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Hanne Lore Pianka * 1926

Rahlstedter Straße 47 (Wandsbek, Rahlstedt)


HIER WOHNTE
HANNE LORE
PIANKA
JG. 1926
EINGEWIESEN 1936
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 16.8.1943
´HEILANSTALT`
AM STEINHOF / WIEN
ERMORDET 8.3.1944

Hanne Lore Pianka, geb. 10.3.1926 in Reinfeld (Schleswig-Holstein), seit 1933 mehrfach in verschiedenen Anstalten aufgenommen, verlegt am 16.8.1943 in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, dort gestorben am 8.3.1944

Rahlstedter Straße 47, Rahlstedt

Hanne Lore Pianka war am 10. März 1926 im schleswig-holsteinischen Reinfeld als Tochter von Martha Pianka zur Welt gekommen. Sie entwickelte sich zunächst normal. Doch seit sie gut zwei Jahre alt war, beobachtete ihre Mutter Krampfanfälle. In der Folge verlor Hanne Lore nach den Berichten der Mutter die schon erworbene Sprech- und Gehfähigkeit. Die Reinfelder Gemeindeschwester empfahl im Frühjahr 1931, sie wegen der häufigen Krampfanfälle in eine Anstalt zu geben, dazu kam es zunächst nicht.

Hanne Lores Mutter heiratete im Juni 1931 wahrscheinlich in Reinfeld den Arbeiter Friedrich Wedel. Nähere Lebensdaten der beiden Eheleute kennen wir nicht. Die Familie ließ sich nun in der Wandsbekerstraße 47 (heute Rahlstedter Straße 47) in der Gemeinde Rahlstedt nieder, die damals noch zum Kreis Stormarn in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehörte.

Der Leiter der "Fürsorge für Schwerhörige und Ertaubte" in Hamburg stellte Mitte 1932 fest, Hanne Lore könne keinerlei Geräusche hören und deshalb auch nicht sprechen. Das Kind müsse als taubstumm bezeichnet werden. Er empfahl die Einweisung in den Taubstummenkindergarten der Landes-Taubstummenanstalt in Schleswig. Der von der Rahlstedter Gemeindeschwester hinzugezogene Arzt der damaligen Alsterdorfer Anstalten, Gerhard Kreyenberg, kam zu dem Ergebnis, dass bei der sechsjährigen Hanne Lore eine mit Krampfanfällen kombinierte, nicht mehr reparable Taubstummheit infolge einer im Alter von zweiundeinviertel Jahren durchlittenen Gehirnentzündung vorliege, die nun die Einweisung in eine Anstalt erfordere.

Kreyenberg empfahl, Hanne Lores eigentlich bevorstehende Einschulung um ein Jahr aufzuschieben. Ihre Mutter erklärte sich damit einverstanden, das Mädchen noch im Hause zu behalten, doch der Stiefvater widersetzte sich nachdrücklich. Hanne Lore leide etwa alle vierzehn Tage meist nachts unter Anfällen und störe die Nachbarn durch lautes Schreien. Auch beinträchtige dies das Eheleben. Zwischen ihm und Hanne Lores Mutter entstünden wegen des Kindes oft Streitigkeiten.

Am 15. März 1933 wurde Hanne Lore Pianka auf Drängen ihrer Mutter und ihres Stiefvaters in den Kindergarten in den Landes-Taubstummenanstalt in Schleswig internatsmäßig aufgenommen, aber schon am 30. Mai 1933 wieder zu den Eltern entlassen. Hanne Lores Lehrer in der Taubstummenanstalt berichtete, sie habe während ihrer Zeit in der Taubstummenschule drei Krampfanfälle erlitten. Die körperlich gut entwickelte Hanne Lore habe einen unbeholfenen und schwerfälligen Eindruck gemacht. Sie habe Lob und Tadel zu unterscheiden gewusst. Auch ohne Gehörprüfungen war er überzeugt, dass Hanne Lores Gehörorgan in vollem Umfang ausgebildet sei. Trotz der von ihm angenommenen Hörfähigkeit hätten sich ihre stimmlichen Äußerungen auf Aufkreischen im Affekt beschränkt. Da sie nicht imstande gewesen sei, die einfachsten Stellungen der Sprechwerkzeuge aufzufassen und nachzuahmen, hätten ihr die Voraussetzungen für den Artikulations-Unterricht gefehlt und damit auch für den weiteren Unterricht in der Taubstummenanstalt. Ihr weiteres Verbleiben in der Taubstummenanstalt würde eine unnötige Belastung bedeuten, die im Interesse der anderen Kinder nicht zu verantworten gewesen sei.

In Rahlstedt jedoch konnte das Mädchen aus Sicht der Gemeindeschwester nicht im Hause der Mutter und des Stiefvaters bleiben, denn dieser habe Hanne Lore gegenüber ihrer dreijährigen Halbschwester benachteiligt und auch misshandelt.

Nach erneuter Konsultation des Alsterdorfer Arztes Kreyenberg wurde Hanne Lore Pianka am 31. August 1933 in der Landesheil- und Pflegeanstalt für Jugendliche Schleswig-Hesterberg aufgenommen. Wir wissen nicht, wann sie von dort nach Hause entlassen wurde. Jedenfalls lebte Hanne Lore im April 1935 wieder in ihrer Familie in Rahlstedt. Während der Besuche der Gemeindeschwester traten mehrmals Krämpfe auf. Diese urteilte, der Stiefvater habe Hanne Lore von Anfang an gehasst, während die Mutter Hanne Lore ihre ganze Liebe geschenkt und sehr darunter gelitten habe, dass ihr Mann sich nur um das gemeinsame Kind sorge und Hanne Lore misshandele.

Seit dem 17. Oktober 1935 war Hanne Lore im Landesheim Heiligenstedten unweit von Itzehoe im heutigen Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein untergebracht. Dort lebten rund 200 geistig behinderte Kinder und Erwachsene. In der im dortigen Schloss befindlichen Einrichtung soll Hanne Lore dauernd in Bewegung gewesen sein, Stühle umgerissen, Kinder geschlagen und gekniffen haben. Sie habe verzweifelt versucht, sich durch Gebärden verständlich zu machen. Am 22. Dezember 1935 wurde sie mit dem Ziel der Entlassung beurlaubt und von ihrer Mutter aus Heiligenstedten abgeholt. Gründe für die Aufnahme gerade in dieser Einrichtung und die Beendigung des nur zwei Monate dauernden Aufenthalts dort kennen wir nicht.

Bereits während der Zeit in Schleswig hatte die Rahlstedter Gemeindeschwester erwogen, Hanne Lore in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) einweisen zu lassen, damit ihre Mutter sie häufiger besuchen könne. Möglicherweise war dies auch der Hintergrund für Hanne Lores kurzen Heimaufenthalt in Heiligenstedten.

Am 2. Januar 1936 wurde Hanne Lore in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Laut Patientenakte war sie bei ihrer Aufnahme körperlich sauber und trug auch saubere Kleider, doch an einem Arm hätten sich ungereinigte offene Wunden, am Körper rote Stellen befunden. Anders als in Heiligenstedten benötigte Hanne Lore hier Hilfe bei der Körperpflege. Sie beobachtete aber anscheinend alles und verstand Ansprachen. Krampfanfälle wurden mit täglichen Luminalgaben behandelt. (Luminal ist ein früher in der Epilepsiebehandlung gebräuchliches Beruhigungs- und Schlafmittel). Durch dieses Barbiturat soll sie viel ruhiger geworden sein. Sie habe sich allein beschäftigen können, mit Puppen oder Bauklötzen gespielt und mit Interesse Bilder angeschaut. Erschien ihr etwas wichtig, sei sie z.B. mit einem Bild angelaufen gekommen, habe freudige Laute ausgestoßen und immer wieder darauf gezeigt. Auch kleine Handreichungen habe sie erfreut übernommen. So soll sie, sobald sie den Essenstransportwagen erblickt habe, Geschirr herbeigeholt haben.

Hanne Lore bekam in Alsterdorf öfter von ihrer Mutter Besuch. Sie hielt dann vor Freude beide Hände vor das Gesicht. Insgesamt wurde sie als sehr anhänglich beschrieben. Ab etwa 1940 berichtete das Personal allerdings über viele schwere Krampfanfälle, sie sei sehr schlafbedürftig und zunehmend teilnahmslos.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, sich mit Zustimmung der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Mit einem dieser Transporte wurden am 16. August 1943 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") in Wien "verlegt". Unter ihnen befand sich Hanne Lore Pianka.

Hanne Lores Mutter erhielt mit Schreiben vom 24. September 1943 die Mitteilung, "die Patientin hat die Reise gut überstanden, sie ist bei gutem Appetit, ist ruhig und freundlich, allerdings auch pflegebedürftig. Es scheint, dass ihr die Überstellung hierher nicht bewusst geworden ist. Gez. Doktor Umlauf". Am 29. September findet sich in ihrer Krankenakte die Notiz: "Zu Bett, ungeordnet, desorientiert, kann ihren Namen nicht sagen, muss gepflegt werden."

Anfang Februar 1944 wurde Hanne Lore Pianka in den Pflegebereich der Wiener Anstalt verlegt. Nun wurden gehäufte Anfälle und Erbrechen festgehalten. Am 8. März 1944 finden sich in der Krankenakte folgende Einträge: "Seit 7. März Daueranfälle. Beginnende Pneumonie." Und am selben Tage: "17:35 Uhr gestorben. Status epilepticus, Pneumonie".

Die Mutter Martha Wedel erfuhr telegrafisch vom Ableben ihrer Tochter Hanne Lore. Sie schrieb am 12. März nach Wien: "Habe die Nachricht mit großem Erschrecken erhalten. Ich möchte Sie bitten, mir doch einen vollständigen Bericht zu geben, woran unsere Hannelore gestorben ist, war sie lange krank? Wie war ihre Krankheit die letzten 8 Tage? Ich wäre gerne zur Bestattung gekommen, aber ich hatte kein Geld. Ich bin Soldatenfrau […]. Ich habe das Telegramm ganz allein gelesen, es ist sehr schwer für mich als Mutter. Schicken Sie mir auch bitte die Sterbeurkunde und die Nummer von dem Grab, denn ich habe eine Bekannte in Wien, eine Kameradenfrau von meinem Mann, sie will sich um die Grabstätte meiner Tochter kümmern. Heil Hitler, gez. Marta Wedel".

Sie erhielt darauf folgende vom 27. März 1944 datierte Antwort:
"Ihre Tochter war bis zum 6.3. in unverändertem Zustand. Am 6.3. setzten, wie es bei der Krankheit Ihrer Tochter häufig vorkommt, Daueranfälle ein. Sie hatte in ununterbrochener Folge einen Anfall nach dem anderen, konnte aus der Bewusstlosigkeit nicht mehr erweckt werden und starb an Herzschwäche. Die Verstorbene ist in Wien am Zentralfriedhof beerdigt. Wegen der Grabnummer wollen Sie sich bitte an die Verwaltung des Zentralfriedhofes wenden. Die Sterbeurkunde wollen Sie schriftlich vom Standesamt f.d. 14. Bz. Wien 13, Penzingerstraße 59 einverlangen.
Heil Hitler!
D. Abtl. Arzt i.V. Dr. Janiczek"

Die 1907 am Stadtrand von Wien entstandene "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" wandelte sich nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich zu einem Zentrum der "Euthanasie". Dort waren als "erbkrank" eingestufte Menschen zwangssterilisiert worden. Ab 1940 wurden etwa 3200 der 4300 Patientinnen und Patienten in Tötungsanstalten abtransportiert, ein Großteil von ihnen wurde im Schloss Hartheim bei Linz ermordet.

Nach dem offiziellen Stopp der ersten Phase der "Euthanasie"-Morde im August 1941 wurden die Krankenmorde anstaltsintern systematisch durch Überdosierung von Medikamenten, durch Nichtbehandlung von Krankheiten, vor allem durch Nahrungsentzug fortgesetzt. Über 3500 PatientInnen fielen Hunger und Infektionen zum Opfer.

Bis Ende 1945 kamen von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg 257 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf.

Stand: März 2024
© Ingo Wille

Quellen: Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Sonderakte V 133 (Hanne Lore Pianka). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 35, 283 ff., 331 ff.; https://www.steinburger-geschichte.de/themen/nationalsozialismus/opfer-des-nationalsozialismus-euthanasie-und-zwangssterilisierungen (Zugriff am 6.3.2024).

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