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Werner Schuldt
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Werner Schuldt * 1936

Borsteler Chaussee 299 (Hamburg-Nord, Groß Borstel)


HIER WOHNTE
WERNER SCHULDT
JG. 1936
EINGEWIESEN 1937
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 7.8.1943
HEILANSTALT EICHBERG
"KINDERFACHABTEILUNG"
ERMORDET 24.9.1943

Werner Schuldt, geb. 18.3.1936, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten am 29. Oktober 1937, "verlegt" in die Landesheilanstalt Eichberg am 6.8.1943, gestorben am 24.9.1943

Borsteler Chaussee 299 (ehemaliges Mütterwohnheim)

Werner Schuldt wurde am 18.3.1936 in der ehemaligen Frauenklinik Finkenau in Hamburg-Uhlenhorst geboren. Seine Mutter, die am 3.8.1895 in Hamburg geborene Gretchen Elfriede Martha Schuldt, befand sich in schwieriger Lage. Sie litt mehrere Jahre unter einer starken Neurodermitis, die sie zu mehreren Krankenhausaufenthalten u.a. in der Universitäts-Hautklinik in Hamburg-Eppendorf zwang. Ihre leiblichen Eltern waren verstorben, sie wohnte bei ihrer Stiefmutter, bis diese sie 1931 nach einem Krankenhausaufenthalt nicht wieder aufnehmen wollte. Nachdem sie diese Unterkunft verloren hatte, fand Gretchen Schuldt Aufnahme im "Mädchenschutzheim des Volkswacht-Bundes e.V." in der Alexanderstraße 23 in St. Georg. Nach ihrem eigenen Bekunden hatte sie keine weiteren verwandtschaftlichen Beziehungen. Auch über einen Kontakt zum Vater des Kindes ist nichts bekannt.

Gretchen Schuldt hatte die Volksschule bis zur zweiten Klasse (entspricht der heutigen siebten Klasse) besucht und anschließend immer im Haushalt gearbeitet. Bis Ende Januar 1936 war sie als "Wäscherin" im Hotel Vier Jahreszeiten angestellt. Dort fühlte sie sich nicht wohl, weil sie nach ihrem Bekunden von den anderen Hausbeschäftigten gehänselt wurde und sich nicht zu wehren verstand. Seit Anfang Februar 1936 arbeitete sie als "Hausbeschäftigte" in der Frauenklinik Finkenau.

Gretchen Schuldt hoffte, mit dem Neugeborenen zunächst in einem Mütterheim wohnen und später wieder arbeiten zu können. Sie wollte ihr Kind dann in Pflege geben, bis sie es wieder zu sich nehmen könnte. Tatsächlich fanden Gretchen Schuldt und ihr kleiner Sohn Werner nach dessen Geburt Aufnahme im Mütterheim des "Bundes für Mutterschutz in Hamburg e.V." in der Borsteler Chaussee 299, das in unmittelbarer Nachbarschaft des Pflegeheimes Groß Borstel lag. Hier blieben beide, bis Werner Schuldt am 16. April 1937 von seiner Mutter getrennt und in das Waisenhaus in der Averhoffstraße 5 in Hamburg-Uhlenhorst verlegt wurde. Dort nahm man ihn als körperlich und geistig zurückgebliebenen Jungen wahr. Seine Mutter wurde als "gutmütig", aber auch "beschränkt" beschrieben.

Ein halbes Jahr später, am 29. Oktober 1937, überwies das Landesjugendamt Werner Schuldt in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Laut Alsterdorfer Patientenakte zeigte der nun Eineinhalbjährige keinerlei Reaktionen. Werner konnte kaum den Kopf halten, unternahm keine Sprechversuche und konnte weder laufen noch sitzen. Im August 1938 wurden Gehversuche beobachtet, im April 1939 Fortschritte bei Sprechversuchen notiert.

Werner war jedoch mehrmals krank: Bis Ende 1940 litt er an einem Magen-Darm-Katarrh und zweimal an Grippe. Ab Mitte 1941 besuchte Werner mit Freude, so die Berichte über ihn, die Spielschule der Alsterdorfer Anstalten. Das Personal vermerkte, er sei bei kleinen Handfertigkeiten zaghaft und ungeschickt, aber auch zufrieden, still und anhänglich. Obwohl Werner in den folgenden Monaten weitere Fortschritte u.a. beim Sprechen und beim selbständigen Essen machte und weiterhin als ruhig, anhänglich und verträglich beschrieben wurde, endete sein Spielschulbesuch im April 1942 wegen – wie es hieß – Platzmangels und Werners Unfähigkeit.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Juli/August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Die Anstaltsleitung nutzte die Gelegenheit, nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Heil- und Pflegeanstalten zu verlegen.

Werner Schuldts Aufenthalt in Alsterdorf endete am 7. August 1943. In seiner Patientenakte wurde vermerkt: "Verlegt, da die Alsterdorfer Anstalten zerstört sind. Kreyenberg".

Mit vier Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" im Rheingau, die Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof bei Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau sowie in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien verlegt. Werner Schuldt gehörte zu den76 Kindern und Männern, die am 7. August 1943 in die "Landesheilanstalt Eichberg" abtransportiert wurden.

Die damalige "Landesheilanstalt Eichberg" hatte während der "Aktion T4" als Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hadamar gedient. Nach dem offiziellen Stopp des "Euthanasie-Programms" im August 1941 wurde auch in Eichberg selbst weiter gemordet, und zwar durch systematische Unterernährung und überdosierte Medikamente in Verbindung mit pflegerischer Vernachlässigung. 30 der aus Hamburg nach Eichberg "verlegten" Jungen und Männer starben in der kurzen Zeit bis Oktober 1943.

Werner Schuldt starb am 24. September 1943.

Über das weitere Schicksal von Werner Schuldts Mutter ist nur bekannt, dass sie am 28. Dezember 1983 in Hamburg starb.

Stand: November 2020
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg 1931; StaH 332-5 Standesämter 6347 Geburtsregister Nr. 2025/1895 Gretchen Elfriede Martha Schuldt; Standesamt Erbach Rhg. Nr. 561/1943 Sterberegisterauszug Werner Schuldt; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 021, Werner Schult; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 3. Aufl., Stuttgart 2016, S. 283 ff. (darin insbesondere S. 299 ff.); Hygiene und Soziale Hygiene in Hamburg, Hamburg 1928, S. 446,439.

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