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Emma Krüger, Mai 1938
Emma Krüger, Mai 1938
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Emma Krüger * 1869

Hammer Landstraße / Ecke Rumpffsweg (Hamburg-Mitte, Hamm)


HIER WOHNTE
EMMA KRÜGER
JG. 1869
EINGEWIESEN 1887
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
TOT 24.5.1945

Emma Krüger, geb. 9.10.1869 in Hamburg, eingewiesen in die Alsterdorfer Anstalten am 6.6.1887, "verlegt" am 16.8.1943 nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", dort gestorben am 24.5.1945

Hammer Landstraße / Ecke Rumpffsweg (Hamm)

Anna Maria Emma Krüger kam am 9. Oktober 1869 in der Wohnung ihrer Eltern im Borstelmannsweg in Hamburg-Hamm zur Welt. Sie wurde in eine Schifferfamilie hineingeboren. Ihr Vater Johann Carl Krüger aus Beelitz in der damaligen preußischen Provinz Brandenburg war, wie schon sein Vater, Ewerführer (ein Ewer ist ein Schiffstyp). Emmas Mutter Henriette, geb. Jechow, geboren am 26. Juni 1828 in Brandenburg an der Havel, entstammte ebenfalls einer Schifferfamilie.

Zur Familie gehörten ihre sieben Jahre ältere Schwester Pauline, genannt Paula, geboren am 18. Juli 1862 in Brandenburg an der Havel, und zwei weitere Geschwister, deren Namen und Geburtsdaten wir nicht kennen.

Über Emma Krügers Kindheit und frühe Jugend ist nichts überliefert. Das sechzehnjährige Mädchen wurde im April 1886 auf seinen Geisteszustand untersucht, weil seine Aufnahme in die Alsterdorfer Anstalten, heute Evangelische Stiftung Alsterdorf, beantragt worden war. Wir wissen nicht, wer den Aufnahmeantrag gestellt hat. Offensichtlich war die Hamburger Stadtverwaltung bereits beteiligt, denn die Untersuchung wurde laut Vermerk in Emma Krügers Patientenakte "im Auftrag des Herrn Senator Kunhardt" vorgenommen. Gemeint ist wahrscheinlich Georg Ferdinand Kunhardt, der 1869 als Polizeiherr und Chef der Hamburger Justizverwaltung in den Senat gewählt worden war.

Das Gutachten über Emma Krüger lautete: "Das Mädchen ist körperlich einigermaßen entwickelt, aber in den Gebärden eines kleinen Kindes, sie spricht höchst mangelhaft, nur der Mutter verständlich. Die Schule hat sie nie besuchen können, sie ist harmlos, bei häuslichen Arbeiten gut brauchbar aber nur nach Anleitung. Ihr fehlen die gewöhnlichen Begriffe, z. B. der Wochentage, der Jahreszeiten, der Familienamen usw. Sie ist Idiotin und durchaus für die Alsterdorfer Anstalten geeignet." ("Idiotie" ist ein veralteter Begriff für eine schwere Form der Intelligenzminderung).

Emma Krüger wurde am 6. März 1887 in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Sie war fast 56 ihrer 75 Lebensjahre Bewohnerin dieser Einrichtung.

Die Pflegerinnen erlebten Emma Krüger nach den ersten Berichten in der Patientenakte sehr gegensätzlich. Während eine Pflegerin sehr über Emma Krüger klagte, weil sie leicht widersetzlich sei und "Spektakel mache", berichtete eine andere, Emma Krüger sei folgsam, sobald man ihr freundlich zurede. Sie sei willig bei verschiedenen Arbeiten und helfe beim Reinigen des Schlafsaals. Nachdem Emma Krüger im Juni 1883 in eine andere Abteilung versetzt worden war, wurde sie als sehr anstellig beschrieben. Sie konnte nicht schreiben und nur undeutlich und stotternd sprechen.

Am 9. Februar 1901 schlossen die Alsterdorfer Anstalten einen Vertrag mit der "Allgemeinen Armen-Anstalt Hamburg", in dem es hieß: Die Armenanstalt "übergibt Emma Krüger dem Asyl, um sie der Hausordnung gemäß verpflegen und erziehen zu lassen und verpflichtet sich, ein jährliches Kostgeld von Mk. 450,- zu zahlen". Das Kostgeld wurde in den folgenden Jahren mehrmals erhöht.

Dies könnte darauf hindeuten, dass Emmas Mutter, die einer Tätigkeit als Wäscherin nachging, ihre Unterkunft bereits 1901 in der Allgemeinen Armen-Anstalt Hamburg in der Straße Finkenau im Stadtteil Uhlenhorst hatte. Sie starb dort am 8. August 1909. Ihr Ehemann – Emmas Vater – war, wie aus ihrer Sterbeurkunde hervorgeht, schon früher verstorben. Sein Sterbeort und das Sterbedatum wurden nicht gefunden.

Nach dem Ableben von Henriette Krüger hielt die älteste Tochter, Pauline/Paula, geschiedene Niemann, verheiratete Lisser, den Kontakt zu ihrer Schwester Emma bis an deren Lebensende aufrecht.

Bis ca. 1930 wiederholten sich die Berichte über Emma Krüger im Wesentlichen. Sie sei einerseits gutmütig und ruhig, andererseits leicht reizbar und sehr rappelig. Kleine Handreichungen wie Stiefelputzen und Zimmerfegen könne sie noch verrichten. In den Folgejahren hieß es mehrfach über sie "erregt, schimpft über das Essen, wehrt sich dagegen, zu Bett gebracht zu werden, durch Schlagen, Kneifen und Beißen". Wie es in der Patientenakte heißt, leide die ganze Abteilung unter ihrem Verhalten. Das hatte zur Folge, dass sie mehrfach in den Wachsaal abgeschoben wurde.

"Wachsäle" gab es bereits in den 1910er Jahren. Dort wurden unruhige Kranke isoliert und mit Dauerbädern, Schlaf- sowie Fieberkuren behandelt. In den Alsterdorfer Anstalten wurden sie erst Ende der 1920er Jahre eingeführt. Im Laufe der 1930er Jahre wandelte sich deren Funktion: Nun wurden hier Patientinnen und Patienten vor allem ruhiggestellt, teils mit Medikamenten, teils mittels Fixierungen oder anderer Maßnahmen. Die Betroffenen empfanden dies oft als Strafe.

Auch in den 1930er und 1940er Jahren zeugen die Berichte über Emma Krüger von wechselhaftem Verhalten. Anfang 1934 heißt es z.B., sie "ist sehr treu und gewissenhaft, aber es darf ihr nichts in die Quere kommen, sonst kann sie einen ganzen Tag lang unerträglich sein. Zu anderer Zeit kann sie recht andächtig bei irgendeiner Beschäftigung sein, besonders wenn sie niemand stört. Wenn vorgelesen wird, rührt sie sich nicht, sitzt mit gefalteten Händen auf ihrem Stuhl und sieht vor sich hin." Neun Jahre später, Anfang 1943, hieß es: "Patientin erledigt unter Aufsicht ihre Körperpflege selbständig. Sie macht in einer anderen Abteilung kleine Handreichungen. In der Freizeit spielt sie gern noch mit Spielsachen. Sie redet sehr viel, ist leicht erregt und tobt dann. Sonst ist sie freundlich, zugänglich und anhänglich."

Während der "Operation Gomorrha", den schweren Luftangriffen auf Hamburg im Juli/August 1943, erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Um Raum zu schaffen für verwundete Soldaten und Bombenopfer, ließ der Anstaltsleiter Pastor Friedrich Lensch nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Heil- und Pflegeanstalten verlegen. Am 16. August 1943 ging ein Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf zusammen mit 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die Wagner von Jauregg Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien ab. Unter ihnen befand sich die 73jährige Emma Krüger. Ihre in den Alsterdorfer Anstalten geführte Patientenakte wurde nach Wien mitgeschickt und in der dortigen Anstalt weitergeführt. Der Transport traf am 17. August 1943 in Wien ein.

In dieser Akte war Emma Krügers Schwester Paula Lisser als Kontaktperson angegeben. Sie war nach ihrer Ausbombung in Hamburg in Grauerort bei Stade untergekommen.

Die Aufnahmebesprechung in Wien ergab laut Patientenakte, dass Emma Krüger zwar ihren Namen wusste, aber sonst vollkommen desorientiert war. Ihr Alter konnte sie richtig angeben, stimmte aber auch zu, wenn ihr ein anderes Alter vorgeschlagen wurde. Sie wusste, dass ihre Eltern bereits verstorben waren, andere Angehörige aber noch lebten. Sie behauptete lesen zu können, nannte aber irgendwelche Buchstaben, wenn man ihr etwas zu lesen gab. Als Diagnose wurde angeborene Imbezillität (veraltete Bezeichnung für angeborene oder früh erworbene, geistige Behinderung mittleren Grades) notiert, zudem ein Stottern, das die Verständigung erschwere.

Paula Lisser bat die Direktion der Wagner von Jauregg Heil- und Pflegeanstalt am 29. Oktober 1943 um eine Nachricht über ihre Schwester. Sie habe durch die Alsterdorfer Anstalten erfahren, dass sich ihre Schwester in der Wiener Anstalt befinde. Paula Lisser fügte einen für ihre Schwester bestimmten Brief mit der Bitte bei, ihn Emma vorzulesen. Die Anstalt bestätigte am 11. November, dass Emma Krüger "am 17. August mit einem größeren Krankentransport in die hiesige Anstalt gekommen ist und sich derzeit hier in Pflege befindet. Sie ist ruhig und guter Stimmung, hat sich auch über Ihren Brief gefreut. Gez. Der Direktor Hofrat Dr. Mauczka"

Am 5. Februar 1944 wandte sich Paula Lisser hilfesuchend an die Alsterdorfer Anstalten, nachdem sie auf mehrere Schreiben keine Antwort aus Wien erhalten hatte: "Da ich als Schwester ihrer früheren Insassin Emma Krüger in großer Sorge um meine Schwester bin, wende ich mich hiermit vertrauensvoll an Sie. Wie mir damals von Ihnen mitgeteilt wurde, hat meine Schwester Aufnahme in einer Heil- und Pflegeanstalt in Wien gefunden. Leider bekomme ich von dieser Anstalt keine Antwort wie es derselben geht und bin ich natürlich in großer Sorge dieserhalb. Sie ist doch immerhin ein Menschenkind von 74 Jahren und hatte in Hamburg schon immer Kummer nach mir wenn ich mal vier Wochen nicht bei ihr gewesen war. Wäre es denn möglich sie wieder nach Hamburg zu holen. Das Fahrgeld würde meine Enkelin tragen. Bitte geben Sie mir Nachricht oder der Anstalt in Wien Anweisung, mir über das Befinden meiner Schwester ab und zu Nachricht zukommen zu lassen. Ich selbst bin doch auch schon 82 Jahre alt und total ausgebombt. Die Unkosten will ich gern ersetzen. Anbei 12 Pfg. Porto. Für ihre Bemühungen im Voraus bestens dankend, zeichnet mit deutschem Gruß Frau Paula Lisser."
Die Alsterdorfer Anstalten leiteten Paula Lissers verzweifeltes Schreiben "zuständigkeitshalber" weiter nach Wien. Ob sie je eine Antwort erhielt, ist nicht bekannt, jedenfalls blieb Emma Krüger in Wien.

Erst auf ein weiteres Schreiben von Paula Lisser vom 7. August 1944 erwiderte die Anstalt in Wien am 18. August, "dass das Befinden Ihrer Schwester im wesentlichen unverändert ist. Körperlich geht es ihr soweit gut, das Gewicht ist unverändert 39 Kg."

Tatsächlich lag sich Emma Krüger wund und musste in den Pflegebereich der Anstalt verlegt werden. Zwar wurde sie schwächer, konnte sich aber selber sauber halten. Am 12. Dezember 1944 wurde sie in den Pavillon 19 zurückverlegt. Anfang Januar 1945 teilte die Wiener Anstalt ihrer Schwester mit, "ihr Zustand […] hat sich in letzter Zeit in geistiger und körperlicher Beziehung verschlechtert. Sie ist verloren, hinfällig und pflegebedürftig. Muss in letzter Zeit im Bett gehalten werden." Paula Lisser schickte eine Karte für Emma mit der Bitte, sie ihr vorlesen zu lassen. Eine Bestätigung dafür erhielt sie nicht.

Anscheinend blieb Paula Lisser während des Jahres 1945 und in den ersten Monaten des Jahres 1946 im Ungewissen über das Befinden ihrer Schwester. Am 7. Mai 1946 wandte sie sich erneut an die Anstalt in Wien mit der ahnungsvollen Bitte um Mitteilung, "was mit meiner Schwester Emma Krüger geschehen ist". Einen Monat später, am 4. Juni, erhielt sie die Mitteilung: "Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass Ihre Schwester Frau Emma Krüger am 24.5.1945 an Herzmuskelschädigung gestorben ist." Weitere Angaben zur Todesursache fehlen in der nur unvollständig erhaltenen Patientenakte.

Emma Krüger erlebte zwar das Ende der NS-Herrschaft, war aber zu geschwächt, um unter den gegebenen Umständen wiederhergestellt und repatriiert zu werden. Sie starb im Alter von 75 Jahren.

Von den 228 Mädchen und Frauen aus Alsterdorf kamen 196 bis Ende 1945 ums Leben.

Das Wohnhaus im Borstelmannsweg erhielt später die Hausnummer 137. Im Zweiten Weltkrieg wurde es zerstört, beim Wiederaufbau des Stadtteils nach dem Krieg wurde der Verlauf der Straße geändert. Deshalb wird mit einem Stolperstein an der Ecke Hammer Landstraße / Rumpffsweg an Emma Krüger erinnert.

Stand: April 2022
© Ingo Wille/Hildegard Thevs

Quellen: Hamburger Adressbücher; StaH 332-5 Standesämter, 3029/96/1904 Heiratsregister Friedrich Wilhelm August Lisser/Henriette Sophie Pauline Niemann, 6888/758/1909 Sterberegister Henriette Charlotte Wilhelmine Krüger; Wiener Stadt- und Landesarchiv, Patientenakte Emma Krüger; Wunder, Genkel, Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, 3. Aufl., Stuttgart 2016, S. 331 ff.; Böhme, Klaus, Lohalm, Uwe (Hrsg.), Wege in den Tod, S. 425-437, Hamburg 1993. Zu Ferdinand Kunhardt, http://www.hamburger-persoenlichkeiten.de, Zugriff 7.6.2021.

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