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Senta Henschel * 1902

Kaiser-Wilhelm-Straße 18–20 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
SENTA HENSCHEL
JG. 1902
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Senta Henschel, geb. am 22. 11. 1902 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Kaiser-Wilhelm-Straße 18–20 (früher Nr. 56), Hamburg-Neustadt

Senta Henschel wurde am 22. November 1902 als Kind des jüdischen Ehepaares Moses und Doris Henschel, geborene Israel, in der Kaiser-Wilhelm-Straße 56 in Hamburg-Neustadt geboren. Das Ehepaar hatte 1892 in Hamburg geheiratet. Moses Henschel bezeichnete sich als Zigarrenhändler, seine Braut Doris nannte sich Artistin. In dem Geburtseintrag ihres ersten Kindes, der am 10. Februar 1887 geborenen Mathilde, wurde Doris Israels Beruf als Balletttänzerin vermerkt. Moses Henschel adoptierte die Tochter seiner Ehefrau Anfang 1900.

Als erstes gemeinsames Kind wurde am 3. Juli 1893 John geboren. Ihm folgten die Söhne Eduard am 20. März 1895 und Kurt am 2. März 1897. Ein weiteres Kind wurde 1907 tot geboren.

Moses Henschel behielt die Tätigkeit als Zigarrenhändler viele Jahre bei. Bei Senta Henschels Geburt 1902 wurde als Beruf des Vaters "Commissionär" in die Geburtsurkunde eingetragen.

Senta Henschel war acht Jahr alt, als sie am 27. Juli 1911 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen wurde. Ihre Krankenakte existiert nicht mehr, nur die nach 1933 angelegte "Erbgesundheitskarteikarte". Daraus geht hervor, dass Senta unter einer geistigen Behinderung litt. Sie lebte 27 Jahre in den Alsterdorfer Anstalten. Einzelheiten über ihr Leben dort sind nicht überliefert.

Nach 1933 entwickelten sich die Alsterdorfer Anstalten zu einem nationalsozialistischen Musterbetrieb, in dem eugenische Vorstellungen und damit einhergehend auch Zwangssterilisationen als "Verhütung unwerten Lebens" unterstützt wurden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Verfolgung der Juden im Deutschen Reich auch zu entsprechenden Maßnahmen in den Alsterdorfer Anstalten führen würde. Ein Urteil des Reichsfinanzhofs vom 18. März 1937 diente als Vorwand, die Entlassung aller Juden aus den Alsterdorfer Anstalten vorzubereiten. Pastor Friedrich Karl Lensch, der Leiter der Einrichtung, sah in dem Urteil die Gefahr des Verlustes der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit, wenn künftig Jüdinnen und Juden in der Anstalt bleiben würden. Ein Schreiben vom 3. September 1937 an die Hamburger Fürsorgebehörde enthielt 18 Namen von "jüdischen Zöglinge[n], welche hier auf Kosten der Fürsorgebehörde untergebracht sind”, darunter auch den von Senta Henschel. Sie wurde am 31. Oktober 1938 mit 14 weiteren jüdischen Bewohnerinnen und Bewohnern aus Alsterdorf zunächst in das Versorgungsheim Oberaltenallee abgeschoben. Von dort soll sie in das Versorgungsheim Averhoffstraße gebracht worden sein. Im April 1940 konnten sich die Alsterdorfer Anstalten schließlich des letzten jüdischen Bewohners entledigen.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Senta Henschel traf am 18. September 1940 in Langenhorn ein. Zusammen mit 135 weiteren Patientinnen und Patienten wurde sie am 23. September 1940 nach Brandenburg an der Havel transportiert. In dem zur Gasmordanstalt wurden die Menschen noch am selben Tag in die Gaskammer getrieben und mit Kohlenmonoxid ermordet. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Senta Henschels Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei, so auch bei Senta Henschel. Auf ihrem Geburtsregistereintrag wurde notiert, dass ihr Tod vom Standesamt Chelm II unter der Nr. 382/1941 registriert sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Senta Henschels Vater Moses war bereits im Januar 1930 im Alter von 71 Jahren gestorben. Nach den Angaben auf Senta Henschels Erbgesundheitskarte heiratete ihre älteste Schwester Mathilde. Näheres ist nicht bekannt. Eduard, Senta Henschels Bruder, der als Geschäftsführer in der Firma Behr Nachfolger (Herrengarderobe, Seeausrüstung) tätig war, flüchtete 1938 mit seiner Ehefrau Emma, geboren am 7. Januar 1899, und seinem damals elf Jahre alten Sohn Edgar in die USA. Er starb am 18. Mai 1972 in Frankfurt a. M. Senta Henschels Bruder Kurt soll in Dänemark gelebt haben. Über sein weiteres Schicksal, das ihres Bruders John und das ihrer Mutter Doris konnte nichts gefunden werden.


Stand: Juli 2019
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 9; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 2370 Geburtsregister Nr. 995/1895 Eduard Henschel, 2314 Geburtsregister Nr. 2429/1893 John Henschel, 2428 Geburtsregister Nr. 826/1897 Kurt Henschel, 2149 Geburtsregister Nr. 912/1887 Mathilde Henschel, 2795 Heiratsregister Nr. 382/1892 Moses und Doris Henschel geb. Israel, 3103 Geburtsregister Nr. 3103/1902 Senta Henschel, 8102 Sterberegister Nr. 58/1930 Moses Henschel; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 17810 Eduard Henschel; 351-14 Arbeits- und Sozialbehörde – Sonderakten Nr. 1264; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941. Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Erbgesundheitskarteikarte Senta Henschel. Wunder, Michael, Das Schicksal der jüdischen Bewohner der Alsterdorfer Anstalten, in: Wunder, Michael/Genkel, Ingrid/Jenner, Harald, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 248ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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