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Bereits verlegte Stolpersteine



Ernst Meinhardt * 1886

Binderstraße 18 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ERNST
MEINHARDT
JG. 1886
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
MINSK

Weitere Stolpersteine in Binderstraße 18:
Jeanette Meinhardt

Ernst Meinhardt, geb. 2.12.1886 in Schwedt/ Oder, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Jeanette Meinhardt, geb. Katz, geb. 12.4.1893 in Janowitz/ Posen, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Binderstraße 18 (Rotherbaum)

Ernst Meinhardt wurde in Schwedt an der Oder als Sohn des jüdischen Pferdehändlers Gustav Meinhardt (geb. 1848 in Vierraden, gest. 1923 in Schwedt) und Bertha Meinhardt, geb. Salinger (1863-1929) geboren. Vor ihm war der Bruder Alfred Meinhardt (1885-1943) zur Welt gekommen, nach ihm die Geschwister Hans Meinhardt (1888-1904), Berthold Meinhardt (1890-1917), Grethe Meinhardt, später verh. Michelson (1893-1943), Ella Meinhardt, später verh. Landshut (1898-1980) und Dorothea "Thea" Meinhardt, später verh. Kahn (1902-1981).

Die Familie wohnte in Schwedt u.a. in der Vierradenerstraße (u.a. 1885-1886) und in der Viehmarktstraße (u.a. 1893). Die 1875 gegründete Pferdehandlung von Gustav A. Meinhardt, in der u.a. im Jahr 1911 vermutlich auch der älteste Sohn tätig war, lag in der Bahnhofstraße 16.

Für die Mobilmachung des Ersten Weltkrieges war der 66jährige Gustav Meinhardt zu alt, der noch 1870/71 im Deutsch-Französischen Krieg mit dem Infanterie-Regiment 64 gekämpft hatte und mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet worden war. Seine drei Söhne mussten nun "für Kaiser, Volk und Vaterland" in den Krieg ziehen. Der 27jährige Berthold Meinhardt starb am 1. Juli 1917 als Angehöriger der Sanitäts-Kompanie 516. Bei welcher Einheit Ernst Meinhardt seinen Fronteinsatz versah ist nicht bekannt, er soll verschiedene Kriegsauszeichnungen erhalten haben. Auch der ebenfalls im Ersten Weltkrieg gefallene Fritz Meinhardt (geb. 30.7.1895 in Schwedt) dürfte zur Familie oder zumindest der Verwandtschaft gehört haben; er gehörte der 3. Kompanie des Reserve-Infanterie-Regiments 20 an und wurde auf den 18. Juli 1916 für tot erklärt.

Zweieinhalb Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges heiratete Ernst Meinhardt im März 1921 die ebenfalls jüdische Jeanette "Jenny", geb. Katz (geb. 12.4.1893 in Janowitz/ Posen), deren rund 2.000 Einwohner großer Geburtsort am Fluss Welna seit 1920 zu Polen gehörte. Die Eheleute bekamen einen gemeinsamen Sohn: Hans Berthold Meinhardt (geb. 23.7.1923 in Stettin). Dessen Geburt im rund 40 km nördlich von Schwedt gelegenen Stettin scheint medizinische Gründe gehabt zu haben und beruhte nicht auf einem Umzug der Eltern dorthin. Denn nur wenige Wochen nach der Geburt, im August 1923, wurde Ernst Meinhardt auf der Sterbeurkunde seines Vaters als Kaufmann mit Wohnort Schwedt (Lindenallee 15) angegeben. Diese Adresse stand auch im Schwedter Adressbuch des Jahres 1926, es wies Ernst Meinhardt als Handelsvertreter aus.

Nach dem Tod des Vaters und Firmeninhabers Gustav Meinhardt führten Alfred und Ernst Meinhardt dessen Pferde- und Viehhandel fort und erweiterten das Geschäft um die Bereiche Felle und Tabakhandel sowie Grundstückshandel.

Am 14. Mai 1926 zogen Ernst und Jeanette Meinhardt mit ihrem dreijährigen Sohn nach Hamburg. Dort arbeitete Ernst Meinhardt seit Mai 1926 als Drogeriegehilfe. Seit 1928 gehörte er der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg und dem Kulturverband "Neue Dammtorsynagoge" (NDS) an, dem kleinsten der drei jüdischen Kultusverbände in Hamburg, der gemäßigt konservativ ausgerichtet war.

1928 soll er eine Drogerie in der Straße Kohlhöfen 32 (Neustadt) übernommen haben und 1933 mit dieser in die Marcusstraße 13 (Neustadt) gewechselt sein, wo die Monatsmiete 40 RM betrug. Allerdings war im Hamburger Adressbuch von 1927 bis 1933 unter der Adresse Kohlhöfen 32 ausschließlich die Drogerie von Waldemar Hanssen vermerkt, der im Handelsregister ab November 1919 mit einer Apotheke am Pferdemarkt 12 geführt wurde (die Drogerie wurde 1951 im Handelsregister gelöscht). Und in der Marcusstraße 13 wiederum war für die Jahre 1934 bis 1936 nur das dortige Kellergeschäft angegeben, nicht aber die Erdgeschossräume, in denen vermutlich Ernst Meinhardt seine Drogerie in der Nachfolge von Joh. Schmidt Kolonialwaren betrieb.

Familie Meinhardt wohnte am Hallerplatz 2 (1927-1928), wo sich im Erdgeschoss die Schwan-Drogerie von Georg Rosenthal befand. Anschließend zogen Meinhardts ins Nebenhaus Hallerplatz 4, I. Stock (1929-1930). Die längste Zeit lebten sie in der Binderstraße 18 (1931-1940), wo sie anfänglich eine 3 ½-Zimmer-Wohnung für eine Monatsmiete von 55 RM bewohnten, von denen sie 2 Zimmer aus Kostengründen möbliert untervermieteten. Ab April 1936 waren sie selbst Untermieter in zwei Zimmern bei Schultz in der Binderstraße 18 und mussten dafür sowie die Bad- und Küchennutzung 35 RM zahlen.

Die Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde verzeichnete, leicht abweichend vom Hamburger Adressbuch, die folgenden Wohnadressen: Hallerplatz 2 zur Untermiete bei Levetzow (die aber Hallerplatz 4 wohnte), Binderstraße 18, Kohlhöfen 6 (ab Juni 1938) und Binderstraße 18 bei (Lizzie) Schultz (ab August 1938).

Der Sohn Hans Meinhardt besuchte die Volksschule Binderstraße (1929-1933) in der Binderstraße 34 und anschließend die direkt angrenzende Talmud Tora Schule (1933-1936), wofür ein monatliches Schulgeld von 2 RM zu entrichten war. Nach dem Schulabschluss wurde er in einer Baumschule ausgebildet (1936-1938).

Jenny Meinhardt konnte aufgrund ihrer schlechten Gesundheit nicht arbeiten. Sie war wiederholt in ärztlicher Behandlung beim Arzt Moritz Joel (Grindelhof 19) und im Krankenhaus.

Die Drogerie von Ernst Meinhardt wurde als "Medizinaldrogerie" geführt. Dass heißt, sie führte kaum Farben, Lacke, Soda u.ä., dafür Mittel für Mund- und Zahnpflege, Haarpflege und Hauptpflege sowie Mittel gegen Gicht- und Rheumatismus wie Franzbranntwein, Gichtwatte, Terpentingeist, Kampferspiritus, Amol etc. Die Geschäftsausstattung war, so notierte die Hamburger Fürsorge, einfach. Die antijüdischen Boykottmaßnahmen ab 1933 setzten auch Ernst Meinhardts Drogerie immer stärker zu. Ab November 1935 beantragte er bei der Wohlfahrtsstelle finanzielle Unterstützung, denn bei einem Monatsumsatz von 300 RM blieben nur 80 RM netto übrig. Die Fürsorgestelle vermerkte im April 1936: "Die Drogerie des M. geht immer weiter zurück. Das Warenlager ist auf das äusserste beschränkt (…). Die besten Kunden springen ab, da M. Jude ist. Durch den immer kleiner werdenden Umsatz ist M. nicht mehr in der Lage, seinen dringendsten Verpflichtungen nachzukommen (…)."

Im November 1936 erhielt Ernst Meinhardt über die jüdische Mittelstandshilfe ein Wareneinkaufs-Darlehen über 250 RM. Diese Organisation war im Zuge der Wirtschaftskrise Ende der 1920er/ Anfang der 1930er Jahre von einer berufsständischen Organisation zu einer Wohlfahrtseinrichtung für jüdische Unternehmer geworden, die Jüdische Gemeinde Hamburg gewährte hierfür jährliche Zuschüsse von rund 30.000 Reichsmark, um den wirtschaftlichen Niedergang jüdischer Unternehmen zu stoppen, den der nationalsozialistische Staat unnachgiebig betrieb.

In der Fürsorgeakte wurde vor diesem Hintergrund knapp vermerkt: Ernst Meinhardt "erwirbt seinen Lebensunterhalt durch seine Drogerie Marcusstraße 13. Am 31.12.1938 musste die Drogerie aufgegeben werden, (…) seit 26.1.1939 (..) als ungelernter Arbeiter."

Ernst Meinhardt musste nun zugewiesene und kontrollierte, meist schwere Tätigkeiten verrichten, so in Hoisbüttel auf einer Baustelle (ab Februar 1939), in Niendorf bei Bauer Heinrich Timm (ab Mai 1939), in Lokstedt bei Zibuha (?) (u.a. Juni 1940 – September 1941) sowie in der Hanffabrik und Spinnerei von Steen & Co. in Lokstedt (Stresemannallee 104, umbenannt in Horst-Wessel-Allee 104) für zuletzt wöchentlich 25 RM.

Für April/ Mai 1940 plante die Familie Meinhardt anscheinend die Emigration nach Palästina. Zwei Vermerke auf der Kultussteuerkartei der Gemeinde deuten daraufhin: "Palästina April 40, N.B. (…) 18.4.40" in der Spalte der Bemerkungen und "Palästina Mai 40, N.B. (…) 18.4.40" unter dem Namen des Sohnes. Die Streichung dieser Vermerke ist der einzige Hinweis auf das Scheitern ihres Emigrationsversuches. Die Einreisequoten der britischen Mandatsmacht für Palästina wurden bis 1939 vermindert und waren hauptsächlich den zionistischen Siedlungspionieren vorbehalten, wodurch die Zahl der illegalen Emigranten allerdings stieg. Daneben dürften aber auch die Fahrtkosten ins Emigrationsland (und bei einigen Ländern zusätzlich der Nachweis von Finanzmitteln und Bürgen) für Familie Meinhardt eine unüberwindbare Hürde gewesen sein. Das Kürzel N.B. dürfte ein Hinweis darauf sein, dass die für eine Emigration notwendige Unbedenklichkeitsbescheinigung (U.B.) von den Behörden des NS-Regimes nicht erteilt worden war.

Hans Meinhardt soll u.a. im Juni 1940 als Landwirtschaftslehrling in einem Betrieb der Jüdischen Gemeinde bei Berlin eingesetzt worden sein und u.a. im März 1941 in Ellgau/ Oberschlesien in einem landwirtschaftlichen jüdischen Betrieb gearbeitet haben. Ob es sich um ein Lehrgut handelte und die Arbeit der Vorbereitung für die Emigration nach Palästina diente, ist nicht belegt, aber anzunehmen. Im Frühjahr 1941 wurde vom NS-Reichsarbeitsminister der zwangsweise Arbeitseinsatz für Juden angeordnet, Mitte 1941 war die weitere Berufsausbildung von Juden verboten worden. Im September 1941 arbeitete Hans Meinhardt dienstverpflichtet bei der Baumschule und Gärtnerei von Gustav Sundermann in Hamburg-Niendorf (Hauptstraße 13) und erhielt dafür wöchentlich 16 bis 18 RM. Ab 19. September 1941 musste er deutlich sichtbar an seiner Kleidung einen gelben "Judenstern" tragen.

Am 8. November 1941 wurde die dreiköpfige Familie Meinhardt ins Getto Minsk im besetzten Weißrussland deportiert. Die Jüdische Gemeinde war von der Gestapo verpflichtet worden, für die Deportationstransporte Lebensmittel, Kleidung, Arbeitsgeräte und auch Medikamente zu besorgen. Die SS bestimmte den Weltkriegsteilnehmer und Bankier Edgar Franck zum "Judenältesten" des Gettos, der die Vorgaben der SS umzusetzen hatte. Von der Stadtverwaltung der besetzten und stark zerstörten Stadt Minsk kamen nur spärliche Lebensmittelrationen für das Getto, in dem eine Notküche eingerichtet worden war. Die ärztliche Versorgung übernahmen die ins Getto deportierten Ärzte, denen allerdings fast jegliche medizinische Ausstattung fehlte. Der deutschen Besatzungsmacht musste jeden Tag ein Kontingent an Arbeitskräften aus dem Getto gestellt werden. Eingesetzt wurden sie u.a. im Daimler Benz-Reparaturbetrieb für Kraftfahrzeuge im Südosten der Stadt.

Viele der im Getto Minsk Internierten starben an Unterernährung und Infektionskrankheiten (Hungerruhr, Grippe, Lungenentzündung). Die hygienischen Zustände des heillos überfüllten Gettos waren katastrophal. Im Mai 1943 wurden fast alle Hamburger Juden bei Erschießungsaktionen ermordet, nicht einmal ein Dutzend von ihnen überlebte; das Getto wurde im Herbst 1943 durch Angehörige der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS "geräumt". Wie der Sohn später erfuhr, soll sich sein Vater Ernst Meinhardt im Getto mit Tabletten das Leben genommen haben. Auch die Mutter starb dort. Die genauen Sterbedaten von Ernst und Jeanette Meinhardt sind weder dem Bundesarchivs Koblenz (Gedenkbuch) noch dem Internationalen Suchdienst ITS in Bad Arolsen bekannt.

Hans Meinhardt durchlitt eine 3 ½jährige Lagerodyssee: Nach seiner Erinnerung wurde er im Sommer 1942 aus dem Getto Minsk ins Zwangsarbeiterlager Lublin deportiert und musste danach im Zwangsarbeitslager Budzyn Arbeit als Totengräber leisten. Das Lager Budzyn, 5 km nordwestlich von Krasnik, wurde im September 1942 für die Flugzeugproduktion der Heinkel-Werke eingerichtet und galt als kriegswichtiger Rüstungsbetrieb. Hierher wurde Mitte September 1943 auch sein ehemaliger Nachbar Martin Stock deportiert. Ob sich die Nachbarn aus der Hamburger Binderstraße hier erkannten, ist nicht überliefert (Martin Stock überlebte 16 Gettos und Lager).

Im Winter 1943 folgte laut Hans Meinhardts Angaben seine Deportation ins Konzentrationslager Radom und der anschließende Transport ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und weiter nach Vaihingen/ Enz bei Stuttgart. Danach folgten Stationen im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof/ Elsass (ab Juli 1944), im Außenlager Hessental des KZ Natzweiler (vom 14. Oktober 1944 bis Januar 1945) sowie im Konzentrationslager Dachau (April 1945), dabei war er zeitweilig als Metallarbeiter in Flugzeugwerken eingesetzt. In Staltach bei München wurde der 21jährige Hans Meinhardt befreit und in ein Displaced Persons (DP)-Lager in Feldafing bei München gebracht, von wo er im Mai 1946 nach Palästina auswanderte. 1958 emigrierte er in die USA.

Das Schicksal von Ernst Meinhardts Geschwistern:
Ernst Meinhardts Schwester Grethe Michelson, geb. Meinhardt (geb. 5.11.1893 in Schwedt), war vor 1922 nach Hamburg gezogen und lebte dort im Stadtteil Hoheluft-West in der Roonstraße 2. Im Mai 1922 hatte sie in Schwedt den Hamburger Kaufmann Alfred Joseph Michelson (geb. 19.5.1887 in Hamburg, der seit 1902 den Namen "Michelson alias Reinbach" führte) geheiratet. Der Ehemann war seit 1919 Inhaber der vom Vater (Nathan Michelson, alias Reinbach, 1853-1910) auf die Mutter (Martha Michelson, geb. Löwenhaupt, geb. 1859?) übergegangenen Firma für Handelsvertretungen, N. Michelson (gegr. 1883). Seit 1920 gehörte er der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg an, wo er unter "Michelson alias Reinbach, Alfred" geführt wurde. In seinen Reisepässen wurde seit 1920, vermutlich als Folge einer Kriegsverletzung, als besonderes Kennzeichen "linkes Bein lahm" vermerkt.
Die Privatwohnung des kinderlosen Ehepaares befand sich in der Heidestraße 8 (1922-1928) und Goßlerstraße 65, II. Stock in Hoheluft-Ost (u.a. 1929-1940). Im Mai 1936 wurde die Firma N. Michelson im Handelsregister gelöscht. Der 55jährige Alfred Michelson und die 48jährige Grethe Michelson wurden am 15. Juli 1942 aus ihrem zuletzt zugewiesen Quartier in der Bornstraße 22, dem zum "Judenhaus" erklärten Louis Levy Stift, ins Getto Theresienstadt deportiert. Ein halbes Jahr später, am 29. Januar 1943, wurden beide weiter ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Es wird angenommen, dass sie gleich nach ihrer Ankunft mit Gas ermordet wurden. Das Amtsgericht Berlin-Schöneberg erklärte Alfred Michelson Anfang der 1960er Jahre für tot auf den 31. Dezember 1945. An Grethe und Alfred Michelson erinnern Stolpersteine im Eppendorfer Weg 265.

Der Bruder Alfred Meinhardt (geb. 21.4.1885 in Schwedt) betätigte sich lt. Adressbüchern von Schwedt der Jahre 1911 und 1926 als Kaufmann. Er hatte im September 1913 die ebenfalls jüdische Margarethe "Grete" Marcuse (geb. 5.10.1891) geheiratet. Sie stammte aus Fiddichow/ Pommern, rund 10 km nordöstlich von Schwedt. Von 1923 bis 1926 führte er gemeinsam mit Ernst Meinhardt das väterliche Geschäft weiter; nach dessen Ausscheiden 1926 blieb er als alleiniger Firmeninhaber. In dem Haus Bahnhofstraße 15 bewohnte das kinderlose Ehepaar eine 4-Zimmer-Wohnung , dort befanden sich auch die Büroräume der Firma. Margarethe Meinhardt arbeitete ebenfalls im Geschäft und war insbesondere für die Buchhaltung der Grundstücksverwaltung zuständig (u.a. für Dresdner Bank und Zentralbodenkreditanstalt).

Die nationalsozialistischen Boykotte 1933 führten zu einem ruinösen Geschäftsrückgang, der Alfred Meinhardt zum Verkauf des dreigeschossigen Hauses in der Bahnhofstraße 15 (zeitweilig als Bahnhofstraße 23 geführt) samt Pferdeställen und Speicher an den Töpfermeister Karl Grussan (gestorben 1941) nötigte. Ob er auch die vom Vater ererbten Wiesen und Äcker sowie die Firma und das Kraftfahrzeug verkaufte, ist nicht aktenkundig. Um 1935 zog das kinderlose Ehepaar nach Berlin, wo er versuchte, als Grundstücksmakler Fuß zu fassen. Seine Schwägerin Gertrude Kornfeld, geb. Marcuse (geb. 27.2.1896 in Fiddichow/ Pommern) gab gegenüber dem Berliner Entschädigungsamt um 1960 an, er sei "angestellt bei dem Palästinaamt in Berlin, Meineckestraße 10, und als Güterverwalter und Hachscharah-Leiter (Ausbildung für Palästina) eingesetzt" gewesen u.a. in Gehringshofen.

Ab April 1933 war die Zahl der Auswanderer aus dem Deutschen Reich nach Palästina rasant angestiegen. Das Palästina-Amt trug dem durch den Aufbau einer Beratungsstelle in Berlin mit einzelnen Fachabteilungen Rechnung. Daneben arbeiteten reichsweit weitere 22 Zweigstellen. In eigenen landwirtschaftlichen und handwerklichen Lehrgütern wurden vor allem jungen Juden die notwendigen Berufskenntnisse vermittelt (Hachscharah = Ertüchtigung). Im Berliner Adressbuch fand sich lediglich in den Jahren 1937 und 1938 der Eintrag "Alfred Meinhardt, Immobilien, Berlin N 4, Chausseestr. 121". Das große Mietshaus mit rund 30 Mietpartien lag im Stadtteil Mitte und gehörte laut Adressbuch den Isaac’schen Erben. Bei der Volkszählung vom Mai 1939 war er unter der gleichen Adresse mit dem Namen Mechel Meinhardt zusammen mit seiner Ehefrau Margarethe Meinhardt erfasst worden. Das Berliner Adressbuch von 1939 verzeichnete ihn aber schon nicht mehr in diesem Haus als Hauptmieter.

Auf Alfred Meinhardts Geburtsurkunde ist, im Gegensatz zu denen seiner Geschwister, der Zwangsname "Israel" nicht eingetragen, vermutlich ersetzte die Namensänderung von Alfred in "Mechel" die stigmatisierende Namensänderung. Alfred Meinhardt befand sich zuletzt in Ahlem bei Hannover in einem "Judenhaus". Im September 1941 musste auch er das "Judenhaus" auf dem Gelände der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule Ahlem beziehen, wo sich bislang Juden für die Auswanderung nach Palästina vorbereitet hatten. Seit Mitte 1941 durfte die Gartenbauschule Ahlem nicht mehr als Ausbildungsstätte genutzt werden; ab August 1942 diente sie als Deportationssammelstelle der Regierungsbezirke Hannover und Hildesheim.

Von dort wurde Alfred Meinhardt am 17. März 1943 ins Getto Theresienstadt und am 12. Oktober 1944 weiter ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Seine Ehefrau Margarethe Meinhardt, geb. Marcuse, wurde am 3. März 1943 mit dem "33. Ost-Transport" von Berlin aus in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. In Schwedt/ Oder erinnern Stolpersteine in der Bahnhofstraße 15 an Alfred und Margarete Meinhardt.

Stand: November 2021
© Björn Eggert

Quellen: 1; 4; 5; 8; Staatsarchiv Hamburg (StaH) 231-7 (Handelsregister), A 1 Band 13 (N. Michelson HR A 3476); StaH 231-7 (Handelsregister), A 1 Band 93 (Waldemar Hanssen HR A 22246); StaH 332-5 (Meldewesen), 2153 u. 2524/1887 (Geburtsregister 1887, Alfred Reinbach, später Michelson); StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925, K 6612 (Nehemias Michelson alias Reinbach 1807-1901, Rosa Michelson alias Reinbach 1845-1903, Betty Michelson alias Reinbach 1846-1908, Nathan Michelson alias Reinbach 1853-1910, Nehemias Michelson alias Reinbach 1856?-1913); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 100 (Passprotokolle 1908, Nr. 523, Alfred Michelson); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 210 (Passprotokolle 1920, Nr. 5970, Alfred Michelson); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 343 (Passprotokolle 1926, Nr. 21237, Alfred Michelson); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 378 (Passprotokolle 1929, Nr. 21912, Grete Michelson geb. Meinhardt); StaH351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 46707 (Rentenakte von Hans Berthold Meinhardt, darin auch Fürsorgeakte von Ernst Meinhardt); StaH 351-11 (AfW), 14531 (Martin Stock); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Erich Ernst Meinhardt, Alfred Michelson; Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (N. Michelson HR A 3476, Waldemar Hanssen HR A 22246); Stadtarchiv Schwedt/ Oder, Geburtsurkunden von Alfred Meinhardt (1885), Ernst Meinhardt (1886) und Grethe Meinhardt (1893), Heiratsurkunde von Grethe Meinhardt (1922), Sterbeurkunde von Gustav Meinhardt (1923), Adressbuch Schwedt 1911 und 1926; KZ-Gedenkstätte Dachau (Hans Meinhardt, Fremdnummer 25278, Zugang April 1945 aus Natzweiler); Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) Berlin, Akte 63.656 (Margarethe Meinhardt geb. Marcuse); Yad Vashem, Page of Testimony (Ernst Meinhardt); Gedenkbuch Bundesarchiv Koblenz, Ernst Meinhardt, Jeanette Meinhardt geb. Katz, Margarethe Meinhardt geb. Marcuse, Mechel Meinhardt, Grete Michelson, Kurt Samson; Adressbuch Hamburg (Meinhardt) 1927, 1928, 1929, 1930, 1931, 1932, 1935, 1940; Adressbuch Hamburg (A. J. Michelson) 1920, 1924, 1926-1929, 1940; Adressbuch (Kohlhöfen 32) 1927, 1929, 1930, 1931, 1933; Adressbuch Hamburg (Marcusstraße 13) 1930, 1931, 1933, 1934, 1935, 1936; Adressbuch Berlin 1937, 1938 (Alfred Meinhardt, Immobilien, Berlin N 4, Chausseestr. 121); Werner T. Angress, Generation zwischen Furcht und Hoffnung. Jüdische Jugend im Dritten Reich, Hamburg 1985, S. 46, 49 (Auswanderungslehrgüter); Maike Bruhns, Geflohen aus Deutschland, Hamburger Künstler im Exil 1933-1945, Bremen 2007, S. 189 (Palästina); Brita Eckert, Die jüdische Emigration aus Deutschland 1933-1941. Die Geschichte einer Austreibung (Ausstellungskatalog); Frankfurt/ Main 1985, S. 145-147 (Palästina-Amt Berlin), 132 u. 153 (Hachscharah); Volkhard Knigge u.a., Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg (Ausstellungskatalog), Weimar 2010, S. 54-56 (Minsk); Ina Lorenz, Die Juden in Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik, 2 Bände, Hamburg 1987, S. 288, 293, 298, 1075, 1100 (jüd. Mittelstandshilfe); Ina Lorenz (Hrsg.), Zerstörte Geschichte, Vierhundert Jahre jüdisches Leben in Hamburg, Hamburg 2005, S. 195 (Deportationen 1941), S. 196 (Arbeitseinsatz); Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945, Hamburg 2006, S. 62-64 (Deportationsziel Minsk); Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Ein Gedenkbuch. Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914-1918, Hamburg 1932, S. 333 (Berthold Meinhardt, Fritz Meinhardt); Ursula Randt, Die Talmud Tora Schule in Hamburg 1805 bis 1942, Hamburg 2005, S. 15 (Curt Samson); Petra Rentrop-Koch, Die ‚Sonderghettos‘ für deutsche Jüdinnen und Juden im besetzten Minsk (1941-1943), in: Beate Meyer (Hrsg.), Deutsche Jüdinnen und Juden in Ghettos und Lagern (1941-1945), Hamburg 2016, S. 100 (Ernst Meinhardt); Anna von Villiez, Mitaller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nichtarischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, München/ Hamburg 2009, S. 305 (Dr. Moritz Joel); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 706 (N. Michelson); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1935, S. 576 (N. Michelson); www.geni.com/people/Ernst-Meinhardt/6000000021210298749 (eingesehen am 23.1.2017); https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Au%C3%9Fenlager_des_KZ_Majdanek (eingesehen 7.4.2017); https://de.wikipedia.org/wiki/Ahlem-Badenstedt-Davenstedt (eingesehen 1.11.2017); https://de.wikipedia.org/wiki/Israelitische_Gartenbauschule_Ahlem (eingesehen 1.11.2017); www.tracingthepast.org (Volkszählung Mai 1939), Ernst Meinhardt, Jeanette Meinhardt, Grete Michelson, Alfred Michelson, Adresse Binderstr. 18 in Hamburg, Mechel Meinhardt, Margarethe Meinhardt geb. Marcuse, Adresse Chausseestr. 121in Berlin; http://www.aktionsbuendnis-brandenburg.de/stolperstein/alfred-meinhardt (eingesehen 28.6.2017); http://www.schwedt.eu/de/land_bb_boa_01.c.392903.de/ (Stolpersteine Schwedt 2012, eingesehen 28.6.2017); www.stolpersteine-hamburg.de (Johanna Meyer geb. Heimbach).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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