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Bereits verlegte Stolpersteine



Fanny Uckert * 1908

Mansteinstraße 21 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)


HIER WOHNTE
FANNY UCKERT
JG. 1908
EINGEWIESEN 1919
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT‘ 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 25.3.1945

Fanny Henriette Uckert, geb. 15.9.1908 in Hamburg, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 2.5.1919, "verlegt" nach Wien in die ""Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" am 16.8.1943, dort ermordet am 25.3.1945

Mansteinstraße 21, Hoheluft-West

Fanni Elise Marie Dittmann bekam am 15. September 1908 im Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf die Tochter Fanny Henriette. Der leibliche Vater war der Kontorist (kaufmännischer Angestellter) Amandus Henry Uckert. Das Kind wurde noch im Krankenhaus lutherisch getauft. Aus dieser Beziehung ging als zweites Kind Arthur, geboren am 21. März 1910, hervor.

Die Eltern der Kinder waren in Hamburg zur Welt gekommen: Die Mutter, Fanni Elise Dittmann, am 12. Juni 1888, der Vater Amandus Henry Uckert am 5. März 1889. Das Paar heiratete am 12. Januar 1916 und wohnte dann in der Mansteinstraße 21 in Hoheluft-West, der bisherigen Wohnung von Fanni Dittmann. Henry Uckert erkannte die Vaterschaft von Fanny und Arthur Dittmann am 18. Januar 1916 durch Erklärung gegenüber einem Standesbeamten an. Von nun an trugen die Kinder den Nachnamen Uckert.

Fanny Uckert besuchte die "Hilfsschule" in der Osterstraße im Stadtteil Eimsbüttel in den Jahren 1916/1917. Der Schulbesuch wurde aufgrund ihrer "körperlichen Leiden" beendet. Der Arzt Dr. Nemann (Biographie www.stolpersteine-hamburg.de) erklärte am 24. März 1919, "aufgrund persönlich […] vorgenommener Untersuchung erkläre ich die Aufnahme der Fanny Uckert […] wegen Schwachsinn[s] für erforderlich. Kann nicht lernen, nichts begreifen. Lesen und Schreiben zu lernen war unmöglich, Sprache ist sehr mühsam." (Der heute nicht mehr verwendete Begriff "Schwachsinn" bezeichnete eine Intelligenzminderung bzw. angeborene Intelligenzschwäche.)

Nachdem Fanny Uckerts Vater kurz darauf um Aufnahme seiner Tochter in die Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) gebeten hatte, wurde die neunjährige Fanny am 2. Mai 1919 als Bewohnerin dieser Einrichtung aufgenommen.
Fannys Eltern waren offenbar sehr um ihre Tochter besorgt. Sie erhielt allein 1921 elfmal "Urlaub" für Besuche bei ihrer Familie.

Das Mädchen musste nach den Eintragungen in seiner Krankenakte gekämmt und angezogen werden. Es galt als verträglich, gutmütig und sauber, jedoch als arbeitsunfähig. Diese Beschreibungen wiederholten sich weitgehend unverändert in den folgenden Jahren. Die Anzahl der Besuche in der Familie nahm im Laufe der Jahre etwas ab, die Weihnachtsfeiertage verbrachte Fanny aber immer im Kreis der Familie.

Über die Verhältnisse in Fanny Uckerts Elternhaus lassen die noch vorhandenen Unterlagen wenig erkennen. Sie dürften aber nicht einfach gewesen sein. Finanziell entwickelte sich die Situation zunehmend angespannt. Bereits 1920 beantragte Henry Uckert eine Reduzierung seines Kostenbeitrages für Alsterdorf: Sein Einkommen betrage nur 700 M pro Monat. Davon müsse er seine Frau, seinen Sohn und seine Schwiegermutter unterhalten. Ab 1926 trug Henry Uckert nichts mehr zu den Anstaltskosten bei, so dass die Wohlfahrtsbehörde die Anstaltskosten vollständig übernehmen musste.

Die Ehe von Fanni und Henry Uckert wurde am 18. Juli 1929 geschieden, die Scheidung erlangte am 24. August 1929 Rechtskraft.

1932 erlitt Fanny Uckert erstmals Krämpfe, verbunden mit längerer Besinnungslosigkeit. Die junge Frau erhielt jedoch weiterhin "Urlaub" für Besuche bei den Familienangehörigen.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, sich mit Zustimmung der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Mit einem dieser Transporte wurden am 16. August 1943 aus Alsterdorf 228 Frauen und Mädchen, aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn 72 Mädchen und Frauen nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") "verlegt". Unter ihnen befand sich Fanny Uckert.

in Wien wurde wiederholt vermerkt, Fanny Uckert sei unbeschäftigt. Sie sitze immer abgesondert und müsse zur Körperpflege angehalten werden.

Im November 1944 füllten die Wiener Anstalten den "Meldebogen I" aus, mit dem während der ersten Euthanasiephase von 1939 bis 1941 wichtige Daten der Anstaltsinsassen an die Euthanasiezentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, gemeldet wurden. Aufgrund dieser Angaben wurde dort entschieden, ob Menschen mit Behinderungen oder psychischen bzw. geistigen Krankheiten in einer der sechs Gasmordanstalten umgebracht wurden. Bei Fanny Uckert wurde die Diagnose "Imbezillität" (Schwachsinn, siehe oben) eingetragen und vermerkt, dass ihre Angehörigen unbekannt seien und sie keinen Besuch erhalte. Die Krankenakte gibt keinen Aufschluss darüber, ob dieser Meldebogen nach Berlin geschickt wurde, bzw. ob er auf ihr weiteres Schicksal Einfluss hatte.

1944/Anfang 1945 steigerten sich negative Eintragungen über Fanny Uckert in ihrer Patientinnenakte: "Unbeschäftigt, sitzt immer abgesondert, muss zur Körperpflege angehalten werden, ungeordnet, starrt vor sich hin, gibt auf Fragen keine Antworten, macht einen läppischen Eindruck." Am 15. Januar 1935 wurde Fanny Uckert in die "Pflegeanstalt übersetzt". Gründe sind nicht vermerkt.

Am 24. März, so die Einträge, klagte Fanny Uckert abends plötzlich über "Schmerzen im Bauch, hatte Durchfall. Starb um 3:00 Uhr (am 25. März)." Die Akte enthält als erste Vermutung der Todesursache Darmentzündung, das Obduktionsprotokoll hingegen vermerkt Lungen- und Darm-Tbc.

Die Anstalt in Wien war während der ersten Phase der NS-"Euthanasie" vom Oktober 1939 bis August 1941 Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gewesen. Nach dem offiziellen Ende der Morde in den Tötungsanstalten wurde jedoch in bisherigen Zwischenanstalten, also auch in der Wiener Anstalt selbst, massenhaft weiter gemordet: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheit, vor allem aber durch Nahrungsentzug.

Von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg kamen 257 bis Ende 1945 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf.

Fanny Uckerts Eltern erhielten zunächst keine Information über den Tod ihrer Tochter. Wie die Mutter Fanni Uckert dennoch erfahren hat, dass ihre Tochter gestorben war, ist nicht ersichtlich. Sie wandte sich mit einem Schreiben vom 23. Oktober 1946 an die Direktion der Anstalt in Wien: "Vor 1 1/2 Jahren verschied in Ihrer Anstalt meine Tochter Fanny, geboren am 15.9.1908. Da es mir bisher nicht möglich war, nähere Aufklärung über ihr Hinscheiden zu erfahren, möchte ich Sie hiermit bitten, mir den Todestag und woran sie gestorben ist, mitzuteilen.
Außerdem befand sich im Besitz meiner Tochter eine große Puppe, die ich gerne wieder haben möchte. Wie wird es überhaupt mit den Nachlasssachen meiner Tochter geregelt?
Auf Antwort von Ihnen wartend,
grüßt Sie, hochachtungsvoll
Frau Fanni Uckert."

Mit Datum vom 9.11.1946 erhielt Fanni Uckert folgende lapidare Antwort: "Ucker Fanny ist am 23.10.1945 an Lungen- und Darmtuberkulose gestorben. D.r Nowotny e.h".

Stand: Juli 2023
© Ingo Wille

Quellen: AB Hamburg, 332-5 Standesämter 2196 Geburtsregister Nr. 997/1889 Amandus Henry Uckert , 113990 Geburtsregister Nr. 1001/1910 Arthur Uckert, 113253 Geburtsregister Nr. 2862/1908, 8714 Heiratsregister Nr. 9/1916 Fanni Elise Marie Dittmann/ Amandus Henry Uckert, 9846 Sterberegister Nr. 479/1930 Amandus Henry Uckert; Archiv der evangelischen Stiftung Alsterdorf V 220 Fanny Uckert. Michael Wunder/Ingrid Genkel/Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr …. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 331-371 (Transport nach Wien); Susanne Mende, Die Wiener Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" im Nationalsozialismus, Frankfurt/Main 2000.

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