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Bereits verlegte Stolpersteine



Walerjan Wróbel bei seiner Verhaftung 1941
Walerjan Wróbel bei seiner Verhaftung 1941
© Staatsarchiv Bremen

Walerjan Wróbel * 1925

Holstenglacis 3 (Untersuchungsgefängnis) (Hamburg-Mitte, Neustadt)

U-Haft
ermordet 25.8.1942

Siehe auch:

Weitere Stolpersteine in Holstenglacis 3 (Untersuchungsgefängnis):
Heinz Jäkisch, Bernhard Jung, Karl-Heinz Keil, Hermann Lange, Eduard Müller, Johann Odenthal, Johannes Prassek, Rudolf Schöning, Karl Friedrich Stellbrink, Walter Wicke

Walerjan Wróbel, geb. am 2.4.1925 in Fałkow/Polen, seit 19.4.1941 Zwangsarbeiter in Bremen-Lesum, inhaftiert am 2.5.1941, hingerichtet am 25.8.1942 in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg

Holstenglacis 3 (vor dem Untersuchungsgefängnis)

Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurden in Deutschland und den besetzten Gebieten über 20 Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus ganz Europa verschleppt und in Rüstungsbetrieben, aber auch in privaten Haushalten eingesetzt. Unter den ausländischen Zwangsarbeitern, die überwiegend aus Polen und der Sowjetunion stammten, befand sich auch der 16-jährige Walerjan Wróbel, der nach Bremen-Lesum auf einen Bauernhof kam und unter Heimweh litt.

Walerjan Wróbel war mit zwei jüngeren Geschwistern und den Eltern in einfachen Verhältnissen in Fałkow, Kreis Kon´skie, einem kleinen polnischen Dorf aufgewachsen. Mit 14 Jahren wurde er aus der Volksschule entlassen und half im Anschluss seinem Vater Josef, der als Dachdecker arbeitete, bei der Bewirtschaftung des elterlichen Ackers. Seine Mutter hieß Marianne, geborene Uszczenska. Am 5. September 1939, fünf Tage nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen wurden bei einem Bombenangriff viele Häuser in Fałkow zerstört, auch das Haus von Walerjans Eltern, sodass sich die Lebensbedingungen im Dorf dramatisch verschlechterten. Nach der Besetzung Polens wurden zunächst "Freiwillige" für den Arbeitseinsatz im "Deutschen Reich" angeworben. Dort fehlte es durch die Einberufung der Männer zur Wehrmacht an Arbeitskräften. Angesichts der geringen Resonanz auf die "Freiwilligen"werbung verschärften sich die Rekrutierungsmaßnahmen. Einheimische Dorfälteste erhielten die Aufforderung, eine bestimmte Anzahl von Arbeitskräften zu stellen. Razzien wurden durchgeführt, Personen auf offener Straße verhaftet. Bis Sommer 1940 wurden über eine Million polnische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt.

Glaubt man dem Vermerk in Walerjans späterer Gefangenenpersonalakte, dann meldete er sich freiwillig zur Arbeit nach Deutschland. Vielleicht hoffte er, als er am 19. April 1941 mit einem Sammeltransport für den "Reichseinsatz" als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter auf dem Bauernhof der Witwe Martens nach Bremen-Lesum kam, dass es ihm dort etwas besser gehen würde als in seinem zerstörten Heimatdorf. Aber der deutschen Sprache nicht mächtig und krank vor Heimweh, versuchte er sechs Tage später von dort zu fliehen, wurde von der Polizei aufgegriffen und zurück auf den Hof gebracht. Befragt nach dem Grund seiner Flucht, gab er an, er bekäme zwar genug Essen, die Arbeit sei aber zu schwer und er habe Sehnsucht nach seiner Familie.

Wenige Tage später, am 29. April, als er allein vom Feld zurück auf den Hof geschickt wurde, um im Haus Arbeiten zu verrichten, legte er in der naiven Hoffnung, "zur Strafe" nach Hause entlassen zu werden, ein Feuer an der Trennungswand von der Scheune zum Kälberstall, die aus Stroh bestand. Die Tochter der Bäuerin entdeckte den Brand, und obwohl kein großer Schaden entstand, weil Walerjan beim Löschen half, zeigte die Bäuerin ihn wegen Brandstiftung an. Nach der Vernehmung durch die Gestapo am 2. Mai 1941 wurde er ins Bremer Untersuchungsgefängnis eingeliefert. Am 28. Juni 1941 wurde er in das KZ Neuengamme verlegt. Dort musste er Schwerstarbeit im sogenannten Elb-Kommando leisten, beim Bau eines vier bis fünf Kilometer langen Kanals vom dortigen Klinkerwerk zur Dove-Elbe.

In Neuengamme freundete sich Walerjan Wróbel mit dem zwei Jahre älteren polnischen Häftling Michał Piotrowski an, der im Sommer 1940 in Warschau aus der Straßenbahn heraus verhaftet und über das KZ Auschwitz nach Neuengamme verbracht worden war.

1985 berichtete er in einem Interview (siehe Ch. U. Schminck-Gustavus "Das Heimweh des Walerjan Wróbel") über die Arbeit im "Elb-Kommando" und seine Erlebnisse mit Walerjan:

"Wir mussten mit vollgeladenen Schiebkarren über solchen Steg balancieren und die Erde auf die andere Seite vom Kanal, auf das andere Ufer fahren. Der Kanal ist breit, vielleicht acht Meter. Nur zwei schmale Bohlen sind drübergelegt und in der Mitte ein Schwimmkasten: Da musst du rüber mit deinem Karren. Das wackelt, und du hast keine Schuhe an, sondern diese Holzklumpen, wo du dich nicht mit halten kannst. Manchmal passiert das, und die Karre läuft schief, fällt runter ins Wasser. Aber ohne Karre darfst du nicht rausgehen: Sofort musst du springen vom Steg und die Karre retten. In dem Kommando war ich mit Walerek [Kosename für Walerjan] zusammen, bin immer hinter ihm gewesen mit meiner Karre. [...] Einmal ist es so gewesen, dass Walerek gefahren ist, und die Karre fällt ihm runter. Und der Kapo steht und sieht das. Und Walerek kann nicht schwimmen: Nichtschwimmer. Und der muss springen. Und der springt auch. Ich sehe: Der geht ja unter, kommt nicht wieder raus. Und ich nehme schnell, schnell meine Karre und schmeiss’ die auch ins Wasser. Und springe hinter ihm her. Ich kann ja schwimmen. Und der Kanal ist tief bei der Stelle, vielleicht zwei Meter. Erst den Walerek rausgezogen ans Ufer. Der Unterboden war so weich, Schlamm, dass die Füße versinken. No, und dann, wissen Sie, die eine Karre rausgeschmissen ans Ufer und dann die zweite Karre auch. Von dieser Zeit an, wissen Sie, sind wir immer zusammengeblieben, immer einer hinter dem anderen gefahren. [...] Der Walerek war sehr jung, sehr naiv. Erfahrung hatte der gar keine. So naiv: Wenn du ihm sagst: Das und das ist wahr oder, So und so ist das im KZ – der glaubt das sofort. Der glaubt alles. Für solche ist das schwer im KZ, sehr schwer. Da musst du brutal sein, aber nicht naiv, und Walerek war immer naiv, sehr naiv. Von den Eltern hat er immer erzählt, von der Schwester, von der Schule.

Es gab ein Gespräch abends nach dem Appell: Jeder soll ein bisschen erzählen. Wir waren zu dritt: Walerek, Lutek und ich. Als Walerek von dem Feuer erzählte, fragte Lutek: Wie viel Gebäude? Ganzes Dorf? Und Walerek sagt: Nein, eine Scheune nur. Und die ist auch nicht abgebrannt. Und dann erzählt er seine Theorie, dass wenn er schlechte Arbeit macht, dass sie ihn dann rausschmeißen und er nach Hause kommt, und dass er deshalb auch das Feuer gemacht hat. [...] Mir hat er das später noch paarmal gesagt: Wenn ich die Arbeit nicht mache so gut wie zu Hause und wenn dazu noch was brennt, dann sagen die: Das ist kein guter Arbeiter. Solchen brauchen wir nicht. Schmeißen wir den Wróbel raus! – Und nach Hause! Denkt er. Und hat nicht gedacht, dass Feuer ‚Sabotage’ heißt. Das hat er gar nicht verbunden im Kopf. Der war die ganze Zeit so naiv. Ganz naiv. Ein Kind."

Infolge der unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen im Lager Neuengamme erkrankte auch Walerjan Wróbel nach kurzer Zeit schwer. Michał Piotrowski berichtete, dass ein aus Warschau stammender Häftlingsarzt namens Mittelstädt ihm half und eine allgemeine Hungerschwäche, blaue Flecken durch Schläge am ganzen Körper und vor allem eine große Nervosität feststellte. Im Dezember 1941 brach Fleckentyphus aus, das Lager wurde unter Quarantäne gestellt und die Freunde verloren sich aus den Augen. Walerjan kam in ein anderes Kommando, in dem Jugendliche weniger schwere Arbeit als im "Elb-Kommando" verrichten mussten. "Ein paar Wochen gab es dieses Kommando. Aber ich hab’ den Walerek schon nicht mehr gesehen, weil er dann auf einem anderen Block war, in einer anderen Baracke."

Michał Piotrowski vermutete, dass Walerjan Wróbel dann wegen des bevorstehenden Prozesses von den anderen Häftlingen im Bunker isoliert wurde. "Während der Quarantäne war das sehr schwer, irgendwelche Nachrichten zu bekommen. Aber später, als die Quarantäne aufgehoben war, hab ich den Walerek gesucht. Viele Häftlinge habe ich gefragt: Ob sie den vielleicht aufgehängt haben im Lager oder erschossen? Aber nichts. Keiner hat was gewusst. Stefan Kumer – das war ein anderer polnischer Häftling, Nummer 4767 –, von dem habe ich schließlich gehört, dass der Walerek nach der Quarantäne auf Transport gekommen ist: Einzeltransport, weg aus Neuengamme. Das war meine letzte Nachricht über den Walerek. Danach – nichts mehr gehört."

Walerjan Wróbel wurde am 8. April 1942, fast ein Jahr nach dem Brand in der Scheune, zur Haftprüfung in das Untersuchungsgefängnis nach Bremen zurückverlegt. Trotz seiner Minderjährigkeit wurde er am 8. Juli 1942 in einem Sondergerichtsverfahren als "Volksschädling" wegen Brandstiftung zum Tode verurteilt, das "Jugendgerichtsgesetz" fand auf ihn als Polen keine Anwendung. Am Tag nach dem Urteil schrieb Walerjan heimlich einen Abschiedsbrief, der aus dem Gefängnis geschmuggelt und an seine Familie geschickt werden konnte.

Ein Gnadengesuch seines Verteidigers Rechtsanwalt Bechtel vom 20. Juli 1942 wurde von Roland Freisler (geb. 1893 in Celle, gest. 1945 in Berlin), dem späteren Präsidenten des Volksgerichtshofes, im Namen des Reichsministers der Justiz am 17. August 1942 abgelehnt.

Am 24. August 1942 erfolgte eine Verlegung aus dem Zuchthaus Bremen-Oslebshausen nach Hamburg. Am 25. August 1942, morgens um 6 Uhr 15 wurde Walerjan Wróbel im Alter von 17 Jahren im Hamburger Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis vom Scharfrichter Hehr (geb. 1879, gest. 1952) aus Hannover mit dem Fallbeil enthauptet. Sein Leichnam wurde dem Anatomischen Institut der Universität Hamburg für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt.

1980 publizierte Christoph U. Schminck-Gustavus die Geschichte von Walerjan Wróbel in dem Buch "Das Heimweh des Walerjan Wróbel".

1987 wurde der Prozess gegen Walerjan durch den Bremer Anwalt Heinrich Hannover wieder aufgerollt und das nationalsozialistische Urteil aufgehoben. Um an die vielen Bremer Zwangsarbeiter zu erinnern, gründete sich zu diesem Zeitpunkt der Verein Walerjan Wróbel.

Am 25. August 2007 wurde in Bremen der Deichweg am linken Ufer der Lesum offiziell in "Walerjan-Wróbel-Weg" umbenannt, die Enthüllung der Gedenktafel am Lesumsperrwerk erfolgte im Beisein seiner Schwester und dreier Begleiter aus Fałkow.


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung, Abl. 12, 714 Wróbel; StaH 332-5 Standesämter 1152 u 432/1942; Schminck-Gustavus: Heimweh, S. 40–65; Diercks: Verschleppt, S. 18; https://www.stiftung- denkmal.de/jugendwebsite/r_pdf/walerjan.pdf (Zugriff 3.5.2013).

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