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Erna Rosenkranz * 1902

Isestraße 54 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
ERNA ROSENKRANZ
JG. 1902
DEPORTIERT 1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 12.5.1942
CHELMNO / KULMHOF

Weitere Stolpersteine in Isestraße 54:
Else Rosenkranz, Oskar Rosenkranz

Oskar Rosenkranz, geb. 1.3.1876 in Goslar, am 25.10.1941 deportiert nach Lodz, am 12.5.1942 in Chelmno ermordet
Else Rosenkranz, geb. Levy, geb. 1.6.1879 in Coppenbrügge bei Hameln, am 25.10.1941 deportiert nach Lodz, am 12.5.1942 in Chelmno ermordet
Erna Rosenkranz, geb. 20.10.1902 in Goslar, am 25.10.1941 deportiert nach Lodz, am 12.5.1942 in Chelmno ermordet

Isestraße 54

Oskar Rosenkranz, am 1. März 1876 in Goslar geboren, war der zweite Sohn von Bertha und Nathan Rosenkranz, sein Bruder Siegmund war fünf Jahre zuvor ebenfalls in Goslar zur Welt gekommen.

Die Familie lebte von dem Einkommen, das Nathan als Tuch- und Manufakturwarenhändler verdiente. Das gut gehende Geschäft ermöglichte ihm den Kauf zweier Häuser, 1881 das Haus Vititorwall 4 und 1884 das Eckhaus Schilderstraße/Bahnhofstraße. Innerhalb der Jüdischen Gemeinde kam er als Vorstand der Synagogengemeinde – ein Amt, das er von 1881 bis 1884 innehatte – zu Ansehen.

Als Nathan Rosenkranz 1908 starb, wurde sein Besitz unter den Söhnen aufgeteilt. Siegmund erhielt das Haus am Vititorwall, Oskar jenes in der Schilderstraße. Da Siegmund zu jenem Zeitpunkt bereits in Hamburg lebte, zog seine Mutter Bertha in das Haus ein und lebte dort bis zu ihrem Tod 1925. Oskar über­nahm die Aufgabe, sich um die Geschäfte in Goslar zu kümmern.

Während der jüngere Bruder in seiner Heimatstadt blieb, heiratete Siegmund in Hamburg Nelly Angelina Isaacs, die Tochter eines britischen Konsuls. Mit ihr hatte er zwei Kinder, Walter, der Jurist wurde, und Katie, die einen Dänen heiratete.

Siegmund verstarb 1930, seine Frau und sein Sohn Walter holten Katie nach Hitlers Macht­ergreifung nach England, wo Walter seinen Beruf wechseln musste und nun als Kaufmann sein Geld verdiente, da ihm sein juristisches Wissen im Ausland wenig nützte.

In Goslar lebten Bertha und Oskar zusammen am Vititorwall. Über Bertha wird erzählt, sie habe ein sehr eigenwilliges Wesen gehabt. Der damalige Stadtwundarzt Dr. Nieper sagte von ihr als einer langjährigen Patientin: "[…] sie bestehe nur noch aus Haut und Haaren, die sie auf den Zähnen habe […]. Neben dieser dominanten Mutter wird es dem Sohn nicht leicht gefallen sein." Ihren Nachbarn erschien sie als alte Frau, die mit ihrem schwarzen Spitzenhäubchen die meiste Zeit am Fenster verbrachte und nur selten außerhalb des Hauses zu sehen war. Oskar blieb allerdings auch nach seiner Heirat mit Else Levy aus Coppenbrügge, dem Heimatort Berthas, bei der Mutter und das frisch vermählte Paar gründete seinen Hausstand im Hause Vititorwall 4.

Else stammte aus einer wohlsituierten Familie, die seit den 1870er Jahren in Coppenbrügge ansässig war. Vater Arnold war von 1901 bis 1909 Vorsteher der dortigen Jüdischen Gemeinde, betrieb ein florierendes Manufakturgeschäft und war Inhaber einer Fassholzfabrik. Nach seinem Tod 1911 übernahmen die Söhne Oskar und William sowie Schwiegertochter Selma den Betrieb, mussten ihn aber in den zwanziger Jahren wegen finanzieller Schwierigkeiten aufgeben.

Am 20. Oktober 1902 kam Elses und Oskars einzige Tochter Erna in Goslar zur Welt. Über sie erzählt eine ehemalige Nachbarin: "Da wir gern mit Nachbarkindern auf der Straße spielten, holten wir auch hin und wieder Erna […] dazu. Als aber Marta K., die uns gegenüber wohnte, in unseren Kreis treten wollte, sagte sie zu Erna: ,Nein, mit Dir spiele ich nicht, Ihr habt ja unsern Herrn Jesus ans Kreuz geschlagen.’ – Darauf sagte Klein-Erna, die einen Sprachfehler hatte und stotterte, besonders bei Aufregung: ,Iiiiich bbinns nnnich gewesen, meine Eltern auch nicht, ddann muss es unsere Oooltsche gewesen sein.’" Mit "Oltsche" war Großmutter Bertha gemeint.

Die Familie lebte zunächst von den Einnahmen des Geschäfts, das Oskar nach dem Tod des Vaters weiterführte, später traten die Tätigkeit als Handelsvertreter und die Vermietung von Immobilien als zusätzliche Geldquellen hinzu. Einer seiner ehemaligen Mieter berichtete über ihn: "Oskar Rosenkranz war mein Hauswirt. 1932 führte ich mit meinem Vater zusammen Miet­verhandlungen mit ihm, um den Laden des Fotohändlers Matt anzumieten. […] Damals war es für mich schwer, fast mittellos eine Fotohandlung zu beginnen, […]. Herr Rosenkranz nannte zunächst als Miete eine Summe, die wir nicht zahlen konnten. Und da lernte ich einen korrekten, zuvorkommenden Geschäftsmann kennen. Er sagte, als wir den Preis als zu hoch nannten, ich gehe 50 Prozent herunter in meinem Preis. Dann können Sie wenigstens einmal beginnen. Wenn das Geschäft später floriert, können wir ja über einen neuen Mietpreis verhandeln.‘ – Herr Rosenkranz hat den Mietpreis niemals erhöht."

Die Beschreibung einer Nachbarin von Oskar Rosenkranz lässt vermuten, dass er von eher zurückhaltendem Charakter war und nur wenige soziale Kontakte pflegte: "Er war klein, etwa 1,60 groß, trug eine Brille und war im Auftreten sehr bescheiden. Ich sah, dass er eine Art Buckel hatte, einen verwachsenen Rücken. Man sah ihm den Kummer über diese ständige Behinderung direkt an; man wurde dadurch nicht gerade ermuntert, Kontakte zu pflegen. Er ‚schob‘ sich seitlich dahin, immer etwas schwer gehend."

Nach Hitlers Machtübernahme wurde auch in Goslar das Klima für die jüdischen Mitbürger rauer. Die Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte und die Aufforderung, die Bevölkerung solle jüdische Handelsvertreter meiden, brachte die Familie Rosenkranz in finanzielle Schwierigkeiten. Im Zuge der Pogromnacht am 9. November 1938 kam es auch in Goslar zu Massenverhaftungen von Juden, von denen auch Oskar Rosenkranz betroffen war. Er wurde ins KZ Sachsenhausen eingeliefert, wo er als Häftling Nr. 010888 die Zeit bis zu seiner Entlassung am 23. November 1938 im Block Nr. 16 verbrachte.

1939 beschloss die Familie, Goslar zu verlassen und nach Hamburg zu gehen, das anonymer war und wo zudem verwandtschaftliche Beziehungen auf eine Möglichkeit, nach England auszuwandern, hoffen ließen. In Hamburg bezogen Oskar und Else gemeinsam mit der Tochter Erna eine Wohnung in der Isestraße 54.

Das Familienvermögen war durch den Verlust des Geschäftes und die erzwungene Aufgabe der Tätigkeit als Handelsvertreter stark geschrumpft. Neben einem Kapital von 2400 RM existierte als einzige Einnahmequelle das Einkommen von monatlich 319 RM aus dem Goslaer Grundstück.

Wohl in der Hoffnung auf eine baldige Emigration, beschloss Oskar auf dieses regelmäßige Einkommen zu verzichten und das Haus in Goslar zu verkaufen, wobei ihn sein Neffe Walter mit seinen juristischen Fähigkeiten unterstützte. Obwohl sie ohnehin von einem Verlustgeschäft ausgingen, scheiterte der Verkauf doch noch, weil der einzige Interessent kurz vor Vertragsabschluss absprang. Auch die Hoffnung auf Auswanderung zerschlug sich.

Gezwungenermaßen harrten Oskar, Else und Erna aus, bis sie auf die Deportationsliste für den Transport nach Lodz gesetzt wurden, wobei ihre Namen auf einer Ergänzungsliste standen, die 200 Namen enthielt, um eventuelle "Ausfälle" auszugleichen. Als Nr. 910, 911 und 912 wurde die Familie am 25. Oktober 1941 mit weiteren 1034 Personen deportiert. Im Getto Lodz lebten sie gemeinsam im Haus Kranichweg 13, bis sie im Vernichtungslager Chelmno am 12. Mai 1942 ermordet wurden.

Das Haus der Familie Rosenkranz in der Goslarer Schilderstraße existiert heute nicht mehr, da es in den fünfziger Jahren durch einen Neubau ersetzt wurde. Eigentümer war nach wie vor ein Rosenkranz, da der Besitz nicht "arisiert", sondern von der Stadt treuhänderisch verwaltet wurde, sodass der in England lebende Neffe Oskars, Walter, es erbte.

1956 besuchte Walter Goslar und nahm an einer Verhandlung über den geplanten Abriss teil. Ein damals ebenfalls teilnehmender Beamter des Bauamts berichtete: "Herr Roxton (früher Rosenkranz), der sonst ein stiller Teilnehmer an der Besprechung war […], äußerte sich bei dieser Gelegenheit, dass für den Fall eines Neubaus das Haus ‚Güldensternhaus‘ heißen solle. Er wünschte dies in Erinnerung an die Bewohner, die in der Nazizeit den gelben Judenstern tragen mussten." Um diesem Wunsch zu entsprechen, wurde am neu errichteten Geschäftshaus ein Hausschild mit zwei kleinen Sternchen angebracht.

© Eva Decker

Quellen: 1; 2; 4; 8; StaH, 552-1 Jüd. Gemeinden, 992 e 2, Bd. 1; StaH, 732-5 Adressbücher LS 19629/126; Archiv Sachsenhausen, Anweisung der Politischen Abteilung in Oranienburg. Sign. D 1 A/1015, Bl. 056; Hans Donald Cramer, Das Schicksal der Goslarer Juden 1933–45. Eine Dokumentation, Goslar 1986; Bernhard Gelderblom, Die jüdische Gemeinde Coppenbrügge, in: Bernhard Gelderblom: Hamelns Geschichte – abseits vom Rattenfänger, www.gelderblom-hameln.de.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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