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Bertha Kaminer, Juni 1941
Bertha Kaminer, Juni 1941
© StaH

Bertha Kaminer (geborene Luckmann) * 1885

Englische Planke 6 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
BERTHA KAMINER
GEB. LUCKMANN
JG. 1885
EINGEWIESEN 1928
HEILANSTALT LANGENHORN
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET

Bertha Kaminer, geb. Lückmann (Glickmann), geb. am 25.10.1885 in Dombrawa (heute Dąbrowa Górnicza, Polen), aufgenommen in der Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn am 3.4.1928, verlegt nach Berlin am 15.4.1943, deportiert nach Theresienstadt am 15.10.1943, dort gestorben im Dezember 1943

Englische Planke 6 (Neustadt)

Die Jüdin Bertha Kaminer wurde am 15. Oktober 1943 aus dem Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße in Berlin-Wedding in das Getto Theresienstadt deportiert. Ihr genaues Sterbedatum ist nicht bekannt. Die wenigen über sie vorhandenen Dokumente ergeben ein nur bruchstückhaftes Bild ihres Lebens:

Bertha Kaminer war am 25. Oktober 1885 als Bertha Lückmann oder Glickmann in Dombrowa (heute Dąbrowa Górnicza in der Woiwodschaft Schlesien in Polen), einer Kleinstadt etwa 30 km entfernt von Kattowitz, zur Welt gekommen. Wir kennen weder die Namen ihrer Eltern, noch den Verlauf ihrer Kindheit und Jugend. Es ist auch nicht bekannt, wann und wo sie die Ehe mit dem 24 Jahre älteren jüdischen Händler Guersch Israel Beirof Kaminer einging. Ebenso unbekannt ist, wann und wodurch Bertha Kaminer die brasilianische Staatsangehörigkeit erhalten hatte.

Ihr Ehemann Guersch Israel Beirof war am 20. September 1861 in Odessa zur Welt gekommen und am 6. Januar 1918 im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg gestorben. Während der Sterberegistereintrag seinen Beruf als "Händler" ausweist, wird er im Register des Jüdischen Friedhofs Ilandkoppel in Hamburg-Ohlsdorf als "Trödler" bezeichnet und das Hamburger Adressbuch ab 1909 nennt seinen Handel mit "Partiewaren", zunächst unter der Adresse Kaiser-Wilhelm-Straße 60, ab 1911 mit dem zusätzlichen Wohnsitz Englische Planke 6.

Bertha Kaminer wohnte als Witwe noch in der Englischen Planke 6, als sie am 3. April 1928 in der damaligen Staatskrankenanstalt Langenhorn mit der Diagnose "Schizophrenie" aufgenommen wurde. Wir wissen weder, wie es zu ihrer Einweisung kam, noch wie ihr Leben vorher als Witwe verlaufen war.

Nach den Eintragungen in der Langenhorner Patientenakte soll sie "viel gesprochen" haben, "vor sich hingelaufen und ziemlich unorientiert" gewesen sein. Wiederholt wurde sie als "hypomanisch" bezeichnet. (Mit diesem Begriff ist eine abgeschwächte Form der Manie gemeint. Er fasst eine anhaltend leicht gehobene Stimmung, gesteigerten Antrieb, verstärkte Aktivität sowie in der Regel auch ein auffallendes Gefühl von Wohlbefinden und körperlicher und seelischer Leistungsfähigkeit zusammen. In den heute im Internet auffindbaren Beschreibungen heißt es: "Meist genügt in diesem Fall eine ambulante Therapie. Häufig können die Symptome einer Hypomanie mit einer Dosisanpassung der bereits verordneten Medikamente verbessert werden.")

Weder von Bertha Kaminer, noch von ihrem früheren Ehemann existieren Hinweise auf eine Nähe oder gar eine Zugehörigkeit zur Jüdischen Gemeinde, so dass von einem über viele Jahre nicht religiös geprägten Leben der beiden ausgegangen werden kann. Bertha Kaminer trat erst am 5. April 1937 in die Hamburger Jüdische Gemeinde ein. Den Grund für den Gemeindeeintritt kennen wir nicht.

Höchstwahrscheinlich bewahrte die nichtdeutsche Staatsangehörigkeit Bertha Kaminer vor der Ermordung, als am 23. September 1940 136 jüdische Patientinnen und Patienten aus Langenhorn nach Brandenburg an der Havel abtransportiert und dort mit einer Ausnahme noch am selben Tag mit Kohlenmonoxid ermordet wurden. In Bertha Kaminers Patientenakte finden sich mit Datum 23. September 1940 die widersprüchlichen Einträge "In eine Dementen Anstalt verlegt." und: "Patient wird nicht verlegt. Bleibt hier."

1940 pflegten das Deutsche Reich und Brasilien noch gute Beziehungen zueinander. Das schützte auch (noch) Juden und Jüdinnen mit dieser Staatsangehörigkeit. Dies endete 1942, als Brasilien auf Seiten der Alliierten in den Zweiten Weltkrieg eintrat. Brasilianische Juden gehörten nun zu den ausländischen Juden von Feindstaaten, die interniert wurden, wobei Bertha Kaminer sich ja bereits in einer Art Internierung in der Staatskrankenanstalt befand.

Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, der die Hamburger Jüdische Gemeinde eingegliedert war, registrierte sie auch in der Ausländer-Zählkartei. Diese wurde nicht nur für Hamburg, sondern auch für die zentrale Erfassung der Juden und Jüdinnen in Berlin geführt und ständig aktualisiert. Von der Deportation waren ausländischen Juden "Feindstaaten" ausgenommen. Sie sollten eventuell gegen Auslandsdeutsche ausgetauscht werden, wobei die Heimatländer in der Regel nicht an der Rückkehr psychisch kranker Staatsbürger interessiert waren.

Als es im Jahre 1941 zu einer großen Abschiebungswelle aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in andere Anstalten kam, wurden unter anderem fünf Transporte mit 205 Patientinnen und Patienten in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg beordert. Mit dem letzten, 20 Personen umfassenden Transport am 18. Juli 1941 wurde auch Bertha Kaminer nach Lüneburg verlegt. Hier wurde über sie keine Krankenakte geführt, sondern lediglich notiert, dass sie Kartoffeln schälen wolle.

Am 13. April 1943 wurde Bertha Kaminer "gänzlich unverändert" nach Langenhorn zurückgeschickt. Kurz darauf, am 15. April, wurde die "äußerlich ruhige und geordnete Kranke nach Berlin verlegt". Dort diente das Jüdische Krankenhaus als Sammelstelle für "Klärungsfälle" verschiedenster Art, oft wegen ihrer teiljüdischen Herkunft oder aufgelösten Mischehen oder eben auch wegen der Staatsangehörigkeit. Dort wurde entschieden, ob ein "Klärungsfall" in die Deportationen einbezogen werden sollte (und wohin die Deportation gehen sollte) oder nicht. Bertha Kaminer verblieb ein halbes Jahr dort.

Im Herbst 1943 fanden verstärkt Deportationen aus dem Jüdischen Krankenhaus statt, im Oktober und November traf es insbesondere die dort noch befindlichen Geisteskranken. So wurde am 15. Oktober 1943 auch Bertha Kaminer mit dem 97. Alterstransport in das Getto Theresienstadt deportiert. Unter den 51 Deportierten ihres Transports befanden sich laut Deportationsliste 19 "Geisteskranke", neben deren Personalien ist bei etlichen Personen der handschriftliche Vermerk "Ausländer" zu lesen.

In Theresienstadt angekommen, erlitten die Geisteskranken ein besonders grausames Schicksal: Sie wurden dort nicht behandelt, sondern gleich in den Kasematten der Kavalierskaserne (E VII) weggeschlossen. Der Theresienstadt-Chronist H.G. Adler spricht von "haarsträubenden Zuständen" dort, die Historikerin Anna Hajkova führt aus, dass Männer und Frauen gemeinsam in dunklen, feuchten, schmutzigen Räumen eingeschlossen wurden, wo sie hungerten und medizinisch kaum versorgt wurden. Sie konnten diese Unterkunft nie verlassen. Entsprechend hoch war die Sterblichkeit.

Bertha Kaminer verstarb lt. Gedenkbuch des Bundesarchivs dort im Dezember 1943.

Stand: August 2023
© Ingo Wille

Quellen: 1, 3, 4, 5; Adressbuch Hamburg 1909 bis 1930; StaH 332-5 Standesämter 791 Sterberegister Nr. 11/1918 (Guersch Israél Beirof Kaminer), 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1995/1 Nr. 17320 (Bertha Kaminer); https://digitalcollections.its-arolsen.org/01020401/name/pageview/725590/540484: ITS 802, 806; https://www.statistik-des-holocaust.de/AT97-2.jpg; Böhme, Klaus und Lohalm, Uwe (Hrsg.): Wege in den Tod, Hamburg 1993, S. 490f. Begriff Hypomanie: https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=hypomanisch+definition&ie=UTF-8&oe=UTF-8 (Zugriff am 1.7.2023); H.G. Adler, Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Göttingen (Repr. 2. Aufl. 1950), S. 522f.; Anna Hajkova, The last Ghetto. An Everyday History of Theresienstadt, Oxford 2020, S. 141f.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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