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Bereits verlegte Stolpersteine



Dr. Max Reiner * 1899

Kentzlerdamm /Ecke Pröbenweg (Hamburg-Mitte, Hamm)


HIER WOHNTE
DR. MAX REINER
JG. 1899
FLUCHT 1933 FRANKREICH
INTERNIERT DRANCY
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Weitere Stolpersteine in Kentzlerdamm /Ecke Pröbenweg:
Wally Reiner

Vally Reiner, geb. Grünfeldt, geb. 10.1.1907 in Rostock, 1933 Exil in Frankreich, am 21.7.1942 ins Durchgangslager Drancy, deportiert 24.7.1942 nach Auschwitz
Dr. Max Reiner, geb. 20.2.1899 Radymno/Polen, 1933 Exil in Frankreich, am 21.7.1942 ins Durchgangslager Drancy, deportiert 24.7.1942 nach Auschwitz

Ecke Kentzlerdamm/Pröbenweg (früher: Kentzlersweg)

Vally Reiner stammte aus einer Mecklenburger jüdischen Kaufmannsfamilie. Sie war am 10. Januar 1907 in Rostock in der elterlichen Wohnung in der Kröpelinerstraße 5 als Walli Johanna Grünfeldt zur Welt gekommen. Sie blieb das einzige Kind Benno Grünfeldts und seiner Ehefrau Berta, geb. Radtke. Beide waren laut Wallis Geburtsurkunde mosaischer Religion. Sie hatten 1905 in England geheiratet.

Bertas Eltern, der Handlungsreisende Gustav Radtke, und seine Ehefrau Alwine, geb. Schwede, gehörten der evangelisch-lutherischen Kirche an. Berta Reiner, geb. 11.5.1881 in Schwerin, war 1906 zum Judentum übergetreten. Für Walli scheint ihre Zugehörigkeit zum Judentum nie in Frage gestanden zu haben.

Benno Grünfeldt, geb. 26.11.1875, stammte aus einer angesehenen Schweriner Familie. Sein Vater Abraham/Adolph hatte es im Großhandel mit Fellen und Häuten zu Wohlstand gebracht und unterhielt als Wollhändler Geschäftsbeziehungen nach England, die sein ältester Sohn, Benno, fortführte, während der jüngere Bruder, Emil, geb. 2.3.1877, Ingenieur wurde. Die Mutter Friederike Grünfeldt, geboren um 1848, stammte aus Parchim in Mecklenburg, wo ihr Vater Salomon Jaffé als Kaufmann ansässig war.

Am 4. Juli 1905 schloss Benno Grünfeldt auf dem Standesamt von Tendring in Essex die Ehe mit Berta Radtke, der Kaiserliche Deutsche Vizekonsul zu Harwich beglaubigte ihre Unterschriften. Sie kehrten nach Schwerin zurück, verlegten dann aber ihren Wohnsitz nach Rostock, wo sie in der Innenstadt in der Langen Straße 35 einen eigenen Textilhandel – Herrenmoden und Wäscheaussteuer - aufmachten. Heute befindet sich dort ein Leder- und Pelzwarengeschäft (2018).

Benno und Berta Grünfeldt führten gemeinsam das Geschäft. Trotz aller Widrigkeiten durch Krieg und Inflation waren Grünfeldts erfolgreiche Geschäftsleute, die sich auf den Handel mit Aussteuern konzentrierten. Sie richteten sich in einem großbürgerlichen Leben ein. Außer dem Geschäft besaßen sie Mietshäuser in Schwerin. Nach dem Tod Abraham/Adolph Grünfeldts zog seine Witwe Friederike nach Berlin, wo sie am 11. Juni 1919 starb.

Alwine Radtke, Wallis Großmutter mütterlicherseits, blieb nach dem Tod ihres Mannes Gustav in Schwerin wohnen, kam dann aber am Ende ihres Lebens zu ihrer Tochter Berta nach Rostock, wo sie am 6. Mai 1927 starb. Walli lebte zu der Zeit in Hamburg. Sie hatte das Lyzeum in Rostock besucht und dort 1925 oder 1926 die Abiturprüfung abgelegt.

Aufgewachsen in einem Milieu, in dem sich alles um Textilien drehte, absolvierte Walli Grünfeldt zunächst eine Schneiderlehre in Hamburg. Nachdem sie die Gehilfenprüfung mit einem sehr guten Ergebnis bestanden hatte, arbeitete sie als Modistin.

Am 16. Oktober 1929 heiratete Walli Grünfeldt den acht Jahre älteren Kaufmann Max Reiner. Er war das dritte Kind des Schneiders Jonas Reiner (geb. 10.2.1865 in Uhrynow seedne/Östr.) und seiner Ehefrau Esther, geb. Schanz, geb. 1867 in Radymno, einem kleinen Ort am Fuß der Karpaten in Polen, dem damaligen Galizien, wo sie 1889 geheiratet hatten. Dort kamen ihre vier Kinder zur Welt: Bertha/Brandl (17.8.1890), Nathan (12.5.1895), Markus, genannt Max (15.2.1898 – nicht 20.2.1899, wie verschiedentlich angegeben) und Lina (2.6.1899). Sie alle besaßen die österreichische Staatsangehörigkeit.

Familie Jonas Reiner verlegte per 30. Oktober 1906 ihren ständigen Wohnsitz nach Fürth und am 18. August 1913 nach Berlin. Bertha war allerdings nicht mehr dabei, da sie am 3.9.1911 den Schuhmacher Gustav Schulewitz geheiratet hatte. Max Reiner kehrte am 17./18. Mai 1917 noch einmal nach Fürth zurück und wohnte bei seiner Schwester Bertha.

Nach Aussagen von Max Reiners Tochter Vera hatte ihr Vater in Fürth die Volksschule und das Gymnasium besucht und sei dann Soldat geworden. Nach Kriegsende habe er in Berlin Wirtschaftswissenschaften studiert und sei Syndikus bei Michael & Stark, einem Bankhaus und Chemikalienhandel geworden. Er war mit einer Arbeit über neuere Ergebnisse in der Colloid-Forschung, wie sich seine erste Ehefrau erinnerte, zum Dr. phil. promoviert worden. Chemie war damals noch kein eigener Studiengang. Wie viele andere Dissertationen, ist auch diese verloren gegangen.

1922 lernte Max Reiner Betty Avram, geb. 8.10.1901, kennen, die er im Dezember desselben Jahres heiratete. Am 29. Mai 1924 wurde ihr einziges Kind, die Tochter Vera, geboren. Sie war zwei Jahre alt und blieb bei ihrer Mutter, als die Ehe am 19. Dezember 1926 geschieden wurde.
Max Reiner zog nach Hamburg und von da nach Rostock, wo er in das Geschäft seines Schwiegervaters eintrat. Er sorgte weiterhin für seine Tochter und beschenkte sie großzügig.

Mit der Weltwirtschaftskrise gerieten auch Benno und Berta Grünfeldt in finanzielle Schwierigkeiten, gaben ihr Geschäft auf und versuchten einen Neuanfang in Hamburg. Am 1. April 1931 zogen sie in den Kenzlersweg 4 in Hamburg-Hamm. Benno Grünfeldt arbeitete als Handelsvertreter, es gelang ihm jedoch nicht, langfristig eine neue Existenz aufzubauen.

Max und Walli Reiner folgten den Eltern nach Hamburg und mieteten Ende des Jahres 1931 in Wandsbek im Friedrich-Ebertdamm 31 (heute: Friedrich-Ebert-Damm, zwischenzeitlich Adolf-Hitlerdamm) eine Wohnung. Max Reiner trat der jüdischen Gemeinde bei. Sein Einkommen war so gering, dass er von Gemeindesteuerzahlungen frei gestellt wurde. Am 1. April 1933 meldete er sich nach Berlin ab, zog jedoch mit Walli zu ihren Eltern in deren vergleichsweise bescheidene Wohnung in Hamburg-Hamm. Berta Grünfeldt unterhielt den gemeinsam Haushalt, wenn nötig durch den Rückgriff auf Ersparnisse und den Verkauf von Schmuck und anderen Wertsachen.

Walli und Max Reiner beschlossen, sich in Paris eine neue Existenz aufzubauen. Walli nannte sich hinfort Vally. Als Österreicher konnten sie ohne Visum einreisen und trafen am 10. Juni 1933 in Paris ein. Der Neuanfang gelang, sie gründeten ein Konfektionsgeschäft, das es ihnen erlaubte, die Eltern Grünfeldt mit regelmäßigen Überweisungen in Höhe von 50 bis 70 RM zu unterstützen. Im Oktober 1933 zogen auch Max Reiners Tochter Vera und ihre Mutter Betty mit ihrem zweiten Ehemann, Fritz Weinberg, zu ihnen. Sie wohnten 8, rue des Montiboeufs, Paris 20e, in einvernehmlichem Miteinander, wie die Tochter Vera, verheiratete Kartagener, später aussagte.

1935 reichten die Geldsendungen an Benno und Berta Grünfeldt von Bennos Bruder Emil, der in die USA emigriert war, und von der Tochter Vally aus Paris nicht mehr aus, um ihren Lebensunterhalt und ihre Krankenkosten zu decken. Sie erhielten daraufhin Wohlfahrtsunterstützung. 1936 traten sie in die Hamburger jüdische Gemeinde ein.

Bis 1938 besuchte Berta Grünfeldt einmal jährlich ihre Tochter in Paris, die ihrerseits 1937 auch noch einmal in den Kentzlersweg zurückgekehrt war. Im Juli 1938 zogen Benno und Berta Grünfeld vom Kentzlersweg in eine Zwei-Zimmer-Teilwohnung in der Dillstraße 20 im Grindelviertel. Bei der Volkszählung vom Mai 1939 wurde Berta Grünfeldt als nichtjüdisch eingetragen, behielt aber ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde bei.

Erstmals 1940 wurden Benno und Berta Grünfeldt von der jüdischen Gemeinde als eventuell beitragspflichtig geprüft. Bis dahin galten sie wegen der Unterstützung durch Verwandte und die Wohlfahrt als einkommenslos. Sie blieben freigestellt. Solange sie Mitglied der jüdischen Gemeinde war, galt Berta Grünfeldt als jüdisch, als eine sogenannte Geltungsjüdin. Dieser Status setzte sie denselben Verfolgungsmaßnahmen wie alle Juden aus. Da sie die Vermögensgrenze von 1000 RM nicht erreichten, blieben Berta und Benno Grünfeldt von allen Maßnahmen der Vermögenskontrolle und des Vermögenseinzugs ausgenommen.

Bis zur Besetzung von Paris durch die deutsche Wehrmacht am 14. Juni 1940 hatten die Eheleute Reiner ein gutes Einkommen. Es sank danach aufgrund der antijüdischen Maßnahmen der Besatzungsmacht, aber noch 1941 unterstützte Vally Reiner ihre Eltern nach ihren Möglichkeiten, indem sie Deckadressen in Stuttgart und Berlin benutzte. Wie alle deutschen Staatsangehörigen, als die Max und Vally Reiner galten nun in Frankreich galten, wurden sie 1940 zunächst auf Grund fremdpolizeilicher Maßnahmen inhaftiert, aber bald darauf wieder entlassen. Ab 7. Juni 1942 mussten sie den Judenstern tragen. Damit endeten die neun friedlichsten Jahre ihres Lebens.

Im Juli 1942 brach der Kontakt mit Vallys Eltern ab. Berta Grünfeldt stellte Ende 1942 Nachforschungen nach ihrer Tochter in Paris an, sowohl bei Bekannten als auch bei Rabbiner Langer von der "Union Générale des Israélites des France", erhielt aber keine Auskunft über ihren Verbleib.

Vally und Max Reiner waren am 16. Juli 1942 in das Durchgangslager Drancy bei Paris eingewiesen und am 24./25. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert worden. Die französische Regierung datierte ihren Tod später auf den 29. Juli 1942. Demnach wäre Vally Reiner, geb. Grünfeldt, 35 Jahre, Dr. Max Reiner 41 Jahre alt geworden. Angesichts ihres Alters kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie noch zu Arbeitseinsätzen kamen.

Berta Grünfeldt trat am 10. Dezember 1942 aus der Hamburger jüdischen Gemeinde aus. Ihr Status und der ihres Ehemannes Benno waren nun unklar: Zwar war sie Arierin und mit dem "Volljuden" Benno Grünfeldt verheiratet, da aber die Tochter jüdisch erzogen worden war und zudem nicht mehr bei ihnen lebte, konnte die Ehe nicht als "privilegiert" gelten.

Im November 1944 wurde Benno Grünfeldt aus uns unbekannten Gründen im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert, jedoch nach vier Wochen wieder entlassen. Er erlebte mit seiner Ehefrau unter ärmlichen Umständen das Ende der NS-Herrschaft in Hamburg und die Befreiung durch die britische Armee am 3. Mai 1945. Hinweise auf einen Aufruf zur Deportation oder auf Druck seitens der Gestapo, sich scheiden zu lassen, fehlen.

Am 22. September 1945 wurde Benno Grünfeldt von einem britischen Militärfahrzeug überfahren und starb auf dem Transport ins Universitätskrankenhaus Eppendorf. Berta Grünfeldt erhielt eine Witwenrente und eine Elternrente nach ihrer Tochter Walli/Vally und starb am 10. August 1965 im Alter von 84 Jahren in Hamburg. Sie erfuhr nie etwas über das endgültige Schicksal ihrer Tochter. 1991 stellte das Sonderpostamt Arolsen Walli Reiners Sterbekurkunde aus.

Stand: Januar 2020
© Hildegard Thevs

Quellen: 1, 5, 8, 9; Adressbücher Hamburg, Rostock; StaHH 213-13 Rückerstattung, 19390; 332-5, Personenstandsregister; 351-11 Wiedergutmachung, 46940, darin Meldekartei Gemeinde Wandsbek; Stadtarchiv Rostock, Personenstandsunterlagen; Stadtarchiv Fürth, Melderegister; freundliche Mitteilungen von Angrit Lorenzen-Schmidt. Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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