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Bereits verlegte Stolpersteine



Dr. Clara Poll-Cords * 1884

Binderstraße 24 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
DR. CLARA
POLL-CORDS
JG. 1884
FLUCHT 1939 SCHWEDEN
FLUCHT IN DEN TOD
5. AUGUST 1939
LUND

Weitere Stolpersteine in Binderstraße 24:
Dr. Heinrich Poll

Dr. med. Clara Poll-Cords, geb. Cords, geb. am 13.8.1884 in Olszewice, Hohensalza, Provinz Posen, Flucht in den Tod 5.8.1939 in Lund, Schweden

Binderstraße 24

Am 10. August 1939 notierte der Hamburger Kaufmann und Bankier Cornelius von Berenberg-Gossler in seinem Tagebuch: "Wir sind sehr betrübt, weil heute morgen eine Todesanzeige von Frau Professor Poll-Cords kam (die sie selbst verfasst hatte), die sich am Geburtstag ihres Mannes in Lund das Leben genommen hat. Wie mir Prof. Degkwitz, einer ihrer besten Freunde, telephonisch sagte, hat sie vorher über alle ihre Sachen Bestimmungen getroffen. Sie hatte durch die Judenverfolgungen zu sehr gelitten, deren Opfer, eines von unzähligen, auch ihr Mann gewesen war."

Clara Maria Katharina Poll-Cords war das jüngste von fünf Kindern des Rittergutsbesitzers Carl Anton Cords und der Clara Maria Cords, geb. Nehring, und von Beruf Frauenärztin. Einen Professorentitel besaß sie nicht, sondern wurde, wie zu der Zeit üblich, nach ihrem Ehemann, "Frau Professor" genannt. Eine ihrer beiden Schwestern war ebenfalls Ärztin.

Ihren Werdegang bis zur Promotion erfahren wir aus dem Lebenslauf, der in ihrer Doktorarbeit abgedruckt ist: "Von 1891 bis 1900 besuchte ich in Berlin die Proxsche höhere Mädchenschule und bereitete mich dann auf den Gymnasialkursen für Frauen von Helene Lange zum Abiturium vor, das ich Ostern 1906 am Charlottenburger Augusta-Gymnasium bestand."

Sie nahm, 22 Jahre alt, ein Medizinstudium auf und absolvierte das erste Semester in Freiburg im Breisgau. Dort konnten sich seit dem Wintersemester 1899 junge Frauen an der Medizinischen Fakultät der Universität einschreiben. Sie waren die ersten regulär immatrikulierten Studentinnen im Deutschen Reich und später die ersten Ärztinnen mit einer deutschen Approbation. Die drei folgenden Semester verbrachte sie in Berlin und "arbeitete bei den Herren Professoren Engler [...}, Poll und [Hans] Virchow." Wahrscheinlich lernte sie so bereits ihren späteren Ehemann Heinrich Poll kennen. 1908 kehrte sie an die Universität Freiburg zurück.

Im Sommersemester 1911 legte Clara Cords in Berlin das Staatsexamen ab. Ab November 1912 war sie als Volontärin an der Universitäts-Frauenklinik tätig. In diesem Jahr wurde ihr auch die Approbation erteilt, und 1913 promovierte sie an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Von 1915 bis 1917 arbeitete sie am Johanniter-Krankenhaus Bonn, anschließend als niedergelassene Ärztin in Berlin.

Im Alter von 40 Jahren heiratete sie im Oktober 1924 in Berlin den sieben Jahre älteren Professor Dr. Heinrich William Poll, geboren in Berlin am 5. August 1877 als Sohn jüdischer Eltern. Poll folgte in demselben Jahr einem Ruf der Universität Hamburg als Professor für Anatomie und Leiter des Anatomischen Instituts. Er war Eugeniker, d.h. forschte auf dem Gebiet der Erbgesundheitslehre.

Clara eröffnete in Hamburg eine gynäkologische Praxis, zunächst in der Binderstraße 24, wo das Ehepaar auch wohnte. Sie bot auch Sprechstunden in der Esplanade 43 an, ab 1928 war dann zusätzlich die Praxisadresse Neuerwall 69 verzeichnet.

Noch im Juli 1933 veranstaltete Heinrich Poll im Auftrag des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht eine erbbiologisch-eugenische Arbeitswoche in Hamburg, kurz danach musste er seinen Lehrstuhl abgeben. Ein Vertreter der "Deutschen Dozentenschaft", einer NS-Organisation, hatte ihn als "Nichtarier" angezeigt. Er wurde von der Universität Hamburg entlassen und zum 31. Dezember 1933 zwangsemeritiert.

Das Ehepaar zog nach Berlin zurück, wo Clara zunächst in der Kaiserallee 14, ab 1937 dann in der gemeinsamen Wohnung in der Meierottostraße 5 wieder eine Praxis führte.

Heinrich Poll erhielt ein Ruhegehalt, das auf das Konto seiner Frau überwiesen wurde. Seine Versuche, eine neue Stelle im Ausland zu finden, blieben erfolglos.

Im Frühjahr 1939 bat "Heinrich Israel Poll, Professor i.R.", in einem Schreiben an die Kultur- und Schulbehörde, Abteilung Hochschulwesen, Hamburg, um die Genehmigung, seinen Wohnsitz nach England oder Schweden verlegen zu dürfen. "Eine Arbeitserlaubnis habe ich nicht. Ich werde versuchen, mich mit freier wissenschaftlicher Arbeit auf dem Gebiete der Anatomie und Biologie zu beschäftigen. Eine Aussicht auf eine besoldete Tätigkeit habe ich nicht. Ich bin lediglich von Unterstützungen abhängig, die mir während meines Aufenthalts [...] versprochen sind. Da meine Frau […] arisch, in Berlin bleibt, und ihre Einkünfte nicht zum Unterhalt ausreichen, bin ich für diesen auf die Weiterzahlung meiner inländischen Versorgung […] angewiesen und bitte daher, die Auszahlung meines Ruhegehaltes an meine Frau zu genehmigen."

Im Mai 1939 wurde ihm die Erlaubnis erteilt, für zwei Jahre seinen Wohnsitz nach Schweden zu verlegen, unter der Voraussetzung "daß Sie in Schweden eine wissenschaftliche Lehrtätigkeit nicht ausüben […]. Die Versorgungsbezüge werden wie bisher dem Konto Ihrer Ehefrau überwiesen." Heinrich Poll hatte die Absicht, an der medizinischen Fakultät der Universität Lund zu forschen.
Nach den Angaben im Abschiedsbrief seiner Ehefrau erhielt er ein Stipendium.

Schon kurz nach seinem Umzug ins südschwedische Lund, am 12. Juni 1939, erlag Heinrich Poll einem Herzanfall. Clara reiste sofort an. Nach seiner Beerdigung am 20. Juni kehrte sie nach Berlin zurück. Im Juli machte sie einen Kurzbesuch am Grab ihres Mannes. Eine schwedische Bekannte, die seit 1924 mit dem Ehepaar befreundet war, sagte später aus, Clara wäre sehr mitgenommen gewesen vom Tod ihres Mannes. Sie habe gesagt, das Leben sei vorbei und es gäbe keinen Grund für sie weiter zu leben.

Am 1. August traf Clara abermals in Lund ein und stieg wie schon zuvor im Grand Hotel ab. Den Geburtstag ihres Mannes am 5. August wollte sie allein begehen, in der darauffolgenden Nacht nahm sie sich das Leben. In ihrem Abschiedsbrief bat sie darum, verbrannt zu werden und bei der Urne ihres Ehemanns beigesetzt zu werden.

Die Inschrift des Stolpersteins, der an Clara Poll-Cords erinnert, ist nicht ganz korrekt: Nach Schweden floh - wie in der Biographie geschildert - ihr Ehemann, nicht sie. Aber sie nahm sich dort das Leben.

Das Grab liegt auf dem Nordfriedhof Lund und existiert noch. Eine kleine Stiftung an der medizinischen Fakultät der Universität Lund, die in Gedenken an Heinrich Poll von seinem langjährigen Freund Professor Abraham Flexner (Universität Princeton) und einem Professor Strauss aus Jerusalem ins Leben gerufen wurde, trägt die Unterhaltskosten für das Grab und zahlt Stipendien für genetische Forschung aus.

Stand: September 2023
© Sabine Brunotte

Quellen: StaH 113-5_BV 106; Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, Band 2, München 2009; Promotionsschrift Clara Cords, Injektionen von Thyreoidea-Extrakt bei graviden Kaninchen, Inaugural Dissertation zur Erlangung der medizinischen Doktorwürde an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin von Clara Cords aus Olczewice (Posen), Tag der Promotion 31. Oktober 1913, Berlin NW; James Braund, Douglas G. Sutton, The Case of Heinrich Wilhelm Poll (1877-1939): A German-Jewish Geneticist, Eugenicist, Twin Researcher, and Victim of the Nazis in "Journal of the History of Biology (2008) 41:1-35 DOI 10.1007/s10739-007-9122-z; h HYPERLINK "https://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00077", letzter Zugriff 16.8.2023; Geburt Heinrich William Poll, Eintrag Standesamt Berlin XI, Urkunde Nr. 2330, eingesehen unter www.ancestryinstitution.de/discoveryui-content/view/2485831:5753, Zugriff 5.9.2023; Heirat Clara Cords und Heinrich Poll, Eintrag Standesamt Berlin XiiA, Urkunde Nr. 383, eingesehen unter www.ancestryinstitution.de/discoveryui-content/view/189795094, Zugriff 5.9.2023; Schriftliche Auskunft Universität Lund, Stiftungsabteilung, E-Mail vom 20.2.2023; Schriftliche Auskunft Riksarkivet i Lund, RA-FF 2023/024254, E-Mail vom 15.5.2023, Dank an Ingela Hellerstedt und Steffi Rückner für Übersetzung und Transkription des Polizeiprotokolls; https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Poll_(Mediziner) Zugriff 16.2.2023; https://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start, Adressbücher Hamburg 1925-1933, letzter Zugriff 16.8.2023; https://www.med.uni-freiburg.de/de/fakultaet/geschichte-der-fakultaet Zugriff 17.02.2023.

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