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Eugen Tuteur * 1870
Grillparzerstraße 4 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)
HIER WOHNTE
EUGEN TUTEUR
JG. 1870
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET
Weitere Stolpersteine in Grillparzerstraße 4:
Dr. Walter Lippmann
Eugen Tuteur, geb. am 31.1.1870 in Mannheim, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt
Grillparzerstraße 4 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)
Eugen Tuteur wurde am 31. Januar 1870 in Mannheim geboren als fünftes von acht Kindern des Ehepaares Benjamin Tuteur (*10.4.1836 Winnweiler) und Sara, geb. Boehr (*28.7.1837 Worms). Der Vater war ursprünglich "heimatsberechtigt zu Winnweiler" in der Nähe von Kaiserslautern und kam über Worms, wo er am 26. August 1862 seine Ehefrau Sara, geb. Boehr, geheiratet hatte und wo auch 1863 der erste Sohn geboren wurde, nach Mannheim. Hier wurden die weiteren Kinder geboren. Am 30. Juli 1889 erwarb Benjamin Tuteur die badische Staatsbürgerschaft, zog aber am 15. März 1899 nach Frankfurt am Main, wo er am 13. November 1905 verstarb. Seine Frau Sara Tuteur kehrte nach Mannheim zurück und verstarb hier am 19. Juli 1922.
Eugen Tuteur unterhielt um die Jahrhundertwende eine Beziehung zu Ethel Maud Thomas (*30.6.1875 Sheffield), Pferdeartistin in einem berühmten Zirkus. Aus der Verbindung ging der Sohn Eugen Herbert Paul Thomas (*12.11.1898 Altona – 5.12.1965 Hamburg) hervor. Der Sohn nahm am Ersten Weltkrieg teil und kehrte verwundet, aber hochdekoriert zurück. Ein Versuch 1937, die Vaterschaft von Eugen Tuteur anerkennen zu lassen, scheiterte. Für den Sohn hatte dies den Vorteil, dass er nicht als "Halbjude" galt.
Zum Werdegang von Eugen Tuteur gab seine Buchhalterin Dora Levy Auskunft: "Wenn ich auch über die schulische und kaufmännische Ausbildung des Herrn Tuteur aus eigener Wissenschaft nichts sagen kann, so möchte ich doch mit Sicherheit annehmen, dass er die höhere Schule besucht und eine kaufmännische Ausbildung in ersten Häusern genossen hat. Jedenfalls hatte Herr Tuteur geschäftlich und privat Umgang mit ersten Hamburger Firmen."
1901 erschien Eugen Tuteur zum ersten Mal im Hamburger Adressbuch als Inhaber der Firma "Tuteur & Laupheimer, Niederlage der Tuchfabrik Larochette, Luxemburg". Die Firma befand sich im Zentrum von Hamburg, Großer Burstah 40. Mitinhaber war Max Laupheimer, der am Hansaplatz 5 wohnte. Zunächst war dies auch die Adresse von Eugen Tuteur, danach wohnte er am Holzdamm 3.
1906 zog die Firma Tuteur & Laupheimer mit dem Tuchlager um in die Kaiser-Wilhelm-Straße 98.
Da die Firma illiquide wurde, wurde sie 1913/1914 aufgelöst und Eugen Tuteur und Max Laupheimer gingen getrennte Wege.
In der Zwischenzeit hatte Eugen Tuteur geheiratet: Am 11. Mai 1904 ehelichte er in Hamburg Hedwig Salomon (*9.12.1884 Hamburg). Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Edgar (*9.4.1905 – 27.7.1985), Harald Richard (*1.9.1911 – 26.6.1994) und Ruth (*2.11.1919). Doch wenige Monate nach der Geburt der Tochter wurde die Ehe zwischen Eugen Tuteur und seiner Frau Hedwig am 28. Februar 1920 geschieden.
Nach seiner Scheidung zog Eugen Tuteur um an den Pulverteich 37 und Hedwig Tuteur blieb mit den Kindern in Barmbek. Ab 1934 wohnte Hedwig an ihrer letzten freigewählten Adresse in der Hamburgerstraße 201a.
Grund für die Scheidung war eine Beziehung, die Eugen Tuteur zu seiner späteren Lebensgefährtin, der nichtjüdischen Olga Hertha Stahlmann (*12.12.1896 in Hamburg) unterhielt. Sie war die Tochter von Theodor Johannes Christian Stahlmann und seiner Frau Pauline Elisabeth, geb. Tews. Olga Stahlmann war evangelisch lutherisch getauft und von Beruf Schneiderin.
Nachdem Eugen Tuteur nach der Scheidung zunächst am Pulverteich 37 gewohnt hatte, zog er ab 1925 zum Imstedt 39. Hier lebte er in Wohngemeinschaft mit Olga Stahlmann. 1935/36 zogen sie in das gerade errichtete Haus Goethestraße. 4 (heute Grillparzerstraße 4), die letzte freiwillig gewählte Wohnung von Eugen Tuteur.
Zunächst aus Rücksicht auf seine jungen Kinder aus der geschiedenen Ehe, später aufgrund des Verbotes von Mischehen heirateten Eugen Tuteur und Olga Stahlmann nicht.
1916 hatte Eugen Tuteur mit "Säcke en gros" eine neue Firma gegründet. Zunächst betrieb er sie von seiner Wohnung in Barmbek am Markt 41 aus, aber ab 1917 war sie in der Sachsenstraße 18/20 zu finden. Ab 1928 lag der Firmensitz der Sackgroßhandlung in der Billstraße 19. Dort wurden gebrauchte Säcke wieder repariert, die Firma handelte zudem mit neuen Säcken und war im Auslandsgeschäft tätig. Es arbeiteten ca. 15 Personen in der Sacknäherei und Flickerei, dazu kam noch ein Meister. Die Firmenräume bestanden aus zwei Kontorräumen und mehreren großen Lagerräumen (Sackböden). Eugen Tuteur leitete die Firma, Sohn Harald Tuteur stand ihm als Junior-Chef zur Seite. Er beaufsichtigte die Lagerarbeiten und Zollabwicklungen.
Harald Tuteur beschrieb später für die Wiedergutmachungsverfahren die Firma: "Es war ein Unternehmen von erstklassigem Ruf, welches besonders gut bei allen Muehlen, Getreide-Importeuren, Getreide Haendlern, Getreidespediteuren und chemischen Fabriken eingefuehrt war. Zu den Kunden gehoerten Badische Anilin Gesellschaft, Bochumer Hochofen A.G., die Reis- und Handels A.G., Hamburg und die meisten der grossen Hamburger Getreidefirmen."
Das jährliche Einkommen soll 1935 bis 1939 durchschnittlich etwa 8.000 RM betragen haben. Ab Mitte 1938 sank es. Auch sonst litten die Familienmitglieder unter den NS-Zwangsmaßnahmen: Ab dem 10. Oktober 1938 musste Eugen Tuteur den Vornamen Enoch statt Eugen benutzen (um den üblichen Zwangsvornamen für Juden, Israel, zu vermeiden), damit kenntlich wurde, dass es sich um das Unternehmen eines Juden handelte.
Der Sohn Harald Richard sah sich im Oktober 1939 gezwungen, Deutschland zu verlassen. Ab Jahresbeginn 1939 betrieb Eugen Tuteur seine Großhandelsgeschäfte allein von seiner Wohnung in der Goethestraße 4 aus. Die erwähnte Buchhalterin Dora Levy musste er zum 31. Januar 1939 entlassen, das Unternehmen abwickeln. Eine "Sicherungsanordnung" verbot ihm die freie Verfügung über sein Vermögen ab März 1939. Jede einzelne für seine Geschäftsbeziehungen ein- und ausgehende Rechnung war der Prüfungsstelle in Berlin einzureichen und wurde von dieser freigegeben. Seine eigenen Eingänge musste Eugen Tuteur monatlich auflisten und der Devisenstelle mitteilen. Unter diesen erschwerten Bedingungen gelang es Eugen Tuteur, seine Großhandelsgeschäfte noch bis zum 15. April 1941 fortzusetzen, dann teilte er der Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten "ergebenst mit, dass meine Geschäfte nunmehr abgewickelt sind. Die Firma Eugen Tuteur ist gelöscht."
Wie andere Juden auch musste Eugen Tuteur seine Wertsachen abgeben. Er erhielt dafür 107,40 RM auf sein gesperrtes Konto. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 2.770 DM für Gold, Silber, Schmuck, ein Radio und eine Schreibmaschine an die Erben rückerstattet.
Eugen Tuteur musste auch die gemeinsame Wohnung in der Goethestraße 4 verlassen. Er war ab dem 2. Dezember 1941 in die "Judenwohnungen" der Häuser Lenhartzstraße 3 und Kielortallee 24 eingewiesen worden. Bei der Adresse Kielortallee 24 handelte es sich um das Oppenheimer-Stift, dies war als letzte Adresse von Eugen Tuteur auf der Deportationsliste eingetragen. (Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde dieses Stift wie elf andere jüdische Wohnstifte zur zwangsweisen Unterbringung von Juden vor deren Deportation benutzt.)
Mit Eugen Tuteur zusammen wurden weitere 36 Personen aus dem Oppenheimer-Stift deportiert.
Die Deportation nach Theresienstadt fand am 15. Juli 1942 statt. In Theresienstadt verlieren sich die Spuren von Eugen Tuteur.
Hinterbliebene
Olga Stahlmann blieb nach der Deportation von Eugen Tuteur allein zurück. In einem Schreiben vom 1. Dezember 1950 an die Sozialbehörde der Stadt Hamburg klagte sie: "Im übrigen möchte ich betonen, dass es eine Angelegenheit von nur wenigen Stunden war, um mir alles zu nehmen, und mein Leben zu zerstören. … Ich will mir nichts erschwindeln und nicht zu Unrecht dem Staat zur Last fallen, … Ich verdiene mühsam meinen Lebensunterhalt durch Näharbeit in fremden Häusern. Hätte es keinen Hitler gegeben, würde ich heute die Frau des Fabrikbesitzers Eugen Tuteur sein." Olga Stahlmann konnte nach dem Krieg von dem ersten Hamburger Wiedergutmachungsgesetz profitieren und ihre Beziehung nun rückwirkend als Ehe anerkennen lassen. Dadurch erhielt sie mit Wirkung vom 1. November 1949 eine Witwenrente. Zu diesem Zeitpunkt wohnte sie in der Sierichstraße 14 im Parterre.
Die Ehefrau Hedwig Tuteur wurde mit ihrer Mutter Charlotte Salomon, geb. Lehmann am 18. November 1941 ins Getto von Minsk deportiert, wo sie ermordet wurde. An sie erinnert ein Stolperstein in der Hamburger Straße 199-205 (siehe www.stolpersteine-hamburg.de).
Der Sohn Edgar Tuteur lebte in Italien, wo er für die Firma Sorveglianza SAI in Neapel arbeitete. Er hatte Ingeborg "Inge" Glass (*3.1.1912 Hamburg) geheiratet. Als er auf Druck der Gestapo in Neapel verhaftet und interniert wurde, setzte sich seine Frau unermüdlich für ihn ein und erreichte letztlich mit Hilfe vatikanischer Stellen seine Freilassung. Das Paar emigrierte über Lissabon in die USA. Edgar Tuteur verstarb am 27. Juli 1985 in New York, seine Frau Ingeborg am 3. Dezember 1998 ebenfalls in New York. Edgar Tuteurs Schwiegervater Hermann Glass war dies nicht vergönnt: Er starb 1943 in Theresienstadt (siehe www.stolpersteine-hamburg.de)
Der Sohn Harald Richard Tuteur hatte die Realschule in Barmbek Osterbeckstraße und danach den sogenannten Oberbau der Schule in der Weidenstraße, anschließend die Handelsschule besucht. Ab 1928 absolvierte er eine kaufmännische Lehre bei "Meyer & Muss", Hamburg. Danach war er bei seinem Vater angestellt und sollte eigentlich später den väterlichen Betrieb übernehmen. Dora Levy berichtet, dass er "im Oktober 1938 von der Gestapo die Auflage erhielt, zum Stadthaus zu kommen. Herr Tuteur hatte zuvor eine Auslandsreise gemacht. Erst spät-nachmittags kam er von seinem Besuch im Stadthaus zurück, und ich erinnere, dass seine Handgelenke und seine Hände Wundmale aufzeigten." Harald Richard Tuteur selbst beschrieb die Situation: "[Ich] musste mich von 9 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags in einem mit Gittern verschlossenen Raum gefesselt aufhalten. Es wurde mir dann eroeffnet, dass ich Deutschland binnen 14 Tagen verlassen muesse, da ich sonst in ein Konzentrationslager kommen wuerde. Als Grund wurde angegeben, dass ich mich kuerzlich im Ausland aufgehalten haette. Ich war naemlich zu jener Zeit einige Tage in Skandinavien gewesen um mich dort ueber Auswanderungsmoeglichkeiten zu informieren." Mit einem Touristenvisum konnte er mit dem deutschen Dampfer "General Orsorio" am 4. November 1938 von Hamburg nach Montevideo/Uruguay reisen. Da er dort keine Arbeit fand, wagte er sich mit Hilfe von Grenzschmugglern nach Argentinien. Immer in der Angst, von der Polizei aufgegriffen zu werden, arbeitete er in Buenos Aires als Heizer im Hotel Wertheim, später als Angestellter in Speditions- und Exportfirmen. Unterstützung erhielt er durch seinen Onkel Roberto Salomon, der in der Provinz Cordoba/Argentinien ein kleines Restaurant mit Tankstelle führte. Mit der Hilfe dieses Onkels und eines Anwalts meldete sich Harald Richard Tuteur freiwillig bei der Polizei und seine Einreise wurde legalisiert. 1948 heiratete er Mira Ravich (*19.6.1919 in Russland). Sie brachte die Tochter Leonor Regina (*29.3.1939 Buenos Aires) mit in die Ehe, das Paar bekam den gemeinsamen Sohn Eugenio Israel (*8.3.1949 Buenos Aires).
Die Tochter Ruth Wolfsohn, geb. Tuteur, die mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter zusammen in der Hamburger Straße 201a gelebt hatte, erklärte sich freiwillig bereit, mit ihrem zwei Tage zuvor geehelichten Mann Werner Wolfsohn in die "Evakuierung" zu gehen, sie wurden gemeinsam am 8. November 1941 nach Minsk deportiert und kamen dort um. Für sie liegt ein Stolperstein im Abendrothsweg 19 (siehe www.stolpersteine-hamburg.de).
Stand: Februar 2025
© Christiane Stephani
Quellen: StaH 213-13_20592, _31121, _31613; 314-15_R1939/2237; 332-4_579; 351-11_1624, _21100, _29902, _36909; Michael Tuteur, USA: Tuteur family-tree, 5. Aufalge 2022. u.a. Auskünfte zu Eugen Herbert Paul Thomas Heiratsurkunde von Eugen Tuteur und Hedwig, geb. Salomon eingesehen im Staatsarchiv Hamburg über Ancestry; div. Adressbücher Hamburg, https://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/view;jsessionid=7A3E86DE3DED2A0915861439787CE065.TC12?did=c1:717931&sdid=c1:719097, https://www.jewish-places.de/de/DE-MUS-975919Z/facility/31b5930d-59c7-4e9d-a43e-325559073916, https://www.statistik-des-holocaust.de/VI1-44.jpg

