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Bereits verlegte Stolpersteine



Dr. Ferdinand Jacquet * 1881

Parkallee 82 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
DR. FERDINAND
JACQUET
JG. 1881
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
TOT 12.1.1940

Weitere Stolpersteine in Parkallee 82:
Irma Jacquet, Anna Salomon, Anna Stiel, Philipp Marx Stiel

Irma Jacquet, geb. Goldschmidt, geb. am 10.8.1884, Flucht in den Tod am 18.11.1941
Dr. Ferdinand Otto Jacquet, geb. am 14.2.1881, gestorben am 12.1.1940

Parkallee 82, Harvestehude

"Ich scheide freiwillig aus dem Leben", schrieb Irma Jacquet, kurz bevor sie sich eine Morphiumspritze setzte.

Irma Goldschmidt kam als fünftes Kind der jüdischen Eheleute Abraham Baruch Goldschmidt und seiner Ehefrau Eugenie Isabella Emmalina Hirtz (auch Hert/ Hirt genannt) am 10.8.1884 in Hamburg in der Bornstraße 3 zur Welt. Eine Schwester war 1878 tot geboren worden, eine andere, Sophie, geb. am 9.9.1888, verstarb am 9. Februar 1889 in Hamburg. Irma wuchs mit ihren Schwestern Alide, Else und ihrem Bruder Joseph Adolph auf.

Ihr Vater Abraham Baruch Goldschmidt arbeitete als Wollwarenhändler in Hamburg am Rödingsmarkt 60. Ihre Mutter Eugenie verstarb am 25. November 1890 in der Grindelallee 44, als Irma gerade 6 Jahre alt war, und wurde auf dem Friedhof Ilandkoppel in einem Einzelgrab beigesetzt.

Abraham Baruch Goldschmidt heiratete ein weiteres Mal am 8. Oktober 1895 in Hamburg Recha Goldschmidt, geb. Bendix. Er verstarb am 25. Juli 1904 in der Klosterallee 22, wo er auch geboren worden war. Er wurde auf dem Friedhof Ilandkoppel beigesetzt, wo später auch Recha Goldschmidt beerdigt wurde.

Wir wissen fast nichts über Irmas Kindheit und ihre Schulbildung. Aber bekannt ist, dass sie im Wollwarengeschäft ihrer Eltern mitarbeitete. Das Geschäft gehörte ihrer Familie bereits in der zweiten Generation. Nach dem Tod von Abraham Baruch Goldschmidt übernahm es seine Witwe Recha ab 25. Juli 1904, sie wurde im Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragen. Irmas Bruder führte es nach dem Tod seiner Stiefmutter am 26. April 1921 weiter. Irma war am Wollwarengeschäft mit 100.000 RM beteiligt, ihre Schwester Else, verh. Herz hielt einen Anteil von 50.000 RM.

Irma Goldschmidt wohnte 1918 in Hamburg im Frauenthal 27 in Harvestehude und anschließend im Woldsenweg 11 in Eppendorf. Sie zog anschließend in die Andreasstraße 2 nach Winterhude und wohnte dort im 2. Stock. Am 26. Juni 1924 brach sie zu einer Reise mit dem Dampfschiff "Goorkha" nach London auf, um für einige Zeit ihre dort lebende Schwester Alide und deren Mann Israel Gollancz zu besuchen.

Ferdinand Otto Jacquet verliebte sich in Irma, die eine hübsche Frau mit dunkelbraunen Haaren und braunen Augen gewesen sein soll. Er lebte seit 15. November 1922 in Hamburg in der Museumsstraße 31 in Altona bei Falk im ersten Stock. Das Paar heiratete am 12. September 1924 im Standesamt 3 in Hamburg.

Ferdinand Otto Jacquet war in Frankfurt am Main am 14. Februar 1881 als erstes von vier Kindern der nichtjüdischen Eheleute Carl Jacquet und Johanna Friederike Martha, geb. Meyer, geboren worden. Sein Vater Carl Jacquet war Möbelfabrikant und Kaufmann in Frankfurt am Main in der Kaiserstraße 33. Ferdinand Otto Jacquet studierte, verfasste eine juristische Doktorarbeit und erlangte die Zulassung als Rechtsanwalt. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat.
Laut Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde Hamburgs arbeitete er ab 1922 als Kaufmann im Wollwarengeschäft seines Schwagers Joseph Adolph Goldschmidt am Rödingsmarkt 60 mit. Mit dessen Tod am 4. Januar 1933 wurde das Geschäft am Rödingsmarkt aufgegeben. Er wurde am 8. Januar 1933 beigesetzt.

Die Ehe von Irma und Ferdinand Otto Jacquet blieb kinderlos. Unter dem Schulleiter Albert Jonas unterrichtete Irma die Mädchen der Höheren Töchterschule von 1924 – 1926 in den Fächern der Haushaltsführung in der Carolinenstraße 35. In diesem Fach wurde Nähen, Kochen und Ernährungslehre unterrichtet. Irmas Jahresgehalt für das Jahr 1924 betrug 553,56 RM. Aus der Töchterschule des Kaiserreiches, die armen jüdischen Mädchen eine gute Schulbildung vermitteln sollte, wurde eine Volks- und Realschule, in der Mädchen aus allen jüdischen Bevölkerungsschichten gemeinsam lernen konnten.

Von 1926 bis 1931 wohnten die Eheleute in der Straße Beim Andreasbrunnen 2 in Eppendorf, anschließend zogen sie in die Eppendorfer Landstraße 36, und von 1932 bis 1938 in eine Wohnung in der Thielengasse 2 in Winterhude.

Das Ehepaar wohnte ab 1938 in der Haynstraße 10. Ferdinand Otto Jacquet verstarb am 12. Januar 1940 im Universitätskrankenhaus Eppendorf. Er hatte unter starken Herzproblemen und Bluthochdruck gelitten, was zu seinem Tod geführt hatte. Wo er beigesetzt wurde, ist nicht bekannt.

Irma löste innerhalb der nächsten Monate ihren Haushalt in der Haynstraße auf und zog ab 1. Juli 1940 zur Untermiete bei Anna Salomon in der Parkallee 82 ein. Mit Anna Salomon, geb. Wolff, geb. am 31. 1.1876 in Löbau/Westpreußen verband sie bereits seit vielen Jahren eine enge Freundschaft. Anna hatte eine 3 ½ Zimmer Wohnung gemietet, Irma bezog eines der Zimmer. Sie seien – so die nichtjüdische Freundin Gerda Wacker nach dem Krieg – glücklich gewesen, dass damit ihre Einsamkeit beendet war. Bridgeabende waren ein gemeinsames Hobby der beiden Frauen. Die Freundin Gerda Wacker habe sie in jeder Beziehung unterstützt, auch finanziell, aber auch geholfen, wenn Haussuchungen von der Gestapo angestanden hätten. Gerda Wacker, die in der Isestraße wohnte, besaß seit 1940 einen Telefonanschluss, auch Anna Salomon besaß ein Telefon seit 1930. So konnten sich die Frauen telefonisch verständigen.

Irma sollte am 18. November 1941 nach Minsk deportiert werden. Sowohl sie als auch Anna sahen keinen Sinn mehr in ihrem Leben. So schrieb Irma Jacquet den eingangs erwähnten Satz. Beide setzten sich am 17. November 1941 in ihrer Wohnung Parkallee 82 eine Morphiumspritze. Anna Salomon verstarb am gleichen Tag. Irma Jacquet wurde noch ins Jüdische Krankenhaus in der Johnsallee eingeliefert und verschied am darauffolgenden Tag.

An Irma Jacquet, die am 12.12.1941 auf dem jüdischen Friedhof Ilandkoppel im Grab M2 117 neben ihrem Bruder Joseph Adolph in einer Urne beigesetzt wurde, erinnert ein Stolperstein in der Parkallee 82. Um ihren verstorbenen Ehemann nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wurde für ihn ebenfalls hier ein Stolperstein verlegt.
Irma Jacquets Nichte erinnert in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit einem Gedenkblatt an sie.
An Anna Salomon erinnert ebenfalls ein Stolperstein in der Parkallee 83.

Das Schicksal von Irmas Geschwistern:
Irmas älteste Schwester Alide hatte in den Sommermonaten des Jahres 1910 in England Israel Gollancz geheiratet. Das Paar lebte in Paddington/ Großbritannien. Alide Gollancz starb am 19. Juni 1965 in England.

Irmas Bruder Joseph Adolph hatte am 28. August 1919 in Hamburg Alice Johanna Juliette Gans geheiratet. Er wurde am 3. Januar 1933 vormittags in seiner Wohnung tot aufgefunden. Seine Ehefrau Alice Johanna Juliette heiratete am 15. Juni 1937 in Hamburg Alfred Burgheim. Das Ehepaar flüchtete mit den beiden Kindern Adolph Benat (geb. 9.12.1920) und Lotte (geb. 14.5.1924) aus der Ehe mit Joseph Adolph Goldschmidt 1939 in die USA.

Die Schwester Else (geb. 12.11.1882) hatte an der Universität Kiel Germanistik und Philosophie studiert. Sie heiratete am 14. Dezember 1910 in Hamburg den bekannten Sozialdemokraten und jüdischen Rechtsanwalt Carl Herz, das Ehepaar bekam drei Kinder. Carl Herz wurde als Bezirksbürgermeister von Berlin-Kreuzberg 1933 aus dem Amt gejagt. Die Familie emigrierte 1939 nach London.

Stand: Juni 2020
© Bärbel Klein

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 213-13_7867; 331-5_3 Akte 1853/1941; 331-5_3 Akte 1812/1941; 332-5_552/1881; 332-5_553/1881; 332-5_82/1878; 332-5_354/1879; 332-5_4202/1882; 332-5_3162/1884; 332-5_176/1887; 332-5_177/1887;332-5_389/1941; 442-5_754/1890; 332-5_1869/1904; 332-5_4/1933; 332-5_94/1940; 332-5_390/1941; 332-5_4598/1888; 332-5_187/1889; 332-5_403/1895;332-5_1228/1892; 332-5_168/1921; 741-4_K3598; 741-4_K4598; 741-4_K4459; 741-4_K6140; Adressbuch Frankfurt am Main von 1897; HStaW 474/3/672 und 474/3/682; 314-15_F 238; 314-15_R 1939/2121; 351-11_14133; 213-13_11362; 351-11_46828;
Reisepassunterlagen 741-4_K3598; Jüdische Gemeinde 741-4_Sa1088; Hamburgisches Lehrerverzeichnis Signatur A576/0001 / 1920-1933 Einsicht 5.11.2019; Ursula Randt, Carolinenstraße 35. Geschichte der Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg 1884-1942; Hamburg 1996, S. 48; Yad Vashem, Central Database of Shoas victim’s Names.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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