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Herbert Hintz, 1937
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Herbert Hintz * 1917

Wrangelstraße 113 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)


HIER WOHNTE
HERBERT HINTZ
JG. 1917
EINGEWIESEN 1925
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 10.8.1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
TOT 10.5.1945

Herbert Hintz, geb. am 2.5.1917 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 22.8.1925, "verlegt" am 10.8.1943 in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen", gestorben am 10.5.1945

Wrangelstraße 113, Hoheluft-West

Herbert Hintz kam am 2.5.1917 als drittes Kind einer Arbeiterfamilie in Hamburg zur Welt. Der Vater, Friedrich Hintz, geb. am 25.9.1883, gestorben am 4.12.1953, arbeitete zum Zeitpunkt der Geburt seines Sohnes als Kutscher. Die Mutter Carolina, geb. Klötzing, geb. am 15.8.1883 zu Hof Bliestorf in der Nähe von Berkenthin im heutigen Kreis Herzogtum Lauenburg, war vor der Eheschließung als Dienstmädchen in Stellingen tätig gewesen. Am 28. April 1906 hatten sie in Hamburg geheiratet. Außer Herbert hatte das Ehepaar noch einen Sohn und eine Tochter.

Die Hamburger Adressbücher verzeichnen Herberts Vater ab 1920 mit der Berufsangabe "Räucherer" (Haltbarmachen von Fleisch oder Fisch) in der Niendorferstraße 14 in Lokstedt. Neun Jahre später wiesen sie ihn in der Wrangelstraße 113 im Stadtteil Hoheluft-West als "Arbeiter" aus.

Bei seiner Geburt hatte Herbert durch einen Sauerstoffmangel neurologische Schäden erlitten. Zudem erkrankte er im Kleinkindalter an Nasendiphterie und behielt nach einer Poliomyelitis-Infektion (Kinderlähmung) rechts eine "Spastische Halbseitenlähmung" zurück. Als Herbert ins schulpflichtige Alter kam, wurde er zunächst für ein Jahr zurückgestellt.

Er sollte dann eine "Hilfsschule" (heute Förderschule) besuchen, wurde dort jedoch nicht aufgenommen, weil er noch "unartikuliert" sprach. Nach einer schulärztlichen Untersuchung wurde Herbert vom Schulbesuch befreit. Am 22. August 1925 wies ihn ein Amtsarzt der Sozialverwaltung mit der Diagnose "Schwachsinn" in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) ein. Von seiner Mutter ist überliefert, dass sie die Hoffnung hegte, er könne dort etwas lernen.

Nach anfänglichem Heimweh lebte sich Herbert in Alsterdorf gut ein. Er besuchte zunächst die Spielschule und beschäftigte sich gerne. Bereits vier Wochen nach seiner Einweisung in Alsterdorf wurde Herbert für längere Zeit mit einer Gehörgangentzündung ins Krankenhaus verlegt. Möglicherweise war diese Krankheit auch der Grund für seine undeutliche Sprache. Im November 1926 erhielt Herbert als orthopädische Hilfe einen Schienenstiefel mit erhöhtem Absatz. Er blieb krankheitsanfällig und wurde im Laufe der folgenden Jahre noch mehrmals wegen verschiedener Infektionskrankheiten im Krankenhaus der Anstalt aufgenommen.

Herbert besuchte ab 1928 die Alsterdorfer Anstaltsschule und machte Fortschritte in seiner Entwicklung, wie es in den Schulberichten hieß. Das "Vorstellungsleben" sei gut, ebenso "seine Auffassung und Wiedergabe". Er zeige großen Eifer bei der Arbeit und Interesse am Unterricht. Er arbeite sorgfältig und liefere durch seine Willensstärke im Zeichnen und Ausschneiden, linkshändig etwas langsamer, ebenso gute Arbeiten, wie die anderen Kinder. Seine Lehrerin beschrieb Herbert als einen freundlichen, mitfühlenden Jungen, der anhänglich und leicht zu leiten sei.

Auch dem Pflegepersonal gab Herbert keinen Anlass zur Klage: "Still und ordentlich, stets folgsam und artig." Wegen seiner Körperbehinderung konnte Herbert sich nicht an den Spielen der anderen Jungen im Freien beteiligen, allerdings fand er Freunde unter ihnen und fühlte sich in ihren Kreisen wohl.

Ostern 1931 hieß es dann in seinem Schulbericht, Herbert könne mit den anderen nicht mehr Schritt halten. Er sei schon 14 Jahre alt und werde jetzt in eine Arbeitsklasse versetzt. Es solle aber der Versuch unternommen werden, ihn am Nachmittag durch Einzelunterricht zu fördern. In der sogenannten Arbeitsklasse wurde Herbert mit der Anfertigung von gewebten Perlenuntersätzen beschäftigt. Vermutlich endete damit seine Schulzeit.

Herberts Familie hatte seit seiner Einweisung in Alsterdorf den Kontakt zu ihm gehalten. Seine Eltern besuchten ihn regelmäßig und beantragten mehrtägige Anstaltsurlaube für ihn. Da er beim Gehen einen Stock benötigte, holten sie ihn mit dem Auto ab. Nach Herberts sechzehntem Geburtstag war dies jedoch angesichts der für die Familie Hintz wirtschaftlich schwierigen Zeit für zwei Jahre nicht mehr möglich.

Im November 1936 wurde in Herberts Patientenakte vermerkt, dass er jetzt zeitweise unter leichten Schwächeanfällen mit Kopfschmerzen und Schwindelgefühl leide und sich danach tagelang sehr elend fühle.

Herbert Hintz wurde wie alle jungen Männer für den Wehrdienst erfasst, aber 1937 als "untauglich" ausgemustert.

In den Alsterdorfer Anstalten wurde er weiterhin als "ruhiger und friedlicher" Bewohner wahrgenommen, der durch seine Kinderlähmung gehbehindert war, sich aber selbst versorgen konnte. Dauernder Anstaltsaufenthalt wurde für erforderlich gehalten.

Die letzte Eintragung in Herberts Alsterdorfer Krankenakte, datiert vom 6. August 1943, lautete: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalt durch Fliegerangriff verlegt nach Mainkofen".

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Juli/August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Die Anstaltsleitung nutzte die Gelegenheit, nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Heil- und Pflegeanstalten zu verlegen.

Mit vier Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau sowie in die "Wagner- von Jauregg- Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" ("Am Steinhof") verlegt.

Herbert Hintz gehörte zu den 112 männlichen Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern, die am 10. bzw. 11. August 1943 in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau in Niederbayern gebracht wurden. Seine Familie erfuhr wahrscheinlich erst bei dem letzten ihrer häufigen Besuche in Alsterdorf von seiner Verlegung. Seine Eltern schickten ihm Pakete mit Lebensmitteln nach Mainkofen und sie schrieben sich mit Herbert gegenseitig Briefe.

Im April 1945 beunruhigte die Eltern, dass sie seit Februar keine Post mehr von ihrem Sohn erhalten hatten. Sie richteten am 29. des Monats eine Anfrage an die Anstaltsleitung in Alsterdorf, ob ihr Sohn aus Mainkofen "anderweitig verschickt" sei. Die Antwort kam am 2. Mai: Es sei zu verstehen, dass sie in Sorge seien. Leider sei es jedoch nicht möglich Näheres mitzuteilen, da man nicht mehr mit den einzelnen Anstalten in Verbindung stehe.

Herbert Hintz starb am 10. Mai 1945, wenige Tage nach Kriegsende. Als Todesursache wurde eine Lungentuberkulose angegeben, so wie auch bei vielen weiteren mit ihm aus Alsterdorf nach Mainkofen verlegten Patienten. Angeblich war eine Mitteilung an die "zuständigen Stellen" – gemeint waren wohl auch Herberts Eltern – "wegen der Postsperre" nicht möglich.

Im Glauben, dass er noch am Leben sei, erkundigten sich Herbert Hintz‘ Eltern am 3. November 1945 wieder mit einer Postkarte an ihren Sohn nach seinem gesundheitlichen Befinden und fragten, ob er und seine Mitpatienten bald nach Hamburg zurückkehren würden. Die Antwort vom 28. November lautete: "Auf Ihre an Ihren Sohn Herbert Hintz gerichtete Karte vom 3.11.45 müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass derselbe am 10.5.45 hier gestorben ist. Eine Benachrichtigung war seinerzeit wegen der Postsperre nicht möglich. Im geistigen Befinden des Kranken war, wie bei der Art seines Leidens auch nicht anders zu erwarten, seit seinem Hiersein keine Änderung eingetreten. In körperlicher Beziehung war seit vorigem Winter ein krankhafter Lungenbefand mit Husten aufgetreten, der als tuberkulös angesehen werden musste. Dieses Leiden hatte einen allmählichen körperlichen Verfall zur Folge und führte schließlich den Tod herbei, der Anbetracht des Gesamtzustandes Ihres Sohnes geradezu als Erlösung von einem schweren Schicksal angesehen werden kann. Besondere Wünsche hat er nicht mehr geäußert und nennenswert gelitten hat er vor seinem Hinscheiden nicht. Er ist im hiesigen Anstaltsfriedhof beerdigt."

Aus der Anstalt Mainkofen wurden bis August 1941 Menschen in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim in der Nähe von Linz verschleppt und mit Gas ermordet. 604 von ihnen sind namentlich bekannt. Danach wurde der Tod der Patientinnen und Patienten in Mainkofen selbst nach dem "Bayrischen Hungererlass" vorsätzlich herbeigeführt, durch Nahrungsentzug (Hungerkost, fleisch- und fettlose Ernährung, in Mainkofen als "3-b Kost" bezeichnet), aber auch durch pflegerische Vernachlässigung und überdosierte Medikamentengaben. In Mainkofen starben 762 Patientinnen und Patienten in den sogenannten Hungerhäusern. Stattdessen wurde als Todesursache insbesondere Darmkatarrh, Tbc, Lungenentzündung bzw. Lungentuberkulose festgehalten.

Seit 2014 befindet sich auf dem Gelände des heutigen Bezirksklinikums Mainkofen ein "Lern- und Gedenkort", an dem die ermordeten Mainkofener Patienten namentlich genannt werden und ihrer gedacht werden kann. Eine weitere Gedenktafel erinnert an die über fünfhundert Jugendlichen und Erwachsenen, an denen Zwangssterilisationen durchgeführt wurden.

Stand: August 2020
© Susanne Rosendahl

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 8884 Heiratsregister Nr. 25/1906 Friedrich Johannes Louis Hintz/Karoline Helene Maria Klötzing; 332-5 Standesämter 2059 Geburtsregister Nr. 4563/1883 Friedrich Johannes Louis Hintz; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Sonderakte V 404 Herbert Hintz; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 3. Aufl., Stuttgart 2016, S. 283 ff, insbesondere S. 315 ff.; http://www.mainkofen.de/209.html (Zugriff 28.8.2019).

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