinrich Schwarz bei den Verwandten Ella Nöhrens auf, zu denen sie mit dem Sohn gezogen war. In der Beneckestraße 2 blieb er lediglich polizeilich gemeldet.

Der freundschaftliche Umgang der Brüder Spethmann mit Heinrich Schwarz blieb nicht ohne Folgen für sie. Otto Spethmann wurde von Kriminalkommissar Mecklenburg zur Gestapo in der Rothenbaumchaussee vorgeladen und bedroht, dass, wenn er sich weiterhin für Heinrich Schwarz einsetze, er damit rechnen müsse, ebenfalls "nach dem Osten zu kommen". Trotz mancher Anfeindungen beschäftigte Heinrich Spethmann seinen Freund bis zum März 1943 weiter. Als Heinrich Schwarz’ Deportation unausweichlich wurde, setzte er sich im Bewusstsein seiner eigenen Gefährdung bei der Gestapo und der DAF (Deutsche Arbeitsfront) dafür ein, dass Heinrich Schwarz zu seiner Mutter nach Theresienstadt "ausgesiedelt" wurde.

Am 10. März 1943 wurde Heinrich Schwarz mit einem kleinen Transport von 50 Personen nach Theresienstadt deportiert und von dort am 28. September 1944 nach Auschwitz überstellt, wo sich seine Lebensspur verliert.

Seine Mutter Eva Ida Schwarz hingegen erlebte die Befreiung des Gettos Theresienstadt und kehrte nach Hamburg zurück.

Heinrichs Schwester Helene Schwarz hatte den nichtjüdischen Hermann Müller geheiratet und überlebte die NS-Verfolgung in der "Mischehe". Eva Ida Schwarz lebte nach ihrer Rückkehr aus Theresienstadt im Haushalt der Tochter in der Hochallee, sie starb am 25.8.1949.

Nach Familie Schwiens Auszug gab es einen Leerstand in der Wohnung Weidenallee 10, bis der Pg. (Parteigenosse der NSDAP) Paul Jürgens, DAF- Zellenwalter (Zellenwalter war ein politisches Amt. Der Zellenwalter war dem Blockleiter oder Blockwart übergeordnet), nach seiner Ausbombung am 27. Juli 1943 eigenmächtig in die Wohnung einzog. Er eröffnete mit zwei Kollegen im Weidenstieg 10 einen Friseurbetrieb, den er zwar anmeldete, aber ohne Genehmigung betrieb, da die nötige Umwidmung des Wohnraums zur gewerblichen Nutzung nicht erfolgte. Paul Jürgens verteidigte seine Wohnung 1946 gegen den Anspruch von Heinrich Schwarz’ Witwe, dorthin zurückziehen zu können, indem er eine Mitgliedschaft von Heinrich Schwarz in der NSDAP und der SA von 1932 bis 1935 ins Feld führte und dafür Zeugen aus seinem Umfeld benannte. Das Amt für Wiedergutmachung folgte deren Eidesstattlichen Erklärungen. Bis Anfragen an das Berlin Document Center über Heinrich Schwarz’ Parteizugehörigkeit im Jahre 1954 negativ beschieden wurden, hatte sich die Wohnungsfrage erledigt: Paul Jürgens war 1947 gestorben, und weil seine Tochter heiratete, durfte sie in der Wohnung bleiben und mit ihr das Friseurgeschäft.

Ella Schwarz und ihr Sohn waren in einer schlecht isolierten kleinen Dachgeschosswohnung in Bahrenfeld untergekommen. 1968 bestätigte das Berlin Document Center, dass Heinrich Schwarz weder der NSDAP noch einer ihrer Gliederungen angehört hatte.

Stand: Februar 2020
© Susanne Lohmeyer

StaH 552-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 2 Deportationslisten Band 5; StaH 332-4, 571; StaH 351-11, 1966; StaH 351-11, 2145; StaH 351-11, 40200; StaH 351-11, 27437; Hamburger Adressbücher 1900 ff.; StaH 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht B III, 102983; http://db.yadvashem.org/deportation/transportDetails.html?language=de&itemId=509206; Beate Meyer, "Jüdische Mischlinge", Hamburg 1998, S. 363.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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