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Minna Lang (geborene Holz, verw. Brandt) * 1863

Neanderstraße / Ecke Ludwig-Erhard-Straße (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
MINNA LANG
GEB. HOLZ
VERW. BRANDT
JG. 1863
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 20.5.1943

Minna Lang, verwitwete Brandt, geb. Holz, geb. 12.12.1863 in Dirschau, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort am 20.5.1943 gestorben

Neanderstraße/Ecke Ludwig-Erhard-Straße (Elbstraße 8)

Minna Lang, die als Minna Holz im westpreußischen Dirschau (heute Tczew) geboren worden war, hatte wohl ein recht bewegtes Leben. Einem selbst verfassten Lebenslauf zufolge war sie das zweite von drei Kindern des jüdischen Händlers Moses Holz und seiner Ehefrau Marianne, geb. Jacob. Sie besuchte in ihrer Geburtsstadt die Volksschule, die sie als 14-Jährige verließ. Nach einer dreieinhalbjährigen Lehre als Weissnäherin und Verkäuferin in einem Warenhaus arbeitete sie sieben Jahre in Kiel in einem Bekleidungsgeschäft, das ihrem Onkel gehörte. Im Alter von 25 Jahren heiratete sie am 2. September 1889 in Hamburg den wesentlich älteren nichtjüdischen Tischlermeister Georg Heinrich Brandt (geb. 22.2.1836 in Luckow), der auf der Werft von Blohm & Voss beschäftigt war.

Minna Brandt bekam sechs Kinder, von denen nur Bruno Carl (geb. 17.5.1892, gest. 11.5.1969) das Erwachsenenalter erreichte. Die Zwillinge Georg Heinrich und Adolf Ferdinand (geb. 16.1.1891) starben kurz nach ihrer Geburt, ebenso der Bruder Friedrich Ludolph (geb. 27.7.1895). Emma Johanna (geb. 21.1.1894) verstarb im Alter von zehn Jahren, ihr Bruder Otto Georg (geb. 17.9.1889) starb mit neun, beide in einem Kinderhospital in der Großen Bergstraße 129.

Das Ehepaar Brandt wohnte in Altona, zunächst im Hinterhof der Friedenstraße 20 (heute Lippmannstraße), dann in der Hamburgerstraße 32 (heute ein Teil der Max-Brauer-Allee) und seit 1897 im Parterre der Norderreihe 37 (heute Virchowstraße), wo es ein "Altwarengeschäft" eröffnete. Am 2. März 1900 verurteilte das Hamburger Amtsgericht Minna Brandt wegen Hehlerei zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe, weil sie "Sachen" aus einem Diebstahl angekauft hatte. Nach ihrer Entlassung und der Trennung von ihrem Ehemann verdiente sie ihren Lebensunterhalt für die nächsten zweieinhalb Jahre als Näherin im Hotel Hamburger Hof am Jungfernstieg 30. Minna Brandt ging 1907 nach Berlin. Ein Jahr später verzeichnete sie das Hamburger Adressbuch im Amidammachergang 43 (die Straße gibt es heute nicht mehr), mit der Berufsangabe Schneiderin. Sie zog dann in die Düsternstraße 48/50 und im Jahre 1911 in die Brüderstraße 10.

Am 14. Juli 1914 meldete Minna Brandt ein Gewerbe als Krankenbehandlerin und Händlerin mit Wäsche in der Straße Hütten 100 an. Im selben Jahr, am 17. November, wurde sie zu einer weiteren dreijährigen Zuchthausstrafe wegen "Lohnabtreibung" verurteilt. Fünf Jahre später wurde sie als Witwe in der Michaelisstraße 16 verzeichnet. Georg Heinrich Brandt, von dem sie zwar getrennt lebte, aber nicht geschieden wurde, war am 5. März 1918 im Alter von 82 Jahren in einem Versorgungsheim in Altona verstorben.
Eine dritte Verurteilung wegen Hehlerei und Beihilfe zur Abtreibung folgte am 7. Mai 1923. Ihre Haftstrafe verbüßte Minna Brandt bis zum 16. Januar 1925. Eine zweite Ehe mit dem nichtjüdischen Altkleiderhändler Joseph Lang (geb. 27.11.1872 in Ottweiler-Saar), den sie am 9. Dezember 1927 heiratete, hielt nur zwei Monate. Obwohl sie ihren Namen nicht behördlich ändern ließ, nannte sie sich nach der Trennung wieder Brandt. Die Ehe wurde im Juli 1929 geschieden.

Minna Brandt/Lang wohnte wieder in der Düsternstraße, sie war 69 Jahre alt, auf beiden Augen an "grauem Star" erkrankt und mittlerweile auf Fürsorgeleistungen angewiesen. Als sie beim Wohlfahrtsamt Unterstützung beantragte, gab sie an, dass sie Händlerin sei und auf Auktionen Kleider und Nähmaschinen kaufe, zudem sei sie auch als Krankenbehandlerin tätig.

Wegen Mietschulden musste sie 1934 die Wohnung in der Düsternstraße 4 verlassen; sie bezog eine 2½-Zimmerwohnung in der Elbstraße 8 (heute Neanderstraße), die sie durch Zimmervermietungen finanzierte. 1933 waren die Nationalsozialisten an die Macht gekommen. Ob sich Minna Brandt/Lang wieder der Jüdischen Gemeinde zugehörig fühlte oder aufgrund der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz 1939 zwangsweise als Mitglied des Jüdischen Religionsverband Hamburg der Zweigstelle der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland geführt wurde, ließ sich nicht feststellen. Seit September 1941 trug sie wie alle Jüdinnen und Juden den gelben "Judenstern".

Am 7. November 1941 ging bei der Kriminalabteilung Stadthausbrücke ein Brief in ungelenker Handschrift ein: "Möchte der Polizei auf einer ganz gemeinen alten betrügerischen Jüdin aufmerksam machen. Dieselbe wohnt Elbstr. 8 I. Frau Lang. Ihr armer Sohn der nichts mit der Schwindlerin zu tun haben will. schickt sie die Jüdische Wohlfahrt auf den Hals. Er wohnt Brennerstr. 19 IV., Ottensen. Er heisst Bruno Brandt und ist von Beruf Schlosser. Seine Mutter war mit dem Christ Brandt 10 Jahre zusammen, dann kam sie von Altona aus 3 Jahre ins Zuchthaus. Der Mann kam nach Osdorf ins Armenhaus, die Kinder kamen zu fremden Leuten in Pflege, nachdem sie wieder raus kam aus dem Zuchthaus nam sie den Mann nicht wieder. Derselbe ist bis 1918 darin geblieben, dann starb er. Die Brandt hat mit verschiedenen Männern gelebt Juden und Christen, kam dann 14 wieder ins Zuchthaus 2 ½ Jahre. 19 kam sie nochmals ins Zuchthaus wegen Abtreibung u. Helerei. Sie erzählt jetzt wie sie die dummen Criminalbeamten der bei ihr war ein paar Wochen, wie sie denselben alles vorgeschwindelt hat. Sie geht oben der Post in der Elbstr. zu einer alten Frau die mit Gicht behaftet ist und sagt sie ist Masseurin hat eine alte Bürste bei sich und schwindelt die Leute vor das ist eine Electrische Bürste 5 M muss sie vor ihre Arbeit haben. Den Tag legt sie Karten die legen immer in der Vorderstube auf dem Tisch unter der Serviette, sie verdient jeden Tag 8-10 M Ihr Gewerbe als Händlerin ist ihr genommen, deshalb handelt sie immer weiter mit Kleidern Maschinen und jetzt mit Gänse und Enten die Sie von Elmshorn bezieht [...]."

Aufgrund der anonymen Anzeige erfolgte am frühen Morgen des 20. November 1941 eine Hausdurchsuchung bei Minna Brandt/Lang. Zu dem Brief befragt, gab sie an, dass sie die Schrift nicht kenne, aber annehme, dass es sich um einen Racheakt ihrer ehemaligen Wäscherin handele. Gänse und Enten oder etwas, das auf Hehlerei schließen ließ, wurden in ihrer Wohnung nicht gefunden. Das Kartenlegen gab sie zu, allerdings nur zur Unterhaltung im Bekanntenkreis. Über ihre Tätigkeit als Heilbehandlerin sagte sie aus, dass sie nach einer Rheumaerkrankung vor etwa zehn Jahren auch einmal massiert worden sei. Sie glaubte, dieses könne sie auch. Geld verlange sie nicht. Die Personen, die sie massierte, besprach und mit Öl einrieb, hätten ihr freiwillig 0,50 bis 1,50 Reichsmark (RM) gegeben. Einen Gewerbeschein als Krankenbehandlerin habe sie nicht wieder beantragt, weil sie aus dem Massieren kein Gewerbe machen wolle. Höchstens ein bis zwei Personen kämen im Monat zu ihr.

Minna Brandt/Lang wurde eine Erklärung abverlangt, sich jeder weiteren Krankenbehandlung, insbesondere auf übersinnlichem Gebiet, zu enthalten, andernfalls hätte sie mit staatspolizeilichen Maßnahmen zu rechnen. Die Spielkarten und ein "fraglicher Apparat" wurden eingezogen. In der Akte wurde auch vermerkt, im Laufe der polizeilichen Untersuchung sei festgestellt worden, dass Minna Brandt/Lang den "Judenstern" eigentlich nicht zu tragen brauche. Wahrscheinlich wegen ihrer beiden "privilegierten Mischehen", obwohl diese durch Tod und Scheidung der nichtjüdischen Männer aufgelöst waren.

Durch weitere Ermittlungen der Kriminalpolizei wurde die "mit Gicht behaftete" Witwe Klara Gaulke in der Elbstraße 42 ausfindig gemacht und als Zeugin vernommen. Klara Gaulke war seit Jahren nervenkrank und gelähmt, hatte deswegen schon mehrere Ärzte konsultiert und war auch aus dem Krankenhaus St. Georg ohne Besserung entlassen worden. Minna Brandt/Lang war ihr empfohlen worden und hatte sie an vier aufeinanderfolgenden Tagen massiert. "An einem Tage brachte sie einen Apparat mit, der gedreht wurde, und eine Scheibe, die sich drehte, legte sie mir auf verschiedene Körperteile. Ich merkte, dass sich ein Strom aus dem Apparat auf meinen Körper übertrug. Ich muss sagen, dass mir die Behandlung geholfen hat. Jedenfalls verspürte ich eine Besserung. Der Frau habe ich für ihr Bemühen RM 1,- angeboten, was sie auch genommen hat. Gefordert hat sie zunächst nichts. Als sie mich mit dem Apparat behandelte, forderte sie RM 5,-. [...] Frau Brandt behauptet, dass sie mir helfen kann. Ich glaube auch, dass sie mir helfen kann, denn ich kann jetzt schon wieder etwas ohne Stock gehen. Ich kann mich nicht betrogen fühlen, weil ich mit der Behandlung zufrieden bin und eine gewisse Besserung verspüre."

Und auch die Witwe Marie Grundmann aus der Elbstraße 41 wurde befragt: "Frau Brandt kenne ich schon seit Jahren. Ich habe sie im Jahre etwa 1 bis 2 Mal besucht, wenn ich mit meinen Nerven zu tun hatte. Ich habe viel mit meinen Nerven zu tun. Frau Brandt hat bei mir besprochen. Massiert oder Karten gelegt hat sie nicht. Sie hat nichts dafür gefordert und ich habe ihr nichts gegeben, weil ich nichts habe. Ich bin Wohlfahrtsempfängerin und habe kein Geld. Ich behaupte, dass mir Frau Brandt geholfen hat und dass ich schon lange nicht mehr wäre, wenn sie nicht gewesen wäre. Dass Frau Brandt eine Jüdin ist, war mir bisher nicht bekannt. Dieses habe ich erst erfahren, nachdem der Judenstern eingeführt worden ist und sie einen Stern getragen hat. Ich hatte früher einmal gehört, dass Frau Brandt Kranke behandelt. Aus diesem Grund habe ich sie in der Wohnung aufgesucht."

Am 16. Januar 1942 wurde Minna Brandt/Lang verhaftet und am 3. Februar 1942 wegen unerlaubter Ausübung der Heilkunde zu einer Geldstrafe von 100 RM oder zehn Tagen Gefängnis verurteilt. Anhängende Verfahren wegen Kartenlegens gegen Entgelt, Hortens von Silbergeld, Nichtführung des Zusatznamens Sara und ein Vorwurf wegen "Rassenschande" wurden am 20. April 1942 eingestellt. Eine weitere Verurteilung zu einer Geldstrafe von 500 RM oder 100 Tagen Gefängnis folgte am 5. Mai 1942 wegen "Betruges zum Nachteil der Sozialverwaltung". Der Grund: Minna Brandt/Lang hatte einer Bekannten in der Peterstraße einen Geldbetrag zur Verwahrung übergeben, als sie bereits Fürsorgeleistungen in Anspruch nahm. 1.000 RM soll sie von ihren Geschwistern erhalten haben, bevor diese ins Ausland "abwanderten", 241 RM waren durch Nähen erspartes Geld. Der Betrag wurde beschlagnahmt und an die Staatsanwaltschaft überwiesen, jedoch Minna Brandts/Langs Antrag, die Geldstrafe von ihrem beschlagnahmten Geld bezahlen zu können, stattgegeben. Der restliche Betrag von 611 RM wurde an den Jüdischen Religionsverband Hamburg überwiesen, "weil L. von diesem unterstützt wird und eine rechtliche Handhabe diesen Betrag zu Gunsten des Reiches einzuziehen, nicht besteht". Minna Brandt/Lang war in der Zwischenzeit in das Altenheim der Gemeinde ins Nordheim-Stift, Schlachterstraße 40/42 einquartiert worden. Nur wenig später, am 19. Juli 1942, wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Dort kam Minna Brandt/Lang im Alter vom 79 Jahren am 20. Mai 1943 ums Leben.

Stand: Juli 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 4; 5; 7; 9: StaH 332-5 Standesämter 8543 u 405/1889; StaH 332-5 Standesämter 6259 u 3063/1889; StaH 332-5 Standesämter 6268 u 179/1891; StaH 332-5 Standesämter 5211 u 803/1891; StaH 332-5 Standesämter 5211 u 802/1891; StaH 332-5 Standesämter 6275 u 1731/1892; StaH 332-5 Standesämter 6284 u 348/1894; StaH 332-5 Standesämter 6290 u 2268/1895; StaH 332-5 Standesämter 5231 u 1551/1896; StaH 332-5 Standesämter 5240 u 1604/1899; StaH 332-5 Standesämter 5256 u 568/1904; StaH 332-5 Standesämter 5326 u 521/1918; StaH 332-5 Standesämter 3554 u 825/1927; StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge 1423 (Lang, Minna); StaH 213-11 Amtsgericht Hamburg 4692/42; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 5; StaH 332-8 Meldewesen K 4400.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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