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Bereits verlegte Stolpersteine



Betty Lippmann in späten Jahren
© LAS

Betty Lippmann * 1878

Neanderstraße 22 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
BETTY LIPPMANN
JG. 1878
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Betty Lippmann, geb. am 6.1.1878 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Neuer Steinweg 22/Ecke Ludwig-Erhard-Straße (ehemals Neuer Steinweg 51)

Betty Lippmann war eines von fünf Kindern der jüdischen Eheleute Leffmann Mendel Lippmann, geboren 1844 in Hamburg, und Hanna, geborene Beer. Bettys Mutter Hanna stammte aus einer weit verzweigten Hamburger Familie. Sie hatte elf Geschwister, zwei Halbschwestern, Julie und Emma, aus der ersten Ehe ihres Vaters Beer Mendel Beer (später Hirsch Mendel Beer) und neun Geschwister aus dessen zweiter Ehe.

Beer Mendel Beer war etwa 1812 zur Welt gekommen. Er war in erster Ehe mit Berta Beer, geborene Marcus, geboren am 7. Januar 1826 in Hamburg, verheiratet. Nach der Scheidung heiratete Beer Mendel Beer 1851 Röschen, geborene Prag, geboren 1827 in Hamburg. Zu den zehn Kindern dieses Ehepaares gehörte Hanna, Betty Lippmanns Mutter. Beer Mendel Beer starb 1893, Röschen Beer 1895. Berta Beer, Beer Mendels erste Ehefrau, überlebte beide. Sie starb mit 82 Jahren am 28. Juli 1908 in der Bornstraße 8 im Grindelviertel im Stadtteil Rotherbaum. In ihrer Sterbeurkunde wird sie als Witwe des verstorbenen früheren Schlachters Beer Mendel Beer bezeichnet.

Hanna Beer, geboren am 13. Juni 1853 in Hamburg, und der Kaufmann Leffmann Mendel Lippmann heirateten am 22. Oktober 1872. Aus dieser Ehe stammten Siegfried Lippmann, geboren am 25. April 1876, Betty Lippmann, geboren am 6. Januar 1878, Clara Lippmann, geboren am 19. November 1880, Emma Lippmann, geboren am 6. April 1882, und Hedwig Lippmann, geboren am 1. Februar 1885. Zwei weitere Kinder wurden 1878 und 1883 tot geboren. Die Familie lebte zunächst in der Hamburger Neustadt, verlegte ihren Wohnsitz dann jedoch nach Kiel.

Betty Lippmann, deren Mutter 1900 oder 1901 in der Fördestadt starb, galt in der Kindheit als exzentrisch, soll aber in der Schule gut gelernt haben. Sie war als Verkäuferin und Kassiererin berufstätig.

Mit 23 Jahren kam Betty Lippmann am 11. März 1901 zum ersten Mal wegen psychischer Probleme in die Psychiatrische Klinik des Universitätskrankenhauses in Kiel. Nach der Entlassung folgten wenig später weitere mehrmonatige Klinikaufenthalte in Kiel, bis Betty Lippmann schließlich 1906 für vierzehn Jahre in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Neustadt/Holstein aufgenommen wurde, unterbrochen von gelegentlichen Urlauben bei Verwandten in Kiel und Hamburg.

In der Familie bestand Anfang 1920 der Eindruck, dass Betty, die Stadtgänge unternehmen durfte, eine Tätigkeit außerhalb der Anstalt aufnehmen könnte. Der Landeshauptmann der Provinz Schleswig-Holstein äußerte sich aber ablehnend: "... erwidere ich Ihnen ergebenst, dass Ihrer Schwester Betty zu einer Stellung von hier aus leider nicht verholfen werden kann, weil sie nach dem von mir eingeforderten ärztlichen Gutachten zur Aufnahme einer Tätigkeit außerhalb der Anstalt bei der großen Labilität ihres psychischen Gleichgewichts nicht geeignet erscheint."

Anfang März 1920 setzte Hedwig Kloot, Bettys inzwischen verheiratete jüngste Schwester, auf Bettys Wunsch und gegen den Rat der Anstaltsleitung die Verlegung in die Provinzial-Heilanstalt Schleswig-Stadtfeld durch. Bereits vorher war Betty Lippmann zum Christentum konvertiert. Ihre Patientenakte enthält eine kurze Notiz über ihre Religionszugehörigkeit, vermerkt bei der Aufnahme in Schleswig: "mosaisch, jetzt evangelisch". Der Religionsübertritt ist jedoch nicht näher dokumentiert. Der Ortswechsel nach Schleswig erwies sich schon drei Monate später als Fehlentscheidung.

Betty vermisste die von ihr in Neustadt empfundene Ruhe und das Ostsee-Meeresklima. Während eines Urlaubs in Kiel wandte sie sich mit einem eindringlichen Brief an den Landeshauptmann der preußischen Provinz Schleswig-Holstein, Karl Graf von Platen-Hallermund. Sie bat nachdrücklich und schließlich erfolgreich um ihre Rückverlegung nach Neustadt. Dort scheint sich Betty Lippmann mit den Verhältnissen eingerichtet zu haben. Im Vorfeld einer Untersuchung in der Universitätsfrauenklinik Kiel beschrieb die Neustädter Anstalt sie 1930 wie folgt: "Frl. B. Lippmann ist eine besinnliche Debile mit reichlichen psychogenen Zügen. Sie genießt hier volle Stadtfreiheit und führt Besorgungen gern und zuverlässig aus."

1932 stellte sich bei Betty Lippmann ein Augenleiden ein, das in der Augenklinik des Hamburger Universitätskrankenhauses kuriert werden sollte. Aus dem Schriftwechsel um die Übernahme der Kosten für diese Behandlung wissen wir, dass Betty Lippmann für die Zeit der Augenbehandlung im Emilienstift der diakonischen Anstalt Anscharhöhe in Lokstedt (heute Hamburg-Eppendorf), Tarpenbekstraße 107, lebte. Anschließend kehrte sie nach Neustadt zurück.

Im April 1937 unternahm Betty Lippmann einen Versuch, aus Neustadt entlassen zu werden. Sie war nun 59 Jahre alt und strebte eine Unterkunft in einer christlichen Alteneinrichtung in Hamburg an. Der Versuch blieb erfolglos. Sie blieb noch mehrere Jahre in Neustadt.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Betty Lippmann traf am 13. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September wurde sie mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxid. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Betty Lippmanns Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Auch auf dem Geburtsregistereintrag von Betty Lippman wurde notiert, dass das Standesamt Chelm II ihren Tod unter der Nummer 280/1941 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm/Cholm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Hedwig Kloot, geborene Lippmann, die sich intensiv um ihre Schwester Betty gekümmert hatte, starb am 21. September 1922, ihr Ehemann Hans Kloot am 6. Mai 1923, beide im Alter von nur 37 Jahren.

Clara Lippmann lebte in Wien, wahrscheinlich war sie dort verheiratet. Sie starb am 15. August 1969 im Wiener Krankenhaus Mariahilf.

Über Emma und Siegfried Lippmanns Schicksal ist nichts bekannt.

Stand: Juli 2019
© Ingo Wille

Quellen: 4; 5; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-3 Zivilstandsaufsicht B 49 Heiratsregister Lippmann/Beer Nr. 2438/1872; 332-5 Standesämter 872 Sterberegister Nr. 381/1923 Hans Kloot, 347 Sterberegister Nr. 1158/1893 Beer Mendel Beer, 851 Sterberegister Nr. 1432/1922 Hedwig Kloot, 1882 Geburtsregister Nr. 2122/1876 Siegfried Lippmann, 1927 Geburtsregister Nr. 83/1878 Betty Lippmann, 1985 Geburtsregister Nr. 5529/1880 Clara Lippmann, 2027 Geburtsregister Nr. 1709/1882 Emma Lippmann, 2099 Geburtsregister Nr. 603/1885 Hedwig Beer, 2058 Geburtsregister Nr. 4350/1883 Lippmann ohne Namen, 7897 Sterberegister Nr. 510/1895 Röschen Beer, 7992 Sterberegister Nr. 360/1908 Berta Beer, 8937 Geburtsregister Nr. 1152/1879 Lippmann ohne Namen; Landesarchiv Schleswig LAS Abt. 377 Nr. 3810 Patiententakte Betty Lippmann; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 1939 bis 27. 1. 1941; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig; Adressbuch der Stadt Kiel 1914.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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