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Bereits verlegte Stolpersteine



Bertha Turbahn * 1902

Bieberstraße 12 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
BERTHA TURBAHN
JG. 1902
VERHAFTET 1940
KZ FUHLSBÜTTEL
1940 RAVENSBRÜCK
"VERLEGT" 1942
BERNBURG
ERMORDET AM TAG
DER ANKUNFT

Weitere Stolpersteine in Bieberstraße 12:
Anton Welzin

Bertha Turbahn, geb. 15.3.1902 in Hamburg, am 4.11.1940 in "Schutzhaft" im KZ Fuhlsbüttel, 28.12.1940 ins KZ Ravensbrück und 1942 in die Tötungsanstalt Bernburg a.d. Saale verlegt, dort ermordet am 1.3.1942

Anton Welzin, geb. 8.11.1880 in Hamburg, am 10.2.1940 in U-Haft in Hamburg, Strafhaft ab 4.5.1940 in Hamburg, ab 17.5.1940 in den Strafanstalten Bremen-Oslebshausen, Tod 18.12.1940 in der Krankenanstalt Bremen

Bieberstraße 12

Bertha Turbahn, eine deutsche Jüdin, wurde am 28. Dezember 1940 aus der "Schutzhaft" im KZ Fuhlsbüttel in das KZ Ravensbrück überstellt. Sie war ins Visier der Gestapo geraten, als ihr nichtjüdischer Verlobter Anton Welzin wegen "Rassenschande" verhaftet, angeklagt und am 29. März 1940 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden war. Nach den Nürnberger Gesetzen konnten Frauen nicht wegen "Rassenschande" angeklagt werden, ein juristisches Verfahren war nur für Männer vorgesehen, doch bedeutete ein solcher Vorwurf für Frauen die Verhaftung durch die Gestapo und Überführung in ein Konzentrationslager.

Bertha Turbahn war als Nachkömmling von Rosa und Henry Turbahn am 15.3.1902 in Hamburg zur Welt gekommen, ihre Brüder Hans (23.6.1894) und Erich (21.7.1899) waren noch in Altona geboren worden. Dort hatten die Eltern, Rosa Turbahn, eine geborene Gutmann (1.10.1861) und ihr gleichaltriger Ehemann Henry (25.12.1861) bis zum Umzug nach Hamburg gelebt, ohne der dortigen jüdischen Gemeinde anzugehören.
Sie stammten beide aus kinderreichen Familien. Obwohl Henry Turbahn der Jüngste von sechs Geschwistern war, fiel ihm die Rolle dessen zu, der die Familie zusammen hielt.

Bertha Turbahn war unter ihren Cousins und Cousinen die jüngste. Einige von ihnen, die im Ausland lebten, lernte sie nie kennen. Mütterlicherseits wohnten in Hamburg noch die Familie ihrer Tante Bertha Gutmann, geb. Gutmann, die des Onkels Hermann Gutmann mit seiner Ehefrau Ida und die ledige Tante Marianne, die aufgrund einer "Gemütskrankheit" schließlich am 23. September 1940 Opfer der Euthanasie wurde (siehe www.stolpersteine-hamburg.de). Bis auf zwei Tanten, Sophie Breuell, geb. Turbahn, und Adele Turbahn, geb. Christiansen, lernte Bertha Turbahn als Heranwachsende keine Verwandten väterlicherseits mehr kennen.

Henry Turbahn verdiente seinen Lebensunterhalt als Handelsvertreter. 1908 zog die Familie nach Eimsbüttel in die Vereinsstraße 11, wo sie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs lebte. In den folgenden zwölf Jahren war die Eichenstraße 23 ihr Familienwohnsitz.

Berthas ältester Bruder Hans verließ Hamburg schon in jungen Jahren. Seine Spuren führen nach Berlin und Tapiau in Ostpreußen, woher seine Ehefrau Henriette, geb. Lewithal, geb. 9.1.1894 in Königsberg/Pr., stammte. Hans absolvierte eine Lehre als Zahntechniker und schloss eine Ausbildung als Dentist an. Nach dem Ersten Weltkrieg besuchte er noch einmal seine Eltern und Geschwister in der Eichenstraße, bis er sich nach Tapiau abmeldete. Ohne Hamburg noch einmal besucht zu haben, emigrierten Hans und Henriette Turbahn nach Palästina.

Über Berthas Schulzeit ist bekannt, dass sie die private Dr. Loewenberg-Schule für Höhere Töchter und daran anschließend eine Handelsschule besuchte. Das qualifizierte sie für ihre späteren Tätigkeiten als Buchhalterin, Kontoristin, Telefonistin und Stenotypistin.

Der Beginn ihrer Berufstätigkeit fiel in die Inflationszeit Anfang der 1920er Jahre. Nach nur einem Jahr verlor sie ihre Stelle und konnte nichts mehr zum Familieneinkommen beitragen. Henry Turbahn schaffte es dank seiner langjährigen Geschäftsverbindungen die Familie zu ernähren, wenn das Einkommen zeitweilig auch sehr gering war. Erst 1929 fand Bertha erneut eine Anstellung, ihr Vater bezog inzwischen eine Rente und erhielt gelegentlich Provisionen.

Am 3. Februar 1930 starb Berthas Mutter Rosa Turbahn im Krankenhaus St. Georg. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Langenfelde beigesetzt. Bertha, die seit 1920 im elterlichen Haushalt gelebt hatte, sorgte weiter für ihren Vater und beteiligte sich, als sie eine neue Arbeitsstelle gefunden hatte, an der Wohnungsmiete.

Henry und Bertha Turbahn führten nun einen gemeinsamen Haushalt. Infolge der Weltwirtschaftskrise verlor Bertha am 1. Juni 1931 erneut ihre Arbeit und erhielt nun eine wöchentliche Krisenunterstützung von 11,70 RM. Als diese am 31. August 1932 auslief, ohne dass sie - trotz etlicher Bewerbungen - eine neue Anstellung gefunden hatte, waren ihr Vater und sie genötigt, umzuziehen. Sie fanden eine neue Wohnung am Scheideweg 27 in Hamburg-Hoheluft West.

Da sie von Henry Turbahns Einkünften nicht zu zweit leben konnten, wandte sich Bertha erneut an die Fürsorgebehörde und beantragte den Höchstsatz an Krisenunterstützung. Ihre Arbeitswilligkeit wurde anerkannt, da sie in die Reichsangestelltenversicherung eingezahlt hatte und freiwilliges Mitglied der Hanse Krankenkasse war. Ihr erneuter Antrag auf Unterstützung wurde befürwortet, doch legte man ihr nahe, sich ein Zimmer zu suchen, damit der Vater eines vermieten könne. Es gelang ihr, die Fürsorger davon zu überzeugen, dass der Vater ihre Unterstützung benötige. Mit der Begründung, dass "der alte Herr durch die Tochter eine gute Betreuung" erfahre, konnte sie bleiben und erhielt geringe laufende Zuwendungen.

Im Mai 1935 nahm Bertha Turbahn eine neue Stelle an, wenn auch zu einem geringen Gehalt. Ansonsten wurde es einsam um sie: Ihr Bruder Erich, der 1928 und Erna Levy geheiratet und mit ihr in Barmbek gelebt hatte, war Ende 1934 "ins Ausland" verzogen, wie es auf ihrer Steuerkarte der Jüdischen Gemeinde hieß. Im Dezember 1935 emigrierte auch Henry Turbahn. Er ging nach Palästina, zog zu seinem Sohn Hans in Haifa und überließ Bertha die Einrichtung der Wohnung mit dem Klavier. Von den nächsten Verwandten lebte nur noch die Tante Sophie Breuell, die jüngere der beiden Schwestern ihres Vaters, in Hamburg.

Bertha gab 1936 für die jüdische Gemeinde als Postadresse Heidestraße 16 an, wohnte aber möglicherweise bereits als Untermieterin bei Anton Welzin in der Bieberstraße 12 in Rotherbaum.

Schon bevor Henry Turbahn emigrierte, hatte Bertha den zwanzig Jahre älteren Buchhalter Anton Welzin kennen gelernt. Er war der Sohn des Zigarrenhändlers Johannes Welzin, geb. 5.4.1847, und seiner Ehefrau Sophie, geb. Eddelbüttel, geb. 27.2.1853, beide lutherischer Religion. Sie hatten am 16. April 1877 in Hamburg geheiratet, wo sie von Geburt an lebten. Anton, geb. 8.11.1880, blieb ihr einziges Kind und wurde ebenfalls lutherisch.

Anton Welzin hatte am 14. November 1906 Elisabeth Stender, geheiratet. Die Ehe blieb offenbar kinderlos, die Eheleute trennten sich um 1932. Seit 1915 hatten sie in Hamburg-Hamm im Dobbelersweg 7 gewohnt, danach verlieren sich zunächst ihre Spuren in Untermietsverhältnissen. Anton hatte 1936/37 wieder eine eigene Adresse in der Brahmsallee 69 und zog von dort in die Bieberstraße 12.

In Berthas Turbahns Familie wurde Anton Christian Eduard Welzin, wie er mit vollem Namen hieß, Kurt genannt, als ihr Verlobter akzeptiert und von ihrem Vater geliebt. Das Paar war sich bewusst, dass sie wegen der Nürnberger Gesetze nicht heiraten durften und auch ein Liebesverhältnis unter Strafandrohung stand. Vermutlich deshalb sagte sich Bertha Turbahn von der Jüdischen Gemeinde los und ließ den dringenden Vermerk auf ihrer Kultussteuerkarte eintragen, für spätere Zuschriften nur neutrale Umschläge zu verwenden. Offenbar in der Annahme, dieser Schritt würde sie vor Verdächtigungen schützen, erklärte Bertha Turbahn am 20. April 1937 den Austritt aus der jüdischen Gemeinde. Ob hinter dem Datum (Hitlers Geburtstag) Absicht oder Zufall steckte, ließ sich nicht herausfinden. In den vorliegenden Briefen, die sie ab 2. Juni 1937 an ihren Vater in Haifa schrieb, fehlt ein direkter Hinweis auf ihren Austritt aus der Gemeinde.

Bertha Turbahn entzog sich auch der Registrierung bei der Volkszählung im Mai 1939. Sie hatte inzwischen ihren Arbeitsplatz gewechselt und am 15. Mai 1938, nach zweijähriger Tätigkeit, statt einer erwarteten Gehaltszulage die Kündigung erhalten, da sich die Firma verkleinerte. Schon nach einer Woche war sie wieder an eine Im- und Exportfirma vermittelt worden, hatte aber einen langen Arbeitsweg dorthin zum Hammer Deich. Schließlich fand sie jedoch eine besser dotierte Arbeitsstelle bei einem Seidenhandel in Raboisen in der Altstadt. Dort wurde ihr zum 31. Januar 1940 gekündigt.

In ihren Briefen an den Vater berichteten Bertha und Kurt von einem unauffälligen Leben: Beide gingen ihrer Arbeit nach, sorgten für die Gräber auf dem Friedhof in Langenfelde, verbrachten ihre Freizeit mit der Überholung von Segelboot und Yacht, Ausflügen auf Alster und Elbe und der Pflege von Kontakten. Besonders erwähnten sie in ihren Briefen den 80. Geburtstag ihrer Tante Sophie Breuell. Der letzte der vorliegenden Briefe an den Vater in Haifa datiert vom September 1938.

Am 10. Februar 1940 wurde Anton Welzin wegen "Rassenschande" in Hamburg in Untersuchungshaft genommen. Wer allein ihn und nicht auch Bertha Turbahn denunzierte, ist nicht bekannt. Bertha Turbahn zog nun in die Grindelallee 88 zu Hirschfeldt und nach kurzer Zeit in die Schleidenstraße 4 zur Witwe Frieda Dannenberg, die ihrerseits dort zur Untermiete wohnte.

Das Verfahren wegen "Rassenschande" gegen Anton Welzin am 29. März 1940 endete mit seiner Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe von vier Jahren, unter Anrechnung von drei Monaten Untersuchungshaft, und vier Jahren Ehrverlust. Seine Gerichts- und die Häftlingspersonalakte sind nicht erhalten.

Nachdem das Urteil am 24. April rechtskräftig geworden war, trat Anton Welzin seine Strafe am 4. Mai 1940 an. Dem üblichen Hamburger Verfahren bei Zuchthausstrafen entsprechend, wurde er am 17. Mai 1940 ins Zuchthaus Bremen-Oslebshausen überstellt. Bald erkrankte er und wurde zur Behandlung in ein Bremer Krankenhaus verlegt, was als Haftunterbrechung gerechnet wurde. Dort starb er am 18. Dezember 1940 im Alter von 60 Jahren an Anämie infolge des völligen Versagens der Neubildung von Blutzellen im Knochenmark (Panmyelopskisis).

Was Bertha Turbahn vom Ergehen ihres Verlobten erfuhr, wissen wir nicht, auch nicht, ob sie Kenntnis von der "Verlegung" ihrer Tante Marianne Gutmann in die Tötungsanstalt Brandenburg hatte.
Sie selbst wurde am 4. November 1940 in der Wohnung Schleidenstraße 4 verhaftet und wegen "Rassenschande" als "Schutzhäftling" ins KZ Fuhlsbüttel eingeliefert. Anders als Anton Welzin wurde sie nicht juristisch belangt, sondern von der Gestapo ohne Gerichtsverfahren am 28. Dezember 1940 in das KZ Ravensbrück überstellt. Dort wurde sie unter der Nummer 5320/2941 "R. Schande" registriert.

Ob sie als arbeitsunfähiger weiblicher Häftling oder wegen ihrer jüdischen Herkunft im Rahmen des Euthanasieprogramms 14f13 in die Tötungsanstalt Bernburg transportiert wurde, lässt sich nicht überprüfen. Vierzehn Tage vor ihrem 40. Geburtstag, am 1. März 1942, erlitt sie dort den gleichen Tod wie ihre Tante Marianne zuvor in Brandenburg: Sie wurde mit Kohlenstoffmonoxid ermordet und ihre Leiche verbrannt.

Stand: August 2020
© Hildegard Thevs

Quellen: 1, 4, 5, 8, 9; Hamburger Adressbücher; StaHH 332-5, 13790/720/1902; 351-11, 16719; 351-14, 1956; Melderegister; Staatsarchiv Bremen, 4,60/5 Bremen-Mitte Reg.-Nr. 4879/1940 http://www.hamburger-euthanasie-opfer.de/suche.php?nachname=Turbahn&vorname= Berta&ursprungseinrichtung=&verlegungsort=&sterbeort=&sterbedatum=&absenden=Suchen#ls-found.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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