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Karl Schober * 1880

Pasmannstraße gegenüber Hausnr. 8 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
KARL SCHOBER
JG. 1880
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
19.11.1941

Ruth Wilhelmine Prause, geb. Jacobson, geb. am 13.8.1898 in Hamburg, aufgefunden am 19.11.1941 nach Freitod in Hamburg
Karl Schober, geb. am 16.3.1880 in Gschwend in Württemberg, aufgefunden am 19.11.1941 nach Freitod in Hamburg

Pasmannstraße, gegenüber Hausnr. 8 (Pasmannstrasse 7)

Am 19. November 1941, morgens um 9 Uhr 30, erschien Frau Marta Heinemann, aus der Pasmannstraße 7, bei der zuständigen Polizeiwache in der Neustadt. Sie vermutete, dass ihre Nachbarin aus der zweiten Etage, die Witwe Ruth Prause, und deren Untermieter Schober sich das Leben genommen hätten. Seit Sonnabend den 16. November seien beide nicht mehr gesehen worden und zudem habe Ruth Prause vor einiger Zeit ihr gegenüber geäußert, sich das Leben nehmen zu wollen.

Da auch den Oberwachtmeistern Christiansen und Wernik nicht geöffnet wurde, benachrichtigten sie die Wache 2 der "Feuer Schutzpolizei". Um 10 Uhr 20 verschafften sich die Beamten, die einen Leiterwagen mitgebracht hatten, Zugang zur Wohnung. "Wir gelangten durch das geöffnete Fenster in die Wohnung. Dort fanden wir die Küchentür geschlossen und von innen mit Papier verklebt vor. Beim Öffnen der Küchentür trat uns ein starker Gasgeruch entgegen. Wir fanden die Jüdin Prause und den Untermieter Schober auf Sesseln sitzend tot vor. Der Gashahn am Gasherd war geöffnet."

Der herbeigerufene Arzt Reuter stellte den Tod durch Vergiftung mit Leuchtgas fest. Auf dem Küchentisch, neben gut geordneten Papieren, fanden die Beamten zwei Abschiedsbriefe.

Ruth Prause war als viertes Kind des Oberstewards und späteren Bankboten Alexander Jacobson (geb. 22.12.1853) und seiner Ehefrau Emilie, geb. Engers (geb. 16.1.1863), in Hamburg geboren worden. Ihre Eltern hatten am 31. Oktober 1884 in Altona geheiratet, wo schon Ruths Mutter als Tochter von Salomon Simson Engers und Goldine, geb. Arnow, zur Welt gekommen war. Die Familie von Ruths Vater stammte aus Stade. Ihr Großvater Isaac Jacobson hatte dort das Amt des Synagogenvorstehers bekleidet und besaß in der Bungenstraße 14 ein Produktengeschäft. Isaac Jacobson lebte mit seiner Familie aber auch einige Zeit in Harburg, in Hannover und in Ulzen, wo die älteren Geschwister von Ruth zur Welt gekommen waren. Schließlich, um 1893, waren sie nach Altona in die Paulstraße 3 (heute Otzenstraße) gezogen.

Der älteste Bruder Isaac Jacobson (geb. 30.8.1885), nach seinem Großvater benannt, war 1914 in die USA ausgewandert und galt seitdem als "verschollen". Die Schwester Goldina Penzel, geb. Jacobson (geb. 14.5.1888 in Ulzen), starb früh. Ihr Ehemann Karl Penzel (geb. 27.2.1898 in Schöneck) wohnte in der Fuhlentwiete 43 und sorgte, bis er erneut heiratete, allein für sechs Kinder. Eine weitere Schwester Frieda Ackermann, geb. Jacobson, geschiedene Scharnberg (geb. 30.8.1885 in Hannover, gest. 24.7.1965) fuhr seit 1926 als Steward auf der "Resolut" der Hamburg-Amerika-Line zur See. Sie ging später noch eine weitere Ehe mit dem Lagermeister Bernhard Griesser (geb. 18.4.1887 in Sipplingen) ein. Das Ehepaar lebte mit Friedas Tochter Rösel-Ursula Scharnberg (geb. 9.10.1907) im Stadtteil St. Pauli in der Altonaerstraße 19 (heute Altonaer Straße) und betrieb in der Maacksgasse 5 eine Heißmangelei. Ruths jüngster Bruder Siegwart Siegesmund Salomon (geb. 3.11.1899, gest. 25.11.1949) war in der Bismarckstraße 24 in Hamburg-Eimsbüttel zur Welt gekommen. Er wurde Koch, dann Hafenarbeiter und lebte mit seiner Frau Johanna, geb. Landgraf (geb. 29.5.1904, gest. 14.5.1944), und drei Kindern in der Peterstraße 61 und später in der Marienstraße 62/64 (ab 1940 Jan-Valkenburg-Straße). Siegwart Jacobson und seine Schwester Frieda Griesser überlebten das NS-Regime in sogenannten Mischehen.

Doch zurück zu Ruth: Bis zu ihrer Heirat am 4. April 1923 wohnte sie bei ihrer Familie in der Straße Kohlhöfen 18. Ihr Vater Alexander Jacobson erlebte die Hochzeit seiner Tochter noch, er starb kurz darauf am 27. Mai 1923 im Freimaurerkrankenhaus und wurde auf dem Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel in Ohlsdorf beerdigt. Obwohl der Großvater Isaac Jacobson noch Synagogenvorsteher in Stade gewesen war, spielte die Religion offenbar zwei Generationen später in der Familie keine Rolle mehr. Wie ihre Geschwister wählte Ruth mit dem gleichaltrigen Hamburger Hans Berthold Wilhelm Prause (geb. 24.1.1898) einen nichtjüdischen Ehepartner. Berthold Prause arbeitete als Postangestellter und war oder wurde lungenkrank, sodass Ruth zum Lebensunterhalt beitragen musste. Das kinderlose Ehepaar wohnte 1927 in der Lindenallee 86 in Hamburg-Eimsbüttel. Mitte 1931 bezog es eine Wohnung des Bauvereins der Postbeamten im Buchsbaumweg 5 in Hamburg-Winterhude. Doch Berthold Prause starb kurz nach ihrem Einzug am 7. Juni 1931, im Alter von 33 Jahren, im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek.

Nach seinem Tod erhielt Ruth vom "Postamt" eine kleine Pension und zog in den folgenden Jahren oft um. Sie wohnte in der Herderstraße 33, Hamburg-Uhlenhorst (1933), in der Groothoffgasse 3 (1934) und in der Hölderlinsallee 4, Hamburg-Winterhude (1936). Ab 1938 verzeichnete das Hamburger Adressbuch Ruth Prause in der Margarethenstraße 12. Von dort zog sie 1939 in die Pasmannstraße 7. Offenbar hatte Ruth Prause in den vergangenen Jahren nur losen Kontakt zu ihrer Familie unterhalten. Ihre Mutter Emilie Jacobson lebte seit 1925 im jüdischen Lazarus-Gumpel-Stift in der Schlachterstraße 46/47 und wandte sich 1932 an das Wohlfahrtsamt mit der Bitte um Unterstützung. In diesem Zusammenhang gab sie an, ihre Tochter Ruth habe wohl wieder geheiratet. Sie glaubte, der Mann hieße Schober, mit ihm -lebe ihre Tochter im Stadtteil St. Pauli am Pinnasberg 45.

Ganz richtig war diese Information nicht: Ruth Prause und Karl Schober lebten in einer Wohnung, waren jedoch nicht verheiratet.

Der nichtjüdische Heizer Karl Schober war am 16. März 1880 als Sohn des Seilers Christof Schober und Christine, geb. Bauer, im württembergischen Gschwend geboren und hatte, bevor er nach Hamburg kam, in Kiel gelebt.

Vielleicht entschlossen sich Ruth Prause und Karl Schober gemeinsam aus dem Leben zu gehen, nachdem Ruth ihren Deportationsbefehl erhalten hatte, vermutlich für den Transport am 18. November 1941 ins Getto nach Minsk. Ihre Nichte Rösel Rübcke, geb. Scharnberg, erklärte nach dem Krieg, ihre Tante habe sich vergiftet, als die Gestapo sie abholen wollte.

Karl Schober schrieb in seinem Abschiedsbrief: "Ich scheide freiwillig aus diesem Leben, da ich hier eine gute Wirtin gehabt habe. Habe in meinem ganzen Leben schwer gearbeitet und möchte nicht in meinem Alter von 62 Jahren nochmals bei fremden Leuten wohnen." Zudem erklärte er ausdrücklich, dass zwischen ihnen keine weiteren Beziehungen bestünden, wohl um nicht den Verdacht der "Rassenschande" aufkommen zu lassen.

Ruth Prause wollte niemandem etwas schuldig bleiben, auch nicht den Hamburger Gaswerken. Auf einem handgeschriebenen Zettel hinterließ sie Geld für das verbrauchte Gas und bat, "den alten Mann" mit ihr zusammen im Grab ihres verstorbenen Mannes auf dem Ohlsdorfer Friedhof zu beerdigen. Ihre Urnenbeisetzung erfolgte jedoch am 18. Dezember 1941 in Ohlsdorf auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel.

Ihre Mutter Emilie Jacobson starb am 24. Januar 1943 im Israelitischen Krankenhaus in der Schäferkampsallee 29 an einer Lungenentzündung.


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 4; StaH 331-5 Polizeibehörde - Unnatürliche Sterbefälle 3 Akte 1897/41; 522-1 Jüdische Gemeinden 391; StaH 332-5 Standesämter 5887 u 753/1884; StaH 332-5 Standesämter 9148 u 242/1898; StaH 332-5 Standesämter 13096 u 2493/1899; StaH 332-5 Standesämter 6473 u 421/1910; StaH 332-5 Standesämter 8073 u 316/1923; StaH 332-5 Standesämter 3458 u 276/1923; StaH 332-5 Standesämter 7126 u 909/1931; StaH 332-5 Standesämter 1139 u 429/1941; StaH 332-5 Standesämter 1139 u 428/1941; StaH 332-5 Standesämter 8185 u 54/1943; StaH 332-5 Standesämter 1200 u 327/1944; StaH 332-5 Standesämter 4300 u 11/1949; StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge 1329 (Jacobson, Emilie); StaH 351-11 AfW 9447 (Griesser, Bernhard); StaH 351-11 AfW 8382 (Griesser, Frieda); StaH 351-11 AfW 32190 (Rübcke, Rösel); http://www.jüdischer-friedhof-altona.de/datenbank.html (Gräber von Juden und nichtjüdischen Angehörigen, Zugriff 19.7.2017); diverse Hamburger Adressbücher.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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