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Bereits verlegte Stolpersteine



Ella Lübeck * 1883

Neuer Steinweg 26 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
ELLA LÜBECK
JG. 1883
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Ella Lübeck, geb. am 28. 7. 1883 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Neuer Steinweg 26 (ehemals Neuer Steinweg 65)

Ella Lübeck wurde am 28. Juli 1883 im Neuen Steinweg 65 in der Hamburger Neustadt geboren. Ihre jüdischen Eltern waren Wulf Levin Lübeck und Emma, geborene Puschke. Der Vater arbeitete als Maler. Er war 1848 in Glückstadt an der Unterelbe als Sohn von Levin und Leonore Lübeck, geborene Hinsch, geboren worden.

Wulf Levin Lübeck und seine Ehefrau Emma lebten an verschiedenen Orten der Hamburger Neustadt. Sie bekamen außer Ella noch vier Kinder: Leopold, geboren am 3. November 1876, Martha Mathilde, geboren am 10. Februar 1878, Harry, geboren am 1. September 1887 und Max, geboren am 11. September 1880.

Als Harry Lübeck und die Protestantin Frieda Ullrich aus Havelberg am 4. Oktober 1915 in Altona heirateten, übernahm Ella Lübeck zusammen mit Frieda Ullrichs Schwester Emma Bauer die Trauzeugenschaft. Laut Urkunde war Ella damals Stickerin und wohnte in der Schlachterstraße 47 im jüdischen Lazarus-Gumpel-Stift in der Hamburger Neustadt.

Das nächste noch aufgefundene Dokument aus Ellas Leben ist eine Patienten-Karteikarte, die bei ihrer Aufnahme in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg mit der Nummer 66205 angelegt wurde und erkennen lässt, dass sie 1929 in diese Anstalt kam.

Ella Lübecks Friedrichsberger Krankenakte steht nicht mehr zur Verfügung. Deshalb kennen wir den Grund ihrer Krankenhausaufnahme nicht. Sie blieb dort bis 1935 und wurde am 5. April in das Versorgungsheim Hamburg-Farmsen eingeliefert. Der Direktor der Staatlichen Wohlfahrtsanstalten, Georg Steigertahl, richtete im Oktober 1935 eine Anfrage folgenden Inhalts an die ihm unterstehenden Anstalten: "In den nächsten Wochen soll nochmals die Frage geprüft werden, ob in den Staatlichen Wohlfahrtsanstalten eine Abteilung für wohlfahrtsunterstützte Juden einzurichten ist oder ob wohlfahrtsunterstützte Juden als Familienpfleglinge bezw. als Insassen jüdischer Heime abgegeben werden können. Hierzu ist es nötig, daß über alle Volljuden die Anstalten eine kurze Charakteristik einreichen, aus der Pflegegrad, Arbeitsleistung, Kirchenzugehörigkeit, Einordnung in das Anstaltsleben u.s.w. hervorgehen. ....". Farmsen meldete daraufhin 22 Frauen und Männer. Ella Lübeck galt in dieser Liste als "geisteskrank, ruhig, sauber". Sie arbeitete im Stopfsaal. Das Ergebnis der Untersuchung fiel offenbar so aus, dass die Überlegungen, eine "Abteilung für wohlfahrtsunterstützte Juden" einzurichten, nicht weiterverfolgt wurden. Ella Lübecks Situation blieb somit unverändert. Sie verbrachte die nächsten Jahre im Versorgungsheim Farmsen. Während der am 17. Mai 1939 im Deutschen Reich durchgeführten Volkszählung wurde sie dort erfasst.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Ella Lübeck traf am 18. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September 1940 wurde sie mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Ella Lübeck Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Auch auf dem Geburtsregistereintrag von Ella Lübeck wurde notiert, dass das Standesamt Cholm II ihren Tod unter der Nummer 280/1941 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Cholm/Chelm östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es dort nie ein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Ella Lübecks Bruder Harry übte den Beruf des Dekorateurs aus. Er wohnte mit seiner Ehefrau Frieda 25 Jahre in der Straße Mesterkamp in Barmbek-Süd, bis das Ehepaar 1940 gezwungen wurde, die Wohnung aufzugeben und in das "Judenhaus" Bundesstraße 43 zu ziehen. Harry Lübeck musste zwangsweise bei einer Tiefbaufirma in Otterndorf arbeiten und kam von dort krank zurück. Harry und Frieda Lübeck erlebten mit, wie ihre Mitbewohner nach und nach deportiert wurden. Nachdem 1942 die letzten älteren Bewohnerinnen und Bewohner "in den Osten verschickt" worden waren, mussten Harry und Frieda Lübeck erneut umziehen, diesmal in die Bornstraße 6. Auch dieses Haus wurde durch die "Evakuierungen" leergeräumt. Harry und Frieda Lübeck wurden nun in die Rutschbahn 25a Haus 3 eingewiesen. Dort wurden sie in den letzten Julitagen 1943 ausgebombt. Sie fanden wegen des "Judensterns" auf Harry Lübecks Brust zunächst keine neue Unterkunft und lebten auf der Straße, bis sie in der Rutschbahn 25a Haus 4 in einer Wohnung mit drei Ehepaaren unterkamen. Harry Lübecks Ehe mit der evangelischen Frieda Lübeck, eine sogenannte privilegierte Mischehe, rettete ihn vor Deportation und möglichem Tod. Er starb am 5. Januar 1954 in Hamburg. Das Schicksal der anderen Geschwister von Ella Lübeck kennen wir nicht.

Stand: Juli 2022
© Ingo Wille

Quellen: 4; 5; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 323-3 Zivilstandsaufsicht B 73 Heiratsregister Nr. 2873/1875 Wulf Levin/Emma Puschke; 332-5 Standesämter 1888 Geburtsregister Nr. 5129/1876 Leopold Lübeck, 1928 Geburtsregister Nr. 775/1878 Martha Mathilde Lübeck, 2156 Geburtsregister Nr. 4251/1887 Harry Lübeck, 1977 Geburtsregister Nr. 1826/1880 Max Lübeck, 1888 Geburtsregister Nr. 5129/1876 Leopold Lübeck, 2057 Geburtsregister Nr. 3585 Ella Lübeck, 5816 Heiratsregister Nr. 251/1915 Harry Lübeck/ Frieda Ullrich; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 9370 Harry Lübeck; 351-12 I Amt für Wohlfahrtsanstalten I 19 Versorgungsheim Farmsen, Juden in Wohlfahrtsanstalten; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 1939 bis 27. 1. 1941; 522-1 jüdische Gemeinden 696d Geburtsregister Nr. 183/1847 John Puschke (Busch), 696d Geburtsregister Nr. 202/1848 Emma Puschke.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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