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Czilli Wallschütz (geborene Reichenberger) * 1875

Raboisen 83 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
CZILLI WALLSCHÜTZ
GEB. REICHENBERGER
JG. 1875
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Czilli Wallschütz, geb. Reichberger, geb. am 29.3.1875 in Kaschau/Ungarn (heute Slowakei), ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Raboisen 83

Zur Zeit von Czilli Reichbergers Geburt am 29. März 1875 gehörte Kaschau zum Königreich Ungarn innerhalb der k. u. k. Monarchie, heute Slowakei (ungarisch: Kassa, slowakisch: Kosice). Juden durften sich in Kaschau seit 1840 niederlassen. Dieser Glaubensgemeinschaft gehörten Czillis Eltern, der Kaufmann Hermann Reichberger und dessen Ehefrau Fanny, geborene Stern, an.

Wir wissen nicht, wann Czilli Wallschütz, geborene Reichberger, nach Berlin einwanderte. Möglicherweise hing die Übersiedlung mit ihrer Schwangerschaft und der vorehelichen Geburt ihres Sohnes Hans Reichberger zusammen, von dem später ihr ehelicher Sohn Carl Hermann Wilhelm berichtete, er sei 1926 oder 1927 nach Nordamerika ausgewandert. Am 24. Dezember 1890 heiratete Czilli den evangelischen Mechaniker Karl Friedrich Wilhelm Wallschütz. Ihr Vater war zu dieser Zeit bereits verstorben, ihre Mutter lebte in Budapest. Das Ehepaar Wallschütz bekam in Berlin seine beiden Kinder, Carl Hermann Wilhelm, geboren am 3. März 1899, und Auguste Ida Liesbeth, geboren am 18. Juni 1903. Aus den Geburtsregistereinträgen ist nicht zu ersehen, dass Czilli Wallschütz konvertierte.

Familie Wallschütz ließ sich nach der Jahrhundertwende in Hamburg nieder. Sie lebte in der Hansdorfer Straße in Barmbek-Süd. Ihr Sohn berichtete im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens: "Meine Eltern lebten bei der Machtergreifung durch die NSDAP getrennt, und zwar meine Mutter auf Zimmer in Barmbek und mein Vater auf Zimmer in der Gerhofstrasse." Nach der Trennung von ihrem Ehemann hatte Czilli Wallschütz zur Jüdischen Gemeinde gefunden. Auf der Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde ist Czilli Wallschütz ohne Ehemann aufgeführt mit den Wohnadressen Raboisen 83 in Hamburg-Altstadt und Gerstenkamp 9 in Barmbek-Süd. 1934 zahlte sie erstmals Kultussteuer. Sie arbeitete nun als Tagfrau (Haushaltshilfe). Seit Sommer 1935 lebte sie im Versorgungsheim Oberaltenallee. Ihr Sohn begründete dies damit, dass seine Mutter zwar kränklich, aber "geistig frisch" gewesen sei. Nach kurzer Zeit kam sie in das Versorgungsheim Farmsen und blieb dort bis zum September 1940. Carl Hermann Wilhelm Wallschütz erlebte seine Mutter bei seinen Besuchen in Farmsen als "geistig klar".

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten dort eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den bereits länger in Langenhorn lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 in einem Transport von insgesamt 136 Menschen nach Brandenburg an der Havel gebracht. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Czilli Wallschütz traf am 18. September 1940 in Langenhorn ein. Über einen Besuch in Langenhorn berichtete ihr Sohn: "Meine Mutter war geistig gesund. Es war nur ein Vorwand, weshalb man sie nach Langenhorn gebracht hatte."

Am 23. September 1940 wurde Czilli Wallschütz mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Czilli Wallschütz Tod wurde von einem angeblichen Standesamt Chelm, Post Lublin, unter der Nummer 334/1941 beurkundet. Danach soll sie am 30. Januar 1941 an einem Herzschlag gestorben sein. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Karl Hermann Wilhelm Wallschütz erhielt mit einem fingierten Anschreiben der "Irrenanstalt Chelm, Post Lublin" die falsche Sterbeurkunde seiner Mutter. Die falsche Sterbeurkunde für Czilli Wallschütz ist eine von nur wenigen noch verfügbaren. Sie ist abgebildet in dem Beitrag von Georg Lilienthal, Der NS-Anstaltsmord an jüdischen Patientinnen und Patienten, in diesem Band. Nur die in vielen Fällen erhaltenen Beischreibungen auf den Geburtsregistereinträgen geben noch Zeugnis von den falschen Sterbe- und Beurkundungsdaten und das vorgebliche Geschehen. Oft finden sich auch diese Einträge nicht.

Czilli Wallschütz’ Ehemann, Karl Friedrich Wilhelm Wallschütz, starb am 28. Februar 1937 in Hamburg.

Das Schicksal von Auguste Ida Liesbeth Wallschütz, Czillis Tochter, kennen wir nicht.

Der Postfacharbeiter Carl Hermann Wilhelm Wallschütz, Czillis Sohn, war wie seine Schwester christlich getauft und konfirmiert worden. Die Reichspost entließ ihn dennoch am 9. Oktober 1933 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Ab 1935 musste Carl Hermann Wilhelm Wallschütz zwangsweise sogenannte Unterstützungsarbeit in einem Heim in Nordholz und dann in Hamburg-Waltershof verrichten. In einer aus jüdischen Männern gebildeten Kolonne leistete er schwerste Erdarbeiten auf einem Schlickfeld, auf dem Sport- und Spielplätze für eine Kindertageskolonie und ein Kleingartengelände errichtet werden sollten. Weitere Stationen erzwungener "Unterstützungsarbeit" waren die Horner Rennbahn, Tiefstack und Buxtehude, wo er bei Kanalarbeiten eingesetzt war. Nach dem Kriege stellte die Post Carl Hermann Wilhelm Wallschütz wieder ein. Er starb am 20. September 1960 in Hamburg.


Stand: November 2018
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 1064 Sterberegister Nr. 447/1937 Karl Friedrich Wilhelm Wallschütz, 1383 Sterberegister Nr. 466/1960 Carl Hermann Wilhelm Wallschütz; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 21712 Carl Wilhelm Wallschütz; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; Landesarchiv Berlin PRep 501 Nr. 119 Geburtsregister Nr. 594/1899 Carl Wilhelm Wallschütz, PRep 501 Nr. 1854 Geburtsregister Nr. 1433/1903 Auguste Ida Liesbeth Wallschütz, Heiratsregister Nr. 1367/1898 Czilli Reichberger/Karl Friedrich Wilhelm Wallschütz; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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