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Hans Koetzer * 1915

Lattenkamp 84 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
HANS KOETZER
JG. 1915
EINGEWIESEN 1926
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT` 1938
HET APELDOORNSCHE BOSCH
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 25.1.1943

Hans Dorus Koetzer, geb. am 17.4.1915 in Amsterdam, aufgenommen in den Alsterdorf Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 14.5.1926, abgeschoben nach Holland am 19.3.1938, dort aufgenommen in der Anstalt Apeldoornsche Bosch, deportiert nach Auschwitz am 22.1.1943, ermordet am 25.1.1943

Lattenkamp 84, Winterhude

Hans Dorus Koetzer wurde am 17. April 1915 in Amsterdam als Sohn des jüdischen Kaufmanns Bernard Koetzer (geboren am 27. Juni 1880 in Amsterdam) und seiner ebenfalls jüdischen Ehefrau Elisabeth, geborene Rudelsheim (geboren am 3. Januar 1881 in Amsterdam) geboren. Er hatte zwei ältere Geschwister, Max Henri, geboren am 21. Juni 1906 in Amsterdam, und Susanna Rosette, geboren am 25. Oktober 1909 in Amsterdam 1909. Die Familie besaß die niederländische Staatsbürgerschaft.

Die Familie verlegte 1923 ihren Wohnsitz nach Hamburg. Bernard Koetzer war als Vertreter von holländischen und dänischen Käsefirmen tätig. Max Henri Koetzer arbeitete nach seiner Schulzeit zunächst als kaufmännischer Angestellter bis er in der Wohnung Lattenkamp 84 ein eigenes Geschäftslokal eröffnete, in dem er einen Lebensmittelgroßhandel betrieb.

Die Familie wurde erstmals 1926 im Hamburger Adressbuch mit Wohnsitz Lattenkamp 84 in Winterhude genannt. Hans‘ Vater war danach Miteigentümer der Handelsvertretung Koetzer & Merloo, die ihren Sitz in der Gröningerstraße 21, später in der Gröningerstraße 14, hatte.

Die wenigen verfügbaren biographischen Informationen über Hans Koetzer sind einer Karteikarte entnommen, die für das ab 1934 aufgebaute Hamburger Gesundheitspassarchiv zum Zwecke der "erbbiologischen Bestandsaufnahme" der Bevölkerung angelegt worden war. Danach unternahm Hans Koetzer erst im Alter von sieben Jahren erste Gehversuche. 1924 wurde in Lübeck versucht, seine Gehfähigkeit durch eine Sehnentransplantation zu verbessern. (Bei diesem Eingriff werden verletzte Sehnen entfernt und durch gesunde ersetzt) Über den Erfolg der Operation ist nichts überliefert.

Hans Koetzer wurde am 14. Mai 1926 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Er war oft Patient im Anstaltskrankenhaus. Nach den Aufzeichnungen auf der Erbgesundheitskarteikarte litt er u.a. an Bronchitis, Ekzemen, Angina, Masern, Furunkeln. Außerdem bestand bei ihm Tbc-Verdacht.

Hans Koetzer, soviel ist der Erbgesundheitskarteikarte zu entnehmen, erhielt in Alsterdorf Besuch von seiner Mutter. Er habe sie bei den Besuchen gekniffen und an den Haaren gerissen. Seine Mitpatienten soll er geschlagen haben und sehr erregt gewesen sein, wenn nicht alles nach seinem Willen ging.

Die Alsterdorfer Anstalten hatten sich nach 1933 zu einem nationalsozialistischen Musterbetrieb entwickelt, in dem eugenische Vorstellungen und damit einhergehend auch Zwangssterilisationen als "Verhütung unwerten Lebens" unterstützt wurden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Verfolgung der Juden im Deutschen Reich zu entsprechenden Maßnahmen auch in den Alsterdorfer Anstalten führten. Ein Urteil des Reichsfinanzhofs vom 18. März 1937 diente als Vorwand, die Entlassung aller Jüdinnen und Juden aus den Alsterdorfer Anstalten vorzubereiten. Pastor Friedrich Karl Lensch, Leiter der Einrichtung und SA-Mitglied, gab vor, in dem Urteil die Gefahr des Verlustes der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit zu sehen, wenn künftig Jüdinnen und Juden in der Anstalt bleiben würden. Ein Schreiben vom 3. September 1937 an die Hamburger Fürsorgebehörde enthielt 18 Namen von "jüdischen Zöglinge[n], welche hier auf Kosten der Fürsorgebehörde untergebracht sind", darunter auch den von Hans Koetzer. Beginnend am 1. Februar 1938 wurden die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner aus den Alsterdorfer Anstalten verdrängt, bis sie sich im April 1940 schließlich des letzten jüdischen Anstaltsbewohners entledigt hatten.

Hans Koetzer war die zweite Person, die die Alsterdorfer Anstalten verlassen musste. Wie auf seiner erwähnten Erbgesundheitskarteikarte vermerkt ist, wurde er am 19. März 1938 wegen seiner holländischen Staatsangehörigkeit in die Niederlande abgeschoben. Die im Osten der Stadt Apeldoorn gelegenen Anstalt Apeldoornsche Bosch meldete ihn am 12. April 1938 in der Gemeinde an. Diese jüdisch-psychiatrische Anstalt war 1909 von der "Vereeniging Centraal Israëlietisch Krankzinnigengesticht in Nederland" (Vereinigung zentraler israelitischer Nervenheilanstalt in den Niederlanden) gegründet worden und hatte sich zu einer blühenden Einrichtung entwickelt.

Nachdem die Anstalt in den ersten zweieinhalb Jahren von der deutschen Besatzung und den Unbilden des Zweiten Weltkrieges relativ unberührt geblieben war, änderte sich die Situation im Frühjahr 1942 einschneidend. Am 1. April 1942 wurde das nichtjüdische Personal entlassen. Hans Koetzer musste – wie seine Mutter berichtete – ab 2. Mai 1942 den "Judenstern" tragen. Ab Juni 1942 durften Juden in den Niederlanden nicht mehr reisen, so dass fast keine Besucher mehr nach Het Bosch kamen. Am 19. Januar 1943 ordnete SS-Kommandant Ferdinand aus der Fünten die Räumung der gesamten Anlage an. In der Nacht vom 21. auf den 22. Januar 1943 geschah dies: Nahezu 1.300 Menschen, Patientinnen und Patienten wie Personal, wurden nach Auschwitz transportiert. Niemand von ihnen kam zurück, auch nicht Hans Koetzer. Er wurde am 25. Januar 1943 in Auschwitz ermordet.

Seit April 1990 erinnert in Apeldoorn ein Monument an die am 21. Januar 1943 deportierten jüdischen Patientinnen und Patienten sowie die ebenfalls deportierten Angestellten.


Hans Koetzers Schwester hatte Hamburg im August 1933 verlassen und war nach Eindhoven gezogen. Die Geschäftstätigkeiten von Bernard und Max Henri Koetzer verschlechterten sich ab 1937 infolge der Diskriminierung von Juden rapide und wurde 1938 schließlich unmöglich gemacht. Hans Koetzers Eltern und sein Bruder übersiedelten im Mai 1938 in ihre Heimatstadt Amsterdam, denn – so Bernard Koetzer in seinem späteren Wiedergutmachungsantrag - "länger war der Zustand in Deutschland im Hinblick auf die politische Entwicklung für uns als Juden nicht mehr auszuhalten".

Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande, Belgien und Luxemburg am 10. Mai 1940 wurde die Situation für die Familie Koetzer auch in Holland immer gefährlicher. Um der Deportation zu entgehen, versteckten sich Bernard und Elisabeth Koetzer bis zum Kriegsende in Laren, einem kleinen Ort in der Nähe von Amsterdam bei einer Frau L. Stavorinus-Herr, einer Deutschen. Die Tochter Susanne Rosette hatte inzwischen geheiratet. Auch sie überlebte. Die näheren Umstände kennen wir nicht. Wie Max Henri Koetzer es schaffte, der Deportation zu entgehen, wissen wir nicht.

Stand: April 2023
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 5202 Elisabeth Koetzer, 31181 Max Henri Koetzer, 40459 Hans Dorus Koetzer; Evangelische Stiftung Hamburg, Archiv, Erbgesundheitskarteikarte über Hans Koetzer, Aufnahmebuch Eintrag Nr. 5468; Mitteilung von NaamGezicht@kampwesterbork.nl vom 5.10.22 über Hans Koetzer und Familie. Cecile aan de Stegge, Mangelversorgung, Hungersterben und Mord in niederländischen Anstalten 1940-1945 in: "Euthanasie"-Verbrechen im besetzten Europa, Zur Dimension des nationalsozialistischen Massenmords, Hrsg. Jörg Osterloh, Jan Erik Schulte, Sybillle Steinbacher, S. 202 ff., Göttingen 2022. https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=en&s_id=&s_lastName=Koetzer&s_firstName=Hans&s_place=&s_dateOfBirth=&cluster=true (Zugriff am 15.10.2022), https://www.apeldoornschebosch.nl/du/geschichte (Zugriff am 15.10.2022), https://www.genealogieonline.nl/genealogie-swaab-hoogland/I10632.php (Zugriff am 15.10.2022).

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