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Betty Mannheim * 1887

Semperstraße 87 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
BETTY MANNHEIM
JG. 1887
EINGEWIESEN 1936
HEILANSTALTLANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Betty Mannheim, geb. am 27.2.1887 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Semperstraße 87, Hamburg-Winterhude

Betty Mannheim war das älteste der vier Kinder von Ernst August Mannheim, geboren am 18. Februar 1839 in Eldagsen (heute Stadtteil von Springe in Niedersachsen), und seiner Ehefrau Friederike (Frieda), geborene Deitelzweig, geboren am 21. März 1854 in Hildesheim. Das jüdische Paar heiratete am 21. März 1884 in Hamburg und wohnte viele Jahre in der Bornstraße 12 im Stadtteil Rotherbaum. Hier kam Betty Mannheim am 27. Februar 1887 zur Welt, ebenso ihre Geschwister: Johanne, am 1. Februar 1888, Emma am 2. November 1889 und Otto am 15. Oktober 1891. Emma starb im Alter von zwei Jahren am 2. November 1891.

Ernst August Mannheim handelte bis ins hohe Alter mit Maschinenbedarfsartikeln. Die Familie verlegte ihren Wohnsitz etwa 1898 nach Hohenfelde, lebte mehrere Jahre in St. Georg, dann mehr als zehn Jahre im Erlenkamp im Stadtteil Uhlenhorst und schließlich in der Stammannstraße 31 in Winterhude. Betty und Johanne Mannheim wohnten bei ihren Eltern, bis diese 1933 ihr letztes Domizil im Altenhaus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in der Sedanstraße 23 in Rotherbaum fanden. Während Johanne Mannheim dann ein Zimmer in der Isestraße 27 bei dem Arztehepaar Frida und Martin Braunschweiger bezog, ließ Betty Mannheim sich in der Semperstraße 87 in Winterhude nieder. Von ihrem Einkommen als Kontoristin und Sekretärin zahlte sie von 1924 bis 1936 regelmäßig Kultussteuer an die Jüdische Gemeinde.

Am 25. Januar 1934 starb Bettys Mutter. Friederike Mannheims Beerdigung fand am 29. Januar auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf-Ilandkoppel statt.

1935/1936 erkrankte Betty Mannheim. Sie wurde in der Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg aufgenommen und am 14. Oktober 1936 mit einem Sammeltransport in die Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn eingeliefert. Die Diagnose lautete "Schizophrenie". Ihre Einweisung geschah auf der Grundlage des Paragraphen 22 des Hamburger Verhältnisgesetzes. Diese Vorschrift ermöglichte den Polizeibehörden, "Personen in Verwahrung zu nehmen, wenn der eigene Schutz dieser Personen oder die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ruhe oder die Abwendung von Gefahren für andere Personen" dies erforderlich machten. Betty Mannheim hatte im Sommer 1936 aus Angst vor einem Arbeitsplatzverlust versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie sprach in den Jahren, in denen sie in Langenhorn war, wiederholt von einem schrecklichen Verbrechen, das sie begangen habe. Sie war von Schuldgefühlen beherrscht, es wurde jedoch nie deutlich, seit wann die Schuldgefühle bestanden und wodurch sie ausgelöst worden waren.

Am 22. November 1937 wurde Betty Mannheim in die Heilanstalt Strecknitz in Lübeck verlegt. Dort wurden aufgrund der überfüllten Hamburger Einrichtungen immer wieder Patientinnen und Patienten aus Hamburg untergebracht. Zudem entstanden in Strecknitz infolge des niedrigeren Pflegesatzes geringere Kosten. Johanne Mannheim besuchte ihre Schwester Betty mehrmals in Strecknitz und kümmerte sich sehr um ihr Wohlergehen. So war es nur folgerichtig, dass das Hamburger Amtsgericht Johanne Mitte 1938 zu Bettys Vermögenspflegerin bestellte. Gegen Ende 1938 sah Johanne jedoch keine Zukunft mehr für sich in Deutschland und bereitete die Ausreise vor. An Johanne Mannheims Stelle als Vermögenspflegerin trat nun die Mitarbeiterin der Wohlfahrtsstelle des Jüdischen Religionsverbandes in Hamburg, Martha Samson. Im November 1938 besuchte Johanne Mannheim ihre Schwester ein letztes Mal. Sie schiffte sich am 8. Dezember 1938 nach Peru ein. Auch von dort war sie um Betty besorgt. Johanne hatte den Eindruck gewonnen, dass sich die Ärzte und besonders eine Krankenschwester in Strecknitz fürsorglich um Betty bemühten und brachte gegenüber der Hausleitung wiederholt ihren Dank an die Ärzte und an Schwester Maria Jacobson zum Ausdruck.

In einem Schreiben an die Anstaltsleitung machte sie zudem darauf aufmerksam, dass auf dem Jüdischen Friedhof an der Straße Ilandkoppel in Hamburg-Ohlsdorf eine Grabstätte neben der der Eltern für Betty reserviert sei.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Betty Mannheim traf am 16. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September 1940 wurde sie mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxid. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Ernst August Mannheim, Bettys Vater, lebte zu dieser Zeit noch im Altenhaus in der Sedanstraße 23. Er war inzwischen 101 Jahr alt geworden. Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann er oder Bettys Schwester Johanne Kenntnis von Bettys Tod erhielten. Auf dem Geburtsregistereintrag von Betty Mannheim wurde notiert, dass sie am 7. Dezember 1940 gestorben sei und das Standesamt Chelm II ihren Tod unter der Nummer 599/1940 registriert hat. In allen dokumentierten Sterbemitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) östlich von Lublin verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. In Chelm gab es auch nie ein deutsches Standesamt. Seine Erfindung und die Verwendung falscher Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Ernst August Mannheim, Bettys Vater, lebte zu dieser Zeit noch im Altenhaus in der Sedanstraße 23. Er starb mit 102 Jahren am 17. April 1941. Über Otto Mannheim, Bettys Bruder, geben die Hamburger Archive keine Auskunft. Möglicherweise verließ er seine Geburtsstadt schon in jungen Jahren.

Martha Samson, die zuletzt auch Bettys Vormund war, erhielt den Deportationsbefehl für den Transport am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt. Von dort wurde sie am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz weiterdeportiert. Für sie liegt ein Stolperstein in der Hartungstraße 12 in Hamburg-Rotherbaum.


Stand: Juli 2019
© Ingo Wille

Quellen: 1; 3; 5; 7; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 232-5 Amtsgericht Hamburg – Vormundschaftswesen 1057; 332-5 Standesämter 1024 Sterberegister Nr. 43/1934 Friederike Mannheim, 2665 Heiratsregister Nr. 1379/1884 Ernst August Mannheim/Friederike Deitelzweig, 7858 Sterberegister Nr. 2270/1891 Emma Mannheim, 8174 Sterberegister Nr. 138/1941 Ernst August Mannheim, 9019 Geburtsregister Nr. 883/1887 Betty Mannheim, 9031 Geburtsregister Nr. 665/1888 Johanne Mannheim, 9046 Geburtsregister Nr. 1157/1889 Emma Mannheim, 9065 Geburtsregister Nr. 1462/1891 Otto Mannheim; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 2/1995 Krankenakte 23564 Betty Mannheim; IMGWF Lübeck, Archiv, Patientenakte Betty Mannheim der Heilanstalt Lübeck-Strecknitz; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch; Schleswig. Vielliez von, Anna, Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg 2009, S. 235 (Martin Braunschweiger). Delius, Peter, Das Ende von Strecknitz. Die Lübecker Heilanstalt und ihre Auflösung 1941, Kiel 1988, S. 71.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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