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Moszek Sroka * 1889

Wilstorfer Straße 76 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
MOSZEK SROKA
JG. 1889
"POLENAKTION" 1938
BENTSCHEN / ZBASZYN
ERMORDET IM
BESETZTEN POLEN

Weitere Stolpersteine in Wilstorfer Straße 76:
Ester Sroka

Ester Sroka, geb. Feigen, geb. am 8.8.1900 in Zloczew, abgeschoben im Rahmen der Polen-Aktion nach Zbaszyn am 28.10.1938, ermordet im besetzten Polen
Moszek Sroka, geb. am 29.9.1889 in Zloczew, abgeschoben im Rahmen der Polen-Aktion nach Zbaszyn am 28.10.1938, ermordet im besetzten Polen

Wilstorfer Straße 76, Stadtteil Harburg-Altstadt

Ester Sroka wurde im ersten Jahr des 20. Jahrhunderts in der Kleinstadt Zloczew im Landkreis Sieradz als achtes Kind ihrer jüdischen Eltern Abram und Alta Feigen geboren. Der Ort in der Industrieregion Lodz mit einer nahezu ausschließlich polnischen und jüdischen Bevölkerung, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbrachte, gehörte damals zu dem Teil des ehemaligen Königreiches Polen-Litauen, der nach der dritten Polnischen Teilung in Personalunion mit dem russischen Zarenreich verbunden war. Die Westexpansion Russlands stellte das Zarenreich vor Probleme, die im Laufe des 19. Jahrhunderts eher größer als kleiner wurden und letztlich ungelöst blieben.

In allen Teilen des Zarenreiches – aber vor allem in den neu gewonnenen Gebieten – litten die Juden in zunehmendem Maße nach 1795 nicht nur unter den zahlreichen anti-jüdischen Gesetzen und Erlassen der Zaren, die zu einer immer größeren Armut führten. Noch härter traf sie die wachsende latente und offene Judenfeindschaft der gesellschaftlichen Kräfte - u. a. des russischen Adels und der russisch-orthodoxen Priesterschaft sowie des polnischen Adels und der katholischen polnischen Geistlichkeit - , die in allen Regionen des Riesenreiches - und auch in den neu annektierten Gebieten – an einer Bewahrung des status quo oder an einer Wiedergeburt Polens interessiert waren. Ihre Judenfeindschaft fiel auch beim russischen und polnischen Industrie- und Agrarproletariat auf fruchtbaren Boden.

In den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und in den ersten beide Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erschütterten mehrere Pogromwellen das Zarenreich. Die erste Pogromwelle von etwa 250 gewalttätigen Übergriffen auf Juden und ihre Einrichtungen erfasste das Zarenreich nach dem tödlichen Attentat auf den Zaren Alexander II. im Jahre 1881, in dem weite Kreise der russischen Bevölkerung das Wirken einer vermeintlich jüdischen Verschwörung zu erkennen glaubten. Die Folge waren eine Verschärfung der judenfeindlichen Gesetzgebung unter Zar Alexander III. und ein sprunghaftes Anwachsen des Fremdenhasses in der russischen Gesellschaft.

Eine zweite noch blutigere Pogromwelle von ca. 600 gewalttätigen Übergriffen auf Juden und ihre Einrichtungen auch in vielen westlichen Regionen des Zarenreiches folgte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die erhöhte Gewaltbereitschaft zahlreicher Teilnehmer war oft auch eine Reaktion auf die zunehmende Aktivität vieler sozialrevolutionärer Gruppen, in denen vereinzelt z. T. auch Juden vertreten waren.

Angesichts dieser Umstände versuchten immer mehr osteuropäische Juden, diesem Leid und dieser Not zu entkommen. Ihre Hoffnungen auf eine bessere Zukunft konzentrierten sich auf Mittel- und Westeuropa und vor allem auf die USA. Zwischen 1881 und 1914 verließen etwa 2 Millionen Juden Russland. Allein im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wanderten über eineinhalb Millionen Juden aus Russland in die USA aus. Über eine Million dieser Auswanderer waren Juden, die meist vor den Verfolgungen flohen, die nach 1881 im zaristischen Russland inklusive der annektierten polnischen Gebiete in verstärktem Maße zu verzeichnen waren.

Der Erste Weltkrieg war mit tiefgreifenden Veränderungen für die osteuropäischen Juden – vor allem in den Gebieten, in denen der Traum von einer Wiedergeburt Polens nie gestorben war – verbunden. Sowohl die Mittelmächte als auch das zaristische Russland und später dann auch seine Verbündeten versuchten, die polnische Bevölkerung durch Zusagen für die Neugründung eines polnischen Staates für sich zu gewinnen.

Der Weltenbrand, der mit dem Waffenstillstand zwischen den Mittelmächten und ihren Gegnern auf der Grundlage des 14-Punkte-Programms des amerikanischen Präsidenten Wilson am 11.11.1918 endete, war zugleich auch die Geburtsstunde eines neuen polnischen Staates.

Schon kurz danach kam es auch in diesem neu gegründeten Staat zu mehreren Pogromen. Den polnischen Juden wurde dabei oft unterstellt, die Bolschewiki, die bereits weite Teile Russlands unter ihre Kontrolle gebracht hatten und weiter auf dem Vormarsch in Richtung Polen waren, zu unterstützen.

Auf Drängen jüdischer Organisationen, die die bürgerliche Gleichberechtigung der Juden in Polen und ihren Schutz vor staatlicher Gewalt gesichert wissen wollten, sah die polnische Regierung sich bei den Pariser Friedensverhandlungen im Jahre 1919 dazu gezwungen, ein Minderheitenschutzabkommen, das für Juden, Ukrainer, Deutsche und Litauer galt, abzuschließen. Es garantierte den genannten Minderheiten das Recht auf Bewahrung ihrer Eigenart, Dazu gehörte für Kinder und Jugendliche auch das Recht, öffentliche Schulen zu besuchen, in denen der Unterricht in ihrer Muttersprache erteilt wurde.

Zu denen, die vor dem Ersten Weltkrieg oder kurz danach ihre Heimat verließen, gehörten auch alle Mitglieder der Familie Feigen aus Zloczew im Landkreis Sieradz. Ihre Flucht vor weiterer Verfolgung endete für die meisten von ihnen in den USA. Als letzte erreichten Alta und Abram Feigen mit ihrer jüngsten Tochter Malka (Mildred) am 9. Dezember 1920 Ellis Island, das Tor zur `Neuen Welt´. Für die beiden verheirateten Töchter Frieda Gelbart, geb. Feigen (siehe www.stolpersteine-hamburg.de), und Ester Sroka, geb. Feigen, wurden Altona und Harburg zur neuen Heimat.

Frieda und Jakob Gelbart erreichten Altona schon vor dem Ersten Weltkrieg. Im Sommer 1913 zählten sie bereits zu den Bewohnerinnen und Bewohnern eines Hauses in der Großen Mühlenstraße (heute Amundsenstraße). Wann genau Ester und Moszek Sroka nach Harburg am anderen Elbufer gelangten, wissen wir nicht mit letzter Sicherheit. Spätestens zu Beginn der 1920er Jahre fanden sie in Harburg eine neues Zuhause. 1921 war Moszek Sroka an diesem Ort als selbständiger Schneider tätig, wie aus den Unterlagen der Harburger Handwerkskammer zu ersehen ist. In der Handwerksrolle ist er als Inhaber einer Schneiderei verzeichnet.

Viele alteingesessene jüdische Familien Harburgs waren finanziell recht gut situiert und auch gesellschaftlich weitgehend anerkannt, während unter den Zuwanderern zahlreiche Juden waren, die vom Klein- und Kleinsthandel lebten und meist unter sich blieben.

Unterschiede gab es auch in der religiösen Orientierung. Die neuen Gemeindemitglieder waren stärker traditionell-religiös orientiert, sie hielten besonders an der koscheren Küche und an anderem jüdischen Brauchtum fest, das in den alteingesessenen jüdischen Familien der Stadt meist weniger intensiv gepflegt wurde.

Am 14. Juni 1922 freuten sich Ester und Moszek Sroka über die glückliche Geburt ihres Sohnes Heinrich. Die Familie wohnte zunächst laut Harburger Adressbuch für kurze Zeit in der Schlossstraße 38, und dann mehrere Jahre lang in der Lämmertwiete 1. Anfang der 1930er Jahre zog sie in die Neue Straße 6 und von dort in eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Küche in der ersten Etage eines Mehrfamilienhauses in der Wilstorfer Straße 76. Ein Ladengeschäft im Erdgeschoss wurde von Moszek Sroka lediglich als Ausstellungsraum genutzt. Er hatte keine Angestellten für die Werkstatt oder beim Verkauf seiner in Eigenarbeit hergestellten Ware.

Moszek Sroka gehörte zunächst als Mitglied der Harburg-Wilhelmsburger Synagogengemeinde und ab 1938 der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg an, nachdem die drei einst preußischen Gemeinden Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg ihre Selbständigkeit verloren hatten. Seine Einkünfte waren so gering, dass er keine Kultussteuer zu zahlen brauchte.

Sohn Heinrich Sroka besuchte ab 1. April 1930 die jüdische Talmud-Tora-Schule im Grindelviertel in Hamburg-Eimsbüttel. Er wollte später Bauingenieur werden. Doch bevor ihm der dafür erforderliche Schulabschluss gelang, wurden er und seine Eltern sowie ca. 17.000 weitere jüdische Männer, Frauen und Kindern in vielen Orten des Deutschen Reich am 28. Oktober 1938 verhaftet und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an die deutsch-polnische Grenze bei Neu Bentschen und Konitz abgeschoben.

Hintergrund dieser Aktion der Reichsregierung war eine Neuregelung der polnischen Passbestimmungen, die alle Polen, die seit mehr als fünf Jahren im Ausland lebten, dazu aufforderte, ihre Pässe bis zum 31. Oktober 1938 verlängern zu lassen, wenn sie weiterhin an einer polnische Staatsbürgerschaft interessiert seien. Die Anträge von Juden wurden jedoch nur sehr zögerlich bearbeitet und oft auch abgelehnt. Die Betroffenen verloren damit ihre polnische Staatsbürgerschaft und wurden staatenlos. Die nationalsozialistische Reichsregierung wiederum fürchtete den Verbleib Tausender ehemals polnischer jüdischer Staatenloser, verkündete am 26. Oktober 1938 ein Aufenthaltsverbot für alle in Deutschland lebenden Juden polnischer Herkunft, die keinen gültigen Pass besaßen und bereitete eine massenhafte Abschiebung dieser Personen vor.

Stunden zuvor waren sie zu Hause oder an ihrem Arbeitsplatz verhaftet, zu einem nahe gelegenen Bahnhof getrieben und in schwer bewachten Zügen nach Osten verfrachtet worden. Der Hamburger Transport, in dem sich neben Heinrich Sroka und seinen Eltern auch seine Tante Frieda, sein Onkel Jakob und sein Cousin Josef Gelbart befanden, verließ den Altonaer Bahnhof noch am gleichen Abend. An die Ankunft dieser Menschen am Zielort erinnert sich Josef Gelbarts Bruder Bernhard (Dan) in bewegenden Worten. "Tausende von Menschen waren im Bahnhof Zbaszyn zusammengepfercht. Körper an Körper, Kopf an Kopf, dicht gedrängt wie eine Herde Vieh, die Zuflucht vor einem herannahenden Sturm sucht. Nur einen Tag vorher waren sie als Hausfrauen, Familienoberhäupter und Schulkinder in aller Ruhe noch ihren Beschäftigungen nachgegangen. Dann plötzlich wurden sie mit Zügen zur Grenze gebracht und bei Nacht von aufgepflanzten Bajonetten durch das Niemandsland getrieben. Die Schwachen stolperten, die Kranken fielen. Arme umklammerten verzweifelt einige wenige Habseligkeiten. Bald nachdem sie die Bahnhofshalle erreicht hatten, ließen sich die Verzweiflung der Eltern, der Hunger der Kinder und das Leid der Kranken nicht länger unterdrücken. Bald schon konnten auch die polnischen Grenzposten das Schluchzen und Schreien nicht mehr unter Kontrolle halten, das gegen die dunklen Mauern der Bahnhofshalle anstürmte."

Die polnische Regierung ließ nur diejenigen weiterreisen, die nachweisen konnten, dass sie Verwandte in Polen hatten, die sie aufnehmen würden. Alle anderen wurden zunächst an der Grenze festgehalten und durften ihren Marsch dann doch noch mit einiger Verspätung bis zum nächsten Wohnort, dem kleinen polnischen Grenzdorf Zbaszyn (Bentschen) mit ca. 4.000 Einwohnern, fortsetzen. Hier kam ein Großteil der Vertriebenen in einer ehemaligen Kaserne und den dazugehörigen Pferdeställen unter, schliefen auf einfachen Strohlagern, litten unter den mehr als erbärmlichen sanitären Verhältnissen. Auch die Lebensmittelversorgung ließ anfangs viel zu wünschen übrig, weil die lokalen Behörden auf diesen Ansturm in keiner Weise vorbereitet und somit völlig überfordert waren. Darüber hinaus war die absolute Isolierung von der Außenwelt für die Vertriebenen in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft an diesem Ort ein großes Problem.

Im Laufe der folgenden Zeit besserte sich die Lage langsam. Einige Vertriebene, darunter auch Moszek Sroka, durften kurzfristig in das Deutsche Reich ausreisen, um dort ihren Haushalt oder ihr Geschäft aufzulösen und ihre Vermögensangelegenheiten zu regeln. Die Liquidationserlöse mussten allerdings auf ein Sperrkonto überwiesen werden. Auch wer Papiere für eine Emigration vorlegen konnte, durfte das Internierungslager verlassen. Diese Möglichkeit ergriff Heinrich Sroka, als er sich im Frühjahr 1939 vermutlich auf Anraten seines Cousins Bernhard Gelbart dazu entschloss, in das Hachschara-Zentrum des Hechaluz in Grochow bei Warschau überzusiedeln, um dort eine landwirtschaftliche Ausbildung zu beginnen. Sie war eine wichtige Voraussetzung für die Realisierung seines Plan, nach Palästina auszuwandern und ein neues Leben in einem Kibbuz zu beginnen.

Bevor die deutsche Wehrmacht Ende September 1939 die polnische Hauptstadt besetzte, gelang vielen Mitgliedern dieses Ausbildungszentrums unter Leitung Bernhard Gelbarts die Flucht über Wilna nach Litauen. In dieser Gruppe befand sich auch Heinrich Sroka. Von Litauen aus gelangten die Flüchtlinge im Frühjahr 1941 noch vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion nach Palästina.

Kurz vor der endgültigen Schließung des Internierungslagers Zbaszyn konnten Ester und Moszek Sroka diesen Ort verlassen und nach Zloczew übersiedeln. Nach der Besetzung Polens durch deutsche Truppen im September 1939 zogen sie von dort aus einige Monate später nach Warschau, wo sie in der Milastraße im Zentrum des Stadtgebiets unterkamen, das ab November 1940 von den anderen Teilen der Stadt durch eine Mauer abgeriegelt wurde. Dort hatten inzwischen auch Frieda und Josef Gelbart eine mehr als notdürftige Behausung gefunden.

Im Winter 1940/41 setzte die nächste Phase ihres Martyriums ein. Je undurchdringlicher die Mauer wurde, die den jüdischen Wohnbezirk in Warschau von den anderen Teilen der Stadt trennte, desto stärker wuchs bei den Eingesperrten das Gefühl, jetzt in einem Gefängnis ohne Ausgänge zu leben, und desto glaubhafter wurden selbst die schlimmsten Befürchtungen. Die knappen Hinweise auf die Realität in diesem Wartesaal des Todes, die in den Briefen Josef Gelbarts an seinen früheren Arbeitgeber und väterlichen Freund Hans Stockmar in Kaltenkirchen zu finden sind, lassen die Not und die Verzweiflung der Bewohnerinnen und Bewohner dieses Sperrbezirks erahnen. In seinem Brief vom 4. Mai 1942 ließ er keinen Zweifel an der Armut, die hier allgegenwärtig war, und an der Ausbeutung der Eingesperrten durch profitsüchtige Unternehmer, indem er darauf hinwies, dass Ester und Moszek Sroka in einer Textilfabrik arbeiteten und sich von dem Lohn für ihre täglichen 12 Arbeitsstunden gerade einmal eine Scheibe trockenes Brot kaufen konnten. Sie besaßen "nur [noch] das, was sie auf dem Körper" trugen.

Auch die sonstigen Lebensumstände waren unerträglich. Die Stromversorgung war ebenso unzureichend wie die Abwasserentsorgung, was Josef Gelbart mit den Worten skizzierte: "Es gibt kein Wasser, da alles eingefroren ist, keinen Ausguss und überall häuft sich der Schmutz. Ach, es ist alles ohne Ufer." Über 100.000 Männer, Frauen und Kinder erkrankten in der Zeit zwischen April 1941 und Mai 1942 an Flecktyphus. Geschwülste und Hungerödeme trugen ebenfalls zum hohen Krankenstand der Gettobewohnerinnen und -bewohner bei. Die deutschen Behörden rührten angesichts dieses Elends keinen Finger und ließen die jüdischen Ärzte und Krankenhäuser mit ihren Anstrengungen zur Eindämmung der Krankheiten allein. Die Schwächung der Lebenskraft dieser "Feinde des deutschen Volkes" war ganz in ihrem Sinne.

Auch Josef Gelbart und seine Tante Ester Sroka blieben von Krankheiten nicht verschont, wie sein Brief vom 1. Februar 1942 zeigt: "Das neue Jahr hat gar nicht gut für uns begonnen. (...) Ein Furunkel am Knie hatte mich lahmgelegt. Gleichzeitig liegt die Schwester meiner Mutter (aus Harburg) am Flecktyphus schwer darnieder. Sie ist schon seit acht Tagen nicht mehr bei Sinnen (…)." Auch Frieda Gelbart war gesundheitlich angeschlagen. Sie hatte bereits zuvor mehrere Wochen im Bett verbracht und sich danach kaum von dieser Schwächung ihrer Gesundheit richtig erholt, als sie erneut krank wurde. Selbst ihr Sohn war jetzt mit seinen Kräften am Ende. Im Mai 1942 ist in seinen Briefen kaum noch etwas von Mut und Hoffnung zu spüren. Er haderte mit dem Schicksal, dem er hilflos ausgeliefert war. Lange hatte er allen Angriffen auf seine Gesundheit getrotzt, nun aber fehlte auch ihm die Kraft für die Suche nach einem Ausweg aus dem Leid, wozu seine Mutter, seine Tante und sein Onkel schon lange nicht mehr in der Lage waren. In der letzten Postkarte, die Hans Stockma aus Warschau erhielt, klingen die Worte seines leidgeprüften Freundes fast wie ein Abschied: "Mir selbst will es gar nicht gut gehen, ich bin sehr schwach und von Gott und allen verlassen. (…) Es ist eine sonderbare Erscheinung, dass sich alle Türen schließen. Die Sonne scheint und es ist Frühling – auch hier – aber weh dem, der schwach wird." Danach wartete Hans Stockma vergeblich auf ein weiteres Lebenszeichen aus Warschau.

Auch andere, die den vier aus Altona und Harburg vertriebenen Menschen nahe standen, wissen nicht, wie deren Leben endete. Gehören sie zu denen, die an Flecktyphus im Warschauer Getto starben, oder zu denen, die zwei Monate später als Erste nach Treblinka abtransportiert wurden, weil sie krank und damit arbeitsunfähig waren?

Im Juli 1942 begann die massenhafte Ermordung der Bewohnerinnen und Bewohner dieses größten Gettos auf polnischem Boden. Treblinka war ein reines Vernichtungslager mit 10 Gaskammern, die die nationalsozialistischen Erbauer als Duschräume getarnt hatten. Das Gas bestand aus Kohlenmonoxid, das von Dieselmotoren erzeugt wurde und innerhalb von 20 bis 30 Minuten zum qualvollen Tod der Eingeschlossenen führte.

Ester und Moszek Sroka gehören ebenso wie Frieda, Jakob und Josef Gelbart zu den vielen Opfern des Holocaust, die kein Grab haben.

Stand: November 2020
© Klaus Möller

Quellen: Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, Jürgen Sielemann, Paul Flamme (Hrsg.), Hamburg 1995; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Staatsarchiv Hamburg 351-11_45269, 351-11_42162; Harburger Adressbücher; Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 – 1945, Geschichte. Zeugnis. Erinnerung. Hamburg 2006; Barbara Just-Dahlmann, Simon, Stuttgart 1980; Hans-Hermann Groppe, Ursula Wöst, Über Hamburg in die Welt, Hamburg 2007; Konrad Plieninger, "Ach, es ist alles ohne Ufer ...", Briefe aus dem Warschauer Ghetto, Göppingen 2002; Stephan Stockmar, "Nur ziehen Sie Ihre Hand in diesen dunklen Stunden nicht zurück." Briefe aus dem Warschauer Ghetto. Hans Stockmar posthum als Gerechter unter den Völkern geehrt, in: Die Drei. Zeitschrift für Anthroposophie in Wissenschaft, Kunst und sozialem Leben, 11, 2002; Wolfgang Benz, Lexikon des Holocaust. München 2002; Dan Gelbart, Homeward Flight, in: Gerhard Paul, Miriam Gillis-Carlebach (Hrsg.), Menora und Hakenkreuz, Hamburg 1998; http://www.michael-lausberg.de, Das jüdische Leben in Russland, aufgerufen am 1.11.2020; http://de.wikipedia.org/wiki/ Geschichte_der_Juden_in_ Russland, aufgerufen am 31. 10.2020. http://www.holocaustresearchproject.org/holoprelude/Zbaszyn.html., aufgerufen am 29.10. 2020; http://de.wikipedia.org/wiki/Hechaluz, aufgerufen am 2.11.2020; http://de.wikipedia /org/wiki/ Hachschara, aufgerufen am 2.11.2020.

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