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Bereits verlegte Stolpersteine



Porträt Hans Kirsten, 18.2.1936
Hans Kirsten in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn, 18.2.1936
© StaH

Hans Kirsten * 1868

Hasselbrookstraße 23 (Wandsbek, Eilbek)


Verhaftet 1935 und 1939
KZ Fuhlsbüttel
'Heilanstalt' Langenhorn
ermordet 24.02.1943

Weitere Stolpersteine in Hasselbrookstraße 23:
Max Jacob

Hans Ferdinand Kirsten, geb. am 20.12.1868 in Hamburg, gestorben am 24.2.1943 in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn

Hasselbrookstraße 23

Der 1868 in Hamburg geborene Hans Kirsten war das zweite von fünf Kindern des wohlhabenden Hamburger Reeders und Schiffsmaklers Adolph Kirsten und Pauline, geborene Bur­mester. Nach seinem Abitur absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung mit Stationen in Frankreich und Nordamerika. Seine Reiselust führte ihn später im Interesse der väterlichen Firma lange Zeit nach Mittel- und Südamerika. Seit 1895 arbeitete er als Reeder und Schiffsmakler in dem väterlichen Unternehmen "A. Kirsten" in Hamburg und war von 1899 bis 1924 auch dessen Mitinhaber. Ebenso wie sein Vater arbeitete er auch für die Firma "H. J. Perlbach & Co. Nachfolger" und besaß von 1915 bis 1924 auch Anteile dieser Firma. In den Jahren 1924 und 1925 saß er zudem im Aufsichtsrat der Vereinsbank in Hamburg. Als Nachfolger eines Onkels war er 1913 Patron der Wetken’schen Schule. 1926 schied er nach verlustreichen spekulativen Geschäften aus den Firmen aus und lebte von seinem nicht unbeträchtlichen Vermögen. Neben einer Villa an der Fontenay besaß er noch ein Anwesen in Poppenbüttel. Er war seit 1897 mit Margaretha Moller verheiratet, die ihm in den Jahren 1898 bis 1910 sechs Töchter gebar. Sie starb 1933. Hans Kirsten hatte während seiner Ehe ein sexuelles Verhältnis mit seiner Haushälterin und pflegte überhaupt viele außereheliche Kontakte, überwiegend mit Frauen, aber auch mit Männern. In Poppenbüttel galt er in der Bevölkerung als "sexueller Wüstling". Wohl darin begründet galt seine Ehe als langjährig zerrüttet, und der Kontakt zu seinen Töchtern war 1935 abgebrochen.

1927 soll er erstmals bei einer homosexuellen Betätigung in einer Öffentlichen Bedürfnisanstalt am Berliner Tor überrascht und erpresst worden sein. 1930 ermittelte die Altonaer Staatsanwaltschaft gegen Hans Kirsten wegen eines homosexuellen Verhältnisses, was aber seinerzeit eingestellt wurde.

Am 25. November 1935 wurde Hans Kirsten Opfer einer Denunziation durch seinen Nachbarn Carl Weiffert. Dessen Tochter hatte beobachtet, wie Hans Kirsten Besuch von einem jungen Mann bekommen hatte. Damals lebte er in seiner Villa an der Fontenay 1c. Dies führte zu seiner Verhaftung und Inhaftierung im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis. Wegen des Verdachts auf eine psychische Störung und einer möglichen Unzurechnungsfähigkeit kam er am 7. Februar 1936 zum ersten Mal zur Beobachtung in die damals noch "Staatskrankenanstalt" genannte spätere Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn. Der gutachtende Arzt Wigand Quickert diagnostizierte jedoch keine psychische Erkrankung, beleuchtete allerdings ausführlich den gesteigerten Sexualtrieb und die angeblich dabei zu Tage tretenden "pervers sexuellen Neigungen". Am 28. April wurde Hans Kirsten wieder in Untersuchungshaft überstellt. Weil sein männlicher Sexualpartner nicht mehr zu ermitteln war, Anhaltspunkte für eine Verführung fehlten und das Alter strittig blieb – die Nachbarin mutmaßte 14 bis 16 Jahre, Hans Kirsten sprach von 17 bis 25 Jahren – verurteilte das Landgericht Hamburg ihn am 29. Juli 1936 lediglich wegen Vergehens nach § 175 RStGB zu einem Jahr Gefängnis. Seine homosexuelle Handlung führte der urteilende Richter auf eine mutmaßliche "geschlechtliche Übersättigung" zurück.

Am 30. April 1937 hatte Hans Kirsten seine Strafe in einem Gefängnis in Bergedorf verbüßt. Bis 1938 wohnte er auf seinem weitläufigen Grundstück in Poppenbüttel. Nach einem Zwangsverkauf zog er mit seiner Haushälterin und Lebensgefährtin Gretchen Möller, geborene Hellfritz, in eine Etagenwohnung in die Hasselbrookstraße 23. Dieses sollte sein letzter freigewählter Wohnsitz sein, deshalb ist vor diesem Haus in Eilbek auch ein Stolperstein verlegt worden.

Am 14. April 1939 geriet Hans Kirsten erneut in die Fänge des NS-Regimes. Dabei waren mehrere Vorgänge aus den Jahren 1935 bis 1938 Gegenstand von Ermittlungen. Ihm wurde vorgeworfen, er habe mit zwei 18-Jährigen auf seinem Poppenbütteler Grundstück sexuelle Handlungen durchgeführt. Einen 17-Jährigen soll er im Genitalbereich an die Hose gefasst ha­ben. Nach einer Wohnungsdurchsuchung wurde er zur Vernehmung ins Stadthaus mitgenommen, am 15. April kam er in Polizeigewahrsam und wurde vom 17. bis 25. April 1939 auch im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert, danach am 25. April in das Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis verlegt. Während der Verhöre gab er zu, zweimal mit unbekannten älteren Män­nern sexuelle Handlungen in Öffentlichen Bedürfnisanstalten an der Moorweidenstraße und am Bornplatz ausgeführt zu haben. Eine seiner Verwandten gab in der Vernehmung an, dass die Familie bereits überlegt hatte, Hans Kirsten wegen seines Lebenswandels entmündigen zu lassen. Er konnte also nicht mit Rückhalt aus der Familie rechnen. Auch seine Haushälterin und Lebensgefährtin gab gegenüber der Polizei umfangreiche Details aus ihrem gemeinsamen Sexualleben zu Protokoll und verdächtigte ihn ebenfalls homosexueller Handlungen. Die Er­mitt­lungshilfe der Strafrechtspflege sah in Hans Kirsten "eine ernste Gefahr" die in der Aussage gipfelte, dieser "müsste unschädlich gemacht werden". Am 19. Juli 1939 untersuchte ihn der Amtsarzt Kurt Frommer, der wegen "senil-arteriosclerotischer" Störungen eine verminderte Zurechnungsfähigkeit attestierte und die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt für erforderlich hielt.

So war es nicht verwunderlich, dass der inzwischen 71 Jahre alte Hans Kirsten am 11. Januar 1940 vom Landgericht Hamburg, 5. Kammer als Jugendschutzkammer, wegen Vergehens nach § 175 RStGB und versuchten Vergehens nach § 175a RStGB zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis und nach §§ 42b und 51 Abs. II RStGB zur Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt verurteilt wurde. Aufgrund seines starken Sexualtriebs und seines bisexuellen Verhaltens wurde er als eine "sexuell … völlig entartete Persönlichkeit" beschrieben und als "in sexueller Hinsicht ein völlig verkommener Mensch" herabgewürdigt. Seine Gefängnisstrafe verbüßte er ab 20. Januar 1940 in Fuhlsbüttel. Ende Mai 1940 kam Hans Kirsten ins Zentrallazarett und ließ sich "freiwillig" kastrieren. Er blieb bis zur seiner Entlassung am 12. Januar 1942 im Untersuchungsgefängnis und wurde dann in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn überführt. Laut einer Aktennotiz des stellvertretenden ärztlichen Direktors an die Generalstaatsanwaltschaft vom 24. November 1942 stand einer Entlassung Kirstens aus ärztlicher Sicht nichts im Wege. Allerdings müsse er wegen eines leichten Schlaganfalls und eines Oberschenkelbruchs noch mehrere Wochen in Langenhorn verbleiben. Am 28. Januar 1943 lautete die Mitteilung aus Langenhorn, dass Kirsten wegen einer Lungenentzündung nicht entlassungsfähig sei. Am 2. März 1943 wurde der Generalstaatsanwaltschaft mitgeteilt, dass Hans Kirsten am 24. Februar 1943 in Langenhorn gestorben war. Er wurde im Grab der Familie Kirsten auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Lage: T21 (32-81), beigesetzt.

Stand Februar 2014
© Bernhard Rosenkranz(†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 8035/36 und 451/40; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Ablieferung 1995/2, 22831; StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 d; StaH; 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 u. 16; Deutsches Geschlechterbuch Bd. 216, 17. Hamburger Band, S. 217ff.; Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, S. 224–225.

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