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Bereits verlegte Stolpersteine



Wilhelm Nathansohn * 1886

Rumpffsweg 39 (Hamburg-Mitte, Hamm)


HIER WOHNTE
WILHELM
NATHANSOHN
JG. 1886
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
20.6.1938

Weitere Stolpersteine in Rumpffsweg 39:
Rosa Meyer, Alfred Meyer

Wilhelm Nathansohn, geb. 9.9.1886 Hamburg, Flucht in den Tod 20.6.1938 Hamburg

Rumpffsweg 39 (früher: Eiffestraße 571)

"Ist es nicht furchtbar, wenn man seinen ehrlichen Namen nicht mehr nennen mag?", fragte Wilhelm Nathansohns Witwe Anna im Wiedergutmachungsverfahren. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes ihren Namen geändert, um überhaupt eine Chance auf eine Anstellung zu bekommen.

Ihr Ehemann war das jüngste der drei uns bekannten Kinder Abraham Nathansohns, geb. 3.3.1842 oder 1845 in Buk in der damals preußischen Provinz Posen. Sein Vater Chaim oder Heimann, geb. 1814 in Rogasen, war Rabbiner und Talmudgelehrter in Buk, seine Mutter Rebecka war eine geborene Salinger. Abraham blieb ihr einziger Sohn, nachdem der ältere Bruder 1855 in Thorn an der Cholera gestorben war.

1858 bis zu seinem Tod am 31.7.1878 war Chaim/Heimann in Hamburg an der Klaus (jüdische Bildungseinrichtung) der Levin Salomon Stiftung tätig. Am 2. Januar 1863 wurde er in das Hamburger Bürgerregister aufgenommen. Nach dem Tod seiner Ehefrau Rebecka im Jahr 1871 ging er eine zweite Ehe ein und heiratete (?) Kohl, geb. Weiskopf. Als er starb, wurde er auf dem Friedhof in Ottensen beigesetzt, wo schon seine erste Frau beerdigt worden war.

Abraham Nathansohn wurde Uhrmacher. Er brach mit der jüdischen Tradition und ging am 16. November 1878 eine "Mischehe" mit einer Christin ein. Das Ehepaar wohnte in der Breiten Straße Hof III I in Altona. Die Ehefrau, Johanna Dorothea, geb. Cassel, geb. 2.12.1857 in Altona, war Schneiderin, zwölf Jahre jünger als ihr Mann und die Tochter eines Gastwirts. Ihren Kindern gaben sie geläufige norddeutsche Namen. Ob Abraham Nathansohn jemals eine Namensänderung in Erwägung zog, ließ sich nicht überprüfen.

Als erstes Kind kam am 30.4.1879 Heinrich zur Welt, nach seinem Großvater Chaim genannt. Am 1.6.1881 wurde Meta Rebecka geboren, die die Namen ihrer beiden Großmütter trug, und schließlich Wilhelm, genannt nach seinem Großvater mütterlicherseits.

Die Kinder waren zwischen sieben und fünfzehn Jahren alt, als die Ehe von Abraham und Johanna Dorothea Nathansohn am 27. April 1894 rechtskräftig geschieden wurde. Bei wem die Kinder aufwuchsen, ist nicht bekannt. Die Mutter heiratete vier Jahre später den Feuerwehrmann Wilhelm Scheele, Abraham Nathansohn blieb allein.

Sein Sohn Wilhelm besuchte die Volksschule bis zum Abschluss um 1900 und absolvierte danach eine handwerkliche Lehre als Klempner und Mechaniker. Als Geselle verfügte er über ein hinreichendes Einkommen, um zu heiraten. Er ging am 27. August 1909 in Hamburg eine erste Ehe mit der zwei Jahre jüngeren Frieda Hermine Christiane, geb. Wiedemann, geb. 12.9.1888, ein, der Tochter eines Arbeiters. Sie war Christin wie seine Mutter.

Inzwischen war auch Tochter Meta Rebecka Nathanson eine "Mischehe" eingegangen. Ihr Ehemann, Fritz Carl Gustav von der Osten, war erheblich jünger als sie (geb. 21.4.1897). Am 17.9.1906 kam ihre Tochter Johanna Emilia Louise zur Welt. Sie blieb das einzige Kind.

Metas Bruder Heinrich Nathansohn blieb ledig und verlegte 1925 seinen Wohnsitz nach Berlin.

Ihr Vater, Abraham Nathansohn, gelegentlich auch Nathanson geschrieben, war inzwischen in die Neustadt gezogen und wohnte im Kornträgergang 55 a, als er am 4. Januar 1915 im Alter von 72 Jahren im Israelitischen Krankenhaus starb. Auf seiner Sterbeurkunde wurde sein Beruf mit Händler angegeben. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beerdigt.

Bei Beginn des Ersten Weltkriegs war Wilhelm Nathansohn 28 Jahre alt. Er wurde Soldat, blieb trotz Verwundungen bis 1918 im Feld und kehrte dann, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz und dem Hanseatenkreuz sowie dem Verwundetenabzeichen, zurück.

Seine Ehe war kinderlos geblieben und wurde nach zehnjähriger Dauer am 26. August 1919 rechtskräftig geschieden. Beide gingen eine zweite Ehe ein.

Wilhelm Nathansohn heiratete 1922 die Witwe Maria Sophie Anna Bachstein, geb. Pemöller, geb. 22.7.1891. Deren Ehemann, der am 28.6.1889 in Hamburg geborene Carl August Gustav Pemöller, war am 16. Juni 1915 in Hamburg gestorben. Maria Sophie Anna brachte einen Sohn mit in die Ehe, Gustav Karl Willi Erich, geb. am 27.4.1912.

1921 erhielt Wilhelm Nathansohn eine Anstellung bei der Gesundheitsbehörde als Betriebsklempner im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg, wo er die nächsten zwölf Jahre tätig blieb. Ab 1924 war er mit eigener Anschrift in der Eiffestraße 571 gemeldet. Er hatte keine eigenen Kinder.

Weil Wilhelm Nathansohn "Halbjude" und damit "Nichtarier" war, wurde er im September 1933 fristlos aus dem Staatsdienst entlassen. Da er ein gutes Zeugnis vorweisen konnte, legte er bei dem damaligen Gesundheitssenator Ofterdinger Beschwerde dagegen ein. Unter Bezug auf das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" erklärte der Senator die Kündigung jedoch für rechtens.

Wilhelm Nathansohn fand nun hin und wieder in kleinen Betrieben ohne Versicherungspflicht Arbeit, entsprechend gering war das Einkommen. Kleine Schikanen machten ihm und seiner Frau das Leben schwer, größere wie die Kündigung des Kleingartens und dass ihnen die Winterhilfe vorenthalten wurde, ließen seine Hoffnung auf ein Leben, wie er es bis dahin kannte, schwinden.

Im Mai 1937 erlebte er noch die Hochzeit seines Stiefsohns Gustav Karl Willi Erich Bachstein mit Senta Amthor.

"Es wird ja alles schlimmer, aber mich holt keiner ab." Mit diesem Entschluss, den Wilhelm Nathansohn seiner Ehefrau gegenüber im Sommer 1938 äußerte, schied er aus dem Leben. Am 20. Juni 1938 gegen Mittag wurde er im Kleingartengelände der Horner Marsch tot aufgefunden.

Stand: März 2021
© Hildegard Thevs

Quellen: 4, 5; Hamburger Adressbücher; Personenstandsregister; StaHH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 8858; 331-5, 3 Akte 1938/1399 - unauffindbar; 332-8 Melderegister; JFHH ZW 11-21; StaHH 332-7 Bürgerregister, A I e 40 Band 7, 1845-75; Jüdische Friedhofsdatenbank Ottensen; https://de.linkfang.org/wiki/Kreis_Buk; http://www.litdok.de/cgi-bin/litdok?lang=de&t_idn=h05384%2B1%2C2; https://www.kedem-auctions.com/product/letter-from-r-chaim-nathansohn-rabbi-of-wreshna-to-rabbi-eliyahu-guttmacher-the-tzaddik-of-greiditz-good-year-wishes-65232-2/, Aufrufe 9.7.2020.

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