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Bereits verlegte Stolpersteine



Lea Esther Zloczower (geborene Fruchter) * 1885

Grindelhof 8 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
LEA ESTHER
ZLOCZOWER
GEB. FRUCHTER
JG. 1885
"POLENAKTION" 1938
BENTSCHEN / ZBASZYN
LAGER ZBASZYN
1939 LEMBERG
SCHICKSAL UNBEKANNT

Weitere Stolpersteine in Grindelhof 8:
Betty Zloczower, Chaim Zloczower

Chaim Zloczower, geb. am 18.10.1878 in Lemberg/Polen (heute Lwow/Ukraine), ausgewiesen am 28.10.1938 nach Bentschen/Zbaszyn, Lager Zbaszyn, 1939 Lemberg, Schicksal unbekannt
Lea Esther Zloczower, geb. Fruchter, geb. am 20.11.1885 in Bolechow/ Polen (heute Bolechiw/Ukraine), ausgewiesen am 28.10.1938 nach Bentschen/Zbaszyn, Lager Zbaszyn, 1939 Lemberg, Schicksal unbekannt
Betty Zloczower, geb. 4.11.1921 in Hamburg, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Bentschen/Zbaszyn, Lager Zbaszyn, 1939 Lemberg, Schicksal unbekannt

Grindelhof 8

Die Eltern von Betty Zloczower, Chaim und Lea heirateten 1904 in Lemberg. Danach lebte das junge Paar im Geburtsort von Lea, wo die ersten drei Kinder zur Welt kamen: Cilli (1906), Samuel (1907) und Isaak (1910).

Zu Beginn des 20. Jahrhundert beschlossen viele osteuropäische Juden die Heimat zu verlassen und in die USA auszuwandern, so auch Familie Zloczower. Der Familienvater reiste voraus, um später die Familie nachzuholen. Sein erstes Ziel war der Hamburger Hafen, der sich als Startpunkt in die "Neue Welt" etabliert hatte. In Hamburg angekommen, nahm er Kontakt zur Jüdischen Gemeinde auf und blieb. Eine Arbeit fand sich auch, vorerst als Übersetzer für die Sprachen Polnisch, Jiddisch und Deutsch. Nach gründlicher Überlegung nahm er Abstand von der Idee, die ungewisse Reise in die USA anzutreten. So folgte ihm kurze Zeit später seine Frau Lea mit den drei Kindern nach Hamburg. Das Adressbuch verzeichnete in den 1910er-Jahren Einträge der Familie in Hammerbrook. Um die sich vergrößernde Familie ernähren zu können, arbeitete Chaim Zloczower nun als Drechsler.

Im Laufe der Jahre wurden weitere Kinder geboren: Moritz (1911), Simon (1913), sein Bruder Julius (1915), Edith (1919), Betty (1921) und Gunther (1924).

Für Chaim Zloczower bot sich dann die Möglichkeit ein Geschäft für Gebrauchtmöbel in Eppendorf zu erwerben, die Familie erhoffte sich gute Einkommensmöglichkeiten. Doch durch den Ersten Weltkrieg und die Wirtschaftskrise in den 1920er-Jahren, stagnierte der Umsatz und er gab das Geschäft wenige Jahre später auf. Danach versuchte er auf Reisen, hauptsächlich in Süddeutschland, religiöse Bilder und sonstiges Kleingut zu verkaufen. Zu der Zeit wohnte die Familie bereits einige Jahre in der Rentzelstraße, bis sie in den Grindelhof 8 umzog. Die älteren Kinder halfen, so gut es ging, im Haushalt, sofern neben den Schulbesuchen Zeit dafür blieb. Zum Gottesdienst gingen sie in die Neue Dammtorsynagoge, in der die Söhne auch im Chor sangen.

Betty Zloczower besuchte ab 1928 bis 1937/1938 die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße, sie galt als ausgezeichnete Schülerin. Nach Aussage ihres Bruders Samuel, konnte sie keine Ausbildung beginnen, obwohl sie es wollte, die nationalsozialistischen Verbote verhinderten dies.

Die finanzielle Situation der Familie gestaltete sich immer schwieriger. Die Nationalsozialisten ergriffen kurz nach ihrer Machtübernahme Ende Januar 1933 erste "Maßnahmen". Durch Verschärfungen von Anordnungen und Gesetzen verdrängten sie Juden nach und nach aus dem Wirtschafts- und Gesellschaftsleben. Das betraf besonders auch polnische Juden wie die Zloczowers. In ihrer unmittelbaren Umgebung bekam die Familie die Veränderungen hautnah mit. Lea Zloczower bewies schon sehr früh politische Weitsicht und drängte ihre Kinder, das Deutsche Reich zu verlassen. Um die Reisekosten aufzubringen, verkaufte sie Einrichtungsgegenstände und lieh sich Geld. Die älteren Kinder konnten ausreisen, die Emigration der beiden jüngsten Gunther und Betty gelang jedoch nicht.

Am frühen Morgen des 28. Oktobers 1938 wurde das Ehepaar zusammen mit ihrer Tochter Betty aus der Wohnung abgeholt und zum Altonaer Bahnhof gebracht. Gunther blieb alleine zurück, da er noch keine 16 Jahre war. In seinen Erinnerungen schildert Gunther dazu folgendes: "Verzweifelt lief ich auf die Straße und fand einen ebenso verzweifelten jüdischen Jungen, der in derselben Situation zu sein schien. Wir beschlossen, uns der Polizei zu stellen und um unsere Verhaftung zu bitten". So geschah es und Gunther fand in dem Gewimmel von Menschen am Bahnhof seine Eltern und die Schwester wieder.

Die ca. 1000 Menschen, die in Hamburg von dieser Abschiebeaktion betroffen waren, blieben im Unklaren, was mit ihnen geschehen würde. Sie bestiegen abends einen Zug, der sie an den Grenzort Bentschen, nahe der polnischen Grenze, brachte. Mehrere Kilometer bis zum polnischen Grenzort Zbaszyn liefen sie zu Fuß, quasi im Niemandsland. Gunther dazu: "Wir fanden ein Bauernhaus, deren Bewohner bereit waren, uns aufzunehmen. Wir hatten die Hoffnung, schnell nach Lwow (Lemberg) weiter zu können, wo ein Onkel lebte. Da Polen jedoch sämtliche Pässe für ungültig erklärt hatte, wurde uns die Weiterreise zunächst verboten." Dass Gunther gerettet wurde, verdankte er einer englischen Organisation, die mit Hilfe der Jüdischen Gemeinde vor Ort "Kindertransporte" über die Ostsee nach England organisierte. Für Betty galt dies nicht, sie war mit ihren 17 Jahren zu "alt" dafür.

Im August 1939 erlaubte die polnische Regierung den Jüdinnen und Juden schließlich, den Grenzort zu verlassen. Die Familie machte sich auf den Weg nach Lemberg. Gunther hielt über Briefe Kontakt mit seiner Mutter, von der er über die prekären Lebensumstände in Lemberg erfuhr. Irgendwann riss der Kontakt ab, bedingt durch den Kriegsbeginn 1. September 1939. Über das weitere Schicksal von Lea, Chaim und ihrer Tochter Betty Zloczower erfuhr er nichts. Auch unsere heutigen Nachforschungen brachten keine Hinweise, wo und wann sie zu Tode kamen.


Welche Spuren fanden sich zu den Kindern der Familie?

Cilli besuchte neun Jahre die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße. Daran schloss sich eine halbjährliche Ausbildung zur Stenotypistin in einer Handelsschule an. Ab April 1923 nahm Cilli eine Tätigkeit als kaufmännische Angestellte an. Bereits 1928 wanderte sie nach Palästina aus. Dort starb Cilli, verheiratete Schieber, 2004.

Samuel absolvierte von 1914 bis 1922 die Talmud Tora Realschule im Grindelhof. Nach einer dreijährigen kaufmännischen Ausbildung zum Bilanzbuchhalter, arbeitete er ab 1925 als Abteilungsleiter. Am 12. August 1937 flüchtete Samuel von Bremen mit dem Schiff "Bremen" nach Southampton. In England änderte er seinen Namen in Robert Eden.

Der 1910 geborene Sohn Isak starb 1929 an den Folgen eines Verkehrsunfalls im Hafenkrankenhaus.

Der noch nicht siebenjährige Moritz starb im Juni 1918 im Israelitischen Krankenhaus, die Todesursache ist nicht bekannt. Die Grabstätten von Isak und Moritz befinden sich auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel.

Über den 1913 geborenen Simon fanden wir kaum Spuren. Er emigrierte 1933/34 in die USA, wo er seinen Nachnamen in Rice änderte. Er starb dort im Jahre 2008.

Der während des ersten Weltkrieges geborene Julius (1915) besuchte ebenfalls die Talmud Tora Realschule. 1929 begann er eine Kürschnerlehre, die er mit der Gesellenprüfung 1933 abschloss. In der elterlichen Wohnung richtete er sich einen kleinen Werkstattbereich ein. Inwieweit dies einträglich war, ist nicht bekannt. Zu einem unbekannten Zeitpunkt flüchtete Julius Zloczower zunächst nach Palästina und später in die USA, wo er 1996 in Los Angeles starb. Auch er nannte sich dann Rice, wie vor ihm sein Bruder Simon.

Edith besuchte von 1925 bis 1936 die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße. Mit siebzehn Jahren, 1936, emigrierte Edith nach Palästina. Dort heiratete sie. Edith qualifizierte sich beruflich weiter, um später als Volksschullehrerin zu arbeiten.

Der jüngste Sohn, Gunther, absolvierte die Talmud Tora Oberrealschule bis zur Obertertia. Mit einem Kindertransport 1939 kam er von Bentschen nach England. Er erlernte die Sprache und besuchte die Schule, welche er mit dem Abitur abschloss. 1947 wanderte er in die USA aus. Dort nahm er ein Studium auf und wurde 1955 an der Universität Chicago promoviert. Auch er änderte seinen Nachnamen in Rice.

Zur Erinnerung an die Eltern Chaim und Lea und an die Schwester Betty, hinterlegte Gunther Rice Gedenkblätter in Yad Vashem.

Wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit an dieser Biographie bei den Angehörigen der Familie in Israel und den USA.


Stand: September 2019
© Sonja Zoder

Quellen: 1; 4; 5; 8; 9; StaH: 351-11 AfW 3804 (Zloczower, Chaim); StaH: 351-11 AfW 9753 (Zloczower, Lea); StaH: 351-11 AfW 44925 (Zloczower, Betty) jeweils am 15.11.2017; Meyer, Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945, S. 25–32, Hamburg 2006 am 23.7.2018; Rice, Gunther: Tell Everybody, Tell Everything: The Story of My Family & My Journey, Glencoe, Ill./USA 2014, am 3.6.2018; URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Zbąszyń; https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-94.de.v1; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/zwangsausweisung.html.de?page=1; https://de.wikipedia.org/wiki/Polenaktion, jeweils am 23.7.2018; http://www.passagierlisten.de/ Zloczower, Samuel am 31.3.2019; Jüdischer Friedhof Hamburg, Ilandkoppel am 14.5.2019.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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