Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Jerubaal Toeplitz * 1921

Hammerbrookstraße 90 (Hamburg-Mitte, Hammerbrook)


HIER WOHNTE
JERUBAAL TOEPLITZ
JG. 1921
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Jerubaal Toeplitz, geb. am 16.3.1921 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolpersteine in Hamburg-Hammerbrook, Hammerbrookstraße 90 und Lübeck, Triftstraße 139-143, Eingangsbereich der heutigen Diakonie Vorwerk in Lübeck

Jerubaals Eltern, die dem jüdischen Glauben angehörenden Eheleute John Toeplitz, geboren am 20. November 1891 in Hamburg, und Ida, geborene Blumberg, geboren am 27. November 1894 in Libau (heute Liepaja/Lettland), hatten am 4. Juni 1920 geheiratet.

John Toeplitz’ Vater, der 1862 in Posen geborene Arzt Peter Toeplitz, arbeitete seit etwa 1889 als "prakt. Arzt, Wundarzt u. Geburtshelfer" am Billhorner Röhrendamm 94 in Rothenburgsort, später am Rödingsmarkt 38 in Hamburg-Altstadt. Mit seiner aus Libau stammenden Ehefrau Emmy, geborene Brann, geboren am 5. Juli 1869, bekam er am 29. März 1896 einen zweiten Sohn, Erich.

Wie sein Vater ergriff auch John Toeplitz den Arztberuf. Das Hamburger Adressbuch enthält erstmalig im Jahr 1921 einen Eintrag über ihn: "Toeplitz, John, Dr. med., Arzt". Danach praktizierte er in der Straße Bei der Apostelkirche 4 in Eimsbüttel.

Ida Toeplitz war Lehrerin.

John Toeplitz engagierte sich gesellschaftlich. Er förderte die Sexualaufklärung und war sozialistisch eingestellt. Diese Haltung mag den Umzug in den Arbeiterstadtteil Hammerbrook beeinflusst haben. 1922 übernahm John Toeplitz eine Praxis in der Süderstraße 81a und verlegte auch die Wohnadresse in die nahe gelegene Hammerbrookstraße 90. "John Toeptlitz war unter Arbeitern eine stadtbekannte Figur," berichtet Arie Goral-Sternheim in seinen Erinnerungen über das Grindel-Viertel. "Er hatte seine Praxis in Hammerbrook, damals eine Hochburg des klassenbewußten, zumeist arbeitslosen Proletariats.

Er verarztete jeden, der zu ihm kam, ohne Ansehen der Person, ob Mitglied der Krankenkasse oder nicht. Nötigenfalls bezahlte er auch die von ihm verschriebenen Medikamente, soweit er sie nicht in seinem Schrank vorrätig hatte. In der Zeit der großen Wirtschaftskrise war er der Retter in der Not vieler Arbeiterfrauen in Fragen der Schwangerschaftsverhütung. [...] Zu Toeplitz brachte man Mitglieder von ‚Rot Front’ und der ‚Eisernen Front’, die bei Kämpfen mit SA und ‚Stahlhelm’ Blessuren davontrugen, aber nicht gemeldet werden durften. Johns Wohnung war eine Art Nachtasyl. Man kam spätabends, unangemeldet, wer gerade kam, blieb natürlich zum Abendbrot, diskutierte bis spät in die Nacht. Wer kein Fahrrad hatte, blieb über Nacht."

Jerubaal Toeplitz, John Toeplitz’ erster Sohn, kam am 16. März 1921 in Hamburg zur Welt. Die Geburt war kompliziert, sie musste mit einer Zange unterstützt werden. Bald nach der Geburt war eine Behinderung erkennbar, die auf ein "Trauma während der Geburt" zurückgeführt wurde. Die Behinderung Jerubaals wurde 1928 bei seiner Aufnahme in dem Kinder- und Erziehungsheim Vorwerk als "Littlesche Krankheit" diagnostiziert (Bezeichnung für eine zerebrale Kinderlähmung, die sich in beidseitigen Bewegungsstörungen äußert, welche von Geburt an bestehen, aber nicht fortschreiten). Mit sieben Jahren konnte er sich nicht allein an- oder auskleiden oder zur Schule gehen.

Am 30. Juli 1925 bekam Jerubaal einen Bruder, Raphael. Es ist nicht überliefert, wie sich das Leben in der Familie Toeplitz gestaltete. Wahrscheinlich werden sich Jerubaals Eltern zunehmend überfordert gefühlt haben, so dass sie ihn, der in der Familie "Bubsi" genannt wurde, am 9. Oktober 1928 dem Kinder- und Erziehungsheim Vorwerk bei Lübeck anvertrauten. Jerubaal lebte in den folgenden zwölf Jahren in dieser Anstalt.

1929 hielt John Toeplitz einen Vortrag über Sexualaufklärung an einer Hamburger Schule und sorgte damit für derartiges Aufsehen, dass die Hamburger Bürgerschaft darüber debattierte.

Das SPD-Mitglied Toeplitz behandelte nach Straßenschlachten und Schlägereien zwischen SA und Linken wie am "Altonaer Blutsonntag" am 17. Juni 1932 Verletzte auf Seiten der "Roten". Bei der Gemeindewahl der Deutsch-Israelitischen Gemeinde kandidierte er 1930 auf der Liste der jüdischen Sozialdemokraten.

John und Ida Toeplitz hatten sich im Laufe der Jahre auseinandergelebt. Ihre Ehe wurde im April 1932 geschieden. John Toeplitz ging schon bald eine neue Ehe ein. Er heiratete im Mai 1932 die 1909 geborene Mirjam Gertrud Besser, Tochter des Arztes Max Besser und seiner Ehefrau Käthe, geborene Bischofswerder. Max Besser führte seine Praxis vor dem Ersten Weltkrieg in der Süderstraße 157 ebenfalls in Hammerbrook.

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wäre eine Verhaftung für John Toeplitz als jüdischem Linken lebensgefährlich gewesen. Er floh 1933 mit seiner Frau Mirjam und dem Sohn Raphael nach Palästina.

Die Anstalt Vorwerk wandte sich wiederholt an John Toeplitz wegen der Kosten für den Heimaufenthalt für Jerubaal. Dieser sah sich jedoch außerstande, die Kosten zu tragen, "da meine Pflanzungen noch nicht tragen und ich keine Barmittel besitze, auch meinen Beruf nicht ausüben kann." Mit Hilfe von Freunden gelang es, monatlich 60 RM Unterhaltskosten aufzubringen, die aber ab 1938 ausblieben. Am 1. März 1939 schrieb die Vorwerker Anstaltsleitung an John Toeplitz: "Jahre sind vergangen, in denen wir nichts mehr von Ihnen und Sie nichts mehr von uns hörten. Bislang, bis Ende des Jahres 38, war für Ihr Kind im Vorwerker Heim gesorgt. Mit Beginn dieses Jahres aber ist niemand da, der die Unterhaltskosten für Bubsi trägt. Die Mutter hat sich in Jahren nicht mehr um ihr Kind gekümmert, und nun richten wir das Ersuchen an Sie, uns Mitteilung zu geben, wer die Fürsorge für Ihren armen Jungen übernimmt. Sie kennen die Schwierigkeit im allgemeinen und wir müssen baldigst hören, wie uns die Sorge um Jerubaal genommen wird. Sie, sehr geehrter Herr Doktor, kennen seine Heimat, denn seit mehr als 10 Jahren ist das Kind in Vorwerk. Es ist gross geworden, aber leider nicht selbständiger, es ist und bleibt hilfsbedürftig in besonders starkem Masse. Wir erwarten bald Ihre Antwort, grüssen Sie herzlich von Ihrem Jungen.
Hochachtungsvoll
gez. Burwick"

Offensichtlich erhielt Burwick keine Antwort.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Jerubaal Toeplitz traf am 16. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September wurde er mit weiteren 135 Patienten aus norddeutschen Anstalten im Güterbahnhof Ochsenzoll in einen Zug verladen und über Berlin nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des in der Stadtmitte gelegenen ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in Gaskammern und tötete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur eine Frau, Ilse Herta Zachman, entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob Jerubaals Angehörige von seinem Tod unterrichtet wurden. Die T4-Zentrale in Berlin ließ Sterbeurkunden erstellen, in denen der Sterbeort mit "Chelm" oder "Cholm" angegeben und das Sterbedatum Tage oder Monate über den Todestag hinausgeschoben worden war. Jerubaals Todesdatum wurde auf seinem Geburtsregistereintrag wie folgt notiert: "Gestorben Nr. 469/1941 Chelm II am 2.2.41 Generalgouvernement." Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es dort kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Max und Käthe Besser, die Eltern von John Toeplitz’ zweiter Ehefrau Mirjam, erhielten den Deportationsbefehl zum 8. November 1941. Sie beschlossen daraufhin, sich selbst das Leben zu nehmen. Beide wurden am 7. November 1941 in ihrer Wohnung in der Bogenstraße 15 infolge einer Schlafmittelvergiftung tot aufgefunden. Zur Erinnerung an sie liegen Stolpersteine in der Hammer Landstraße 32 in Hamburg-Hamm (siehe dort).

Die Schicksale von Jerubaals Mutter Ida und seinem Onkel Erich Toeplitz kennen wir nicht.

An Jerubaal Toeplitz erinnern Stolpersteine in Hamburg Hammerbrook, Hammerbrookstraße 90, und im Eingangsbereich der heutigen Diakonie Vorwerk in Lübeck, Triftstraße 139-143.

Stand: Oktober 2020
© Ingo Wille

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 213-13 Landgericht Hamburg-Wiedergutmachung 5498 Mirjam Toeplitz, 5499 Mirjam Toeplitz; 332-5 Standesämter 581 Sterberegister Nr. 387/1907 Peter Toeplitz, 2393 Geburtsregister Nr. 857/1896 Erich Toeplitz, 8018 Sterberegister Nr. 124/1913 Emma Toeplitz, 8173 Sterberegister Nr. 488/1941 Max Besser, 8173 Sterberegister Nr. 489/1941 Käthe Besser, 8745 Heiratsregister Nr. 441/1932 Toeplitz/Blumberg, 13851 Heiratsregister Nr. 176/1932 Toeplitz/Besser; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 13588 John Toeplitz, 17064 Ida Basch gesch. Toeplitz, 34329 Mirjam Toeplitz, 47757 Raphael Toeplitz; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 1939 bis 27. 1. 1941; Archiv Vorwerker Diakonie, Patientenakte Jerubaal Toeplitz; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig. Jenner, Harald, Das Kinder- und Pflegeheim Vorwerk in der NS-Zeit, in: Theodor Strohm/Jörg Thierfelder (Hrsg.), Diakonie im "Dritten Reich". Neuere Ergebnisse zeitgeschichtlicher Forschung, Heidelberg 1990, S. 169-204. Goral-Sternheim, Arie, Im Schatten der Synagoge, Hamburg 1994, S. 29. Reh, Sabine, Von der "Idioten-Anstalt" zu den Vorwerker Heimen, Lübeck 1997, S. 57–65. Goldberg, Bettina, Abseits der Metropolen. Die jüdische Minderheit in Schleswig-Holstein, Neumünster 2011, S. 139, 170, 191, 192, 206, 215, 218, 219, 230, 239 246, 250, 592, 595, 605. Villiez von, Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg 2009 S. 410f. (John Toeplitz).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang