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Julius Poppert * 1889

Sand 12 (Harburg, Harburg)


gedemütigt / entrechtet
Flucht in den Tod 28.08.1942

Julius Poppert, geb. 20.7.1889 in Gronau, Flucht in den Tod am 28.8.1942

Stadtteil Harburg-Altstadt, Sand 12

Dass Julius Poppert an der deutsch-niederländischen Grenze groß geworden war und im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient hatte, wussten in der feinen Gesellschaft Harburgs wohl nur wenige, aber dass er Inhaber zweier erlesener Kaffeegeschäfte und Confiserien in der Rathausstraße 4 und in der Wilstorfer Straße 29 im Zentrum der Stadt war, wussten die "besseren" Damen nur zu gut. Hier fanden sie in der Advents- und Weihnachtszeit oder vor Ostern alles, womit sie ihre Familie und sich selbst an den Festtagen verwöhnen konnten. Ein drittes Geschäft besaß Julius Poppert in der Bahnhofstraße 1 in Stade.

Nicht nur in privaten, sondern auch in geschäftlichen Angelegenheiten war Lore Poppert, geb. Hoffmann (geb. 6.12.1889), ihrem Ehemann eine unverzichtbare Stütze. Sie stammte aus einer nichtjüdischen Familie in Wuppertal. Sie hatten 1917 geheiratet. Schon wenig später konnten sie ihre Freunde und Bekannten in einer vornehm eingerichteten Wohnung begrüßen. Um ihren Haushalt kümmerte sich ein umsichtiges Dienstmädchen. Zu den stolzen Errungenschaften der jungen Eheleute gehörte bald auch ein eigenes Auto, was sich nur wenige in ihrer Umgebung leisten konnten. Mit zwei Pflegekindern erlebten Julius und Lore Poppert nach dem Ersten Weltkrieg unbeschwerte Tage gemeinsamen Glücks. Als Julius Poppert 1921 sein erstes Geschäft eröffnete, war Inge Doris Kluge sieben Jahre alt. Ihr Bruder Hans Gerd Kluge war fünf Jahre jünger. Den Kindern ging es gut in der Familie.

Dass die "goldenen" Jahre für Julius Poppert vorbei waren, dürfte ihm wie allen anderen Betroffenen spätestens am 1. April 1933, dem Tag des "Abwehrboykotts gegen das Judentum", bewusst geworden sein. Sowohl in Harburg als auch in Stade hatten sich wie überall im Deutschen Reich SA-Posten mit riesigen Plakaten vor allen großen und kleinen jüdischen Geschäften aufgestellt, um potentielle Kunden abzuschrecken und zum Kauf deutscher Wa­ren zu bewegen.

Im Stader Tageblatt vom 1. April 1933 war zu lesen: "Kurz nach 10.00 Uhr rückten Doppelposten [der SA] vor die Geschäftsstelle der EPA, die Firma Lindor, die Firma Poppert und das Bankgeschäft Friedländer & Wertheim. Von dem Boykott sind also nur Geschäfte betroffen, deren Inhaber unzweifelhaft dem jüdischen Großkapital angehören. Die vor den Geschäften stehenden Posten haben Plakate umgehängt, durch die das Publikum zum Kauf nur deutscher Waren aufgefordert wird. Außerdem haben die Posten eine Broschüre ,STAATSFEIND’ zum Verkauf in den Händen, die reichliches Material für die volkszerstörenden Absichten des internationalen Judentums enthält. Vom Fischmarkt bis zum Bahnhof gehen … Patrouillen der SA, die ebenfalls die oben erwähnten Plakate und die aufklärenden Broschüren mit sich führen …"

Bereits zwei Tage zuvor hatte das Stader Tageblatt in einer Verlautbarung erklärt, "dass es Geschäftsanzeigen jüdischer Firmen nicht mehr veröffentlichen" werde. Die "Harburger Anzeigen und Nachrichten" hatten es in dieser Beziehung nicht ganz so eilig, obwohl der Harburger Magistrat dies gern gesehen hätte.

Der Boykott dauerte offiziell zwar nur einen Tag, zeitigte aber langfristige Folgen, die in den nächsten Wochen und Monaten nicht zu übersehen waren. Die fortschreitende Verdrängung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben überschattete in zunehmendem Maße den Alltag der Betroffenen. Wiederholt musste Julius Poppert feststellen, dass unbekannte Täter über Nacht die Schaufenster seiner Geschäfte mit antisemitischen Schimpfwörtern beschmiert hatten. Die Umsätze gingen um mehr als die Hälfte zurück, weil nicht nur Mitglieder der NSDAP als Kundinnen und Kunden ausblieben, sondern auch viele zahlungskräftige Bürgerinnen und Bürger, die im öffentlichen Leben eine Rolle spielten, sich Ärger ersparen wollten und lieber bei der "deutschen" Konkurrenz einkauften.

1935 musste Julius Poppert zunächst sein Geschäft in Stade aufgeben und drei bzw. vier Jahre später auch seine beiden Harburger Geschäfte: Auf Grund einer behördlichen Anordnung wurden sie nicht mehr vom Süßwarengroßhandel beliefert. Julius Poppert übertrug die Geschäfte seiner Pflegetochter Inge Doris Kluge. Er lebte danach mit seiner Frau mehr schlecht als recht von den gemeinsamen Ersparnissen und musste seine große Wohnung in der Rathausstraße Nr. 4 gegen eine kleinere am Sand Nr. 30 (heute: Nr. 12) eintauschen.

Die Gestapo nahm Julius Poppert wie viele andere Juden im Zusammenhang mit der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 fest und verschleppte ihn in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Man darf annehmen, dass sich auch seine letzte Filiale unter den Harburger Geschäften befand, deren Schaufenster, wie die Harburger Anzeigen und Nachrichten berichteten, am 10. November 1938 "von einer größeren Menschenmenge" eingeschlagen wurden, "die ihrem Abscheu [über die Ermordung des Legationssekretärs Ernst von Rath] drastischen Ausdruck verlieh." Julius Poppert blieb fünf Wochen in Haft.

Unter einem Großteil der einschneidenden Maßnahmen gegen Juden litt Julius Poppert trotz seiner Ehe mit einer Nichtjüdin genauso wie Juden, die in "volljüdischer" Ehe lebten. So musste er nach dem 19. September 1941 in der Öffentlichkeit den "Gelben Stern" tragen. Sein Antrag auf Befreiung von der Kennzeichnungspflicht wurde vom Leiter des Judenreferats der Hamburger Gestapo Claus Göttsche mit der zusätzlichen Bemerkung "Weitere Eingaben sind zwecklos" zurückgewiesen. Eigentlich brauchte der jüdische Ehepartner einer "privilegierten" Mischehe, d. h. mit nichtjüdisch erzogenen Kindern, keinen "Stern" zu tragen, doch Pflegekinder entbanden Julius Poppert nicht von dieser Vorschrift. Also galt die Ehe der Popperts als "nichtprivilegiert" und Julius Poppert wurde "sternpflichtig".

Als im Oktober 1941 die großen Deportationen aus Hamburg begannen, mussten alle Juden damit rechnen, früher oder später einen "Evakuierungsbefehl" zur "Aussiedlung" zu erhalten. Zwar waren die in "privilegierter" Mischehe lebenden Jüdinnen und Juden bis auf weiteres davon nicht betroffen und die in "nichtprivilegierter" Ehe lebenden vorläufig zurückgestellt, doch dieser Tatbestand konnte jederzeit aufgehoben und durch weiterreichende Bestimmungen ersetzt werden. Auch Julius Poppert schloss eine weitere Verschärfung der nationalsozialistischen Judenpolitik nicht aus. Seiner Frau hatte er schon früh zu verstehen gegeben, dass er aus Rücksicht auf sie und die Pflegekinder im Ernstfall zu einer Trennung bereit sei und dass er sich das Leben nehmen würde, wenn er den Deportationsbefehl erhielte.

Als er sich am 28. August 1942 bei der Harburger Gestapo melden sollte, befürchtete er das Schlimmste. Er ließ den Termin verstreichen, und als ein Kriminalbeamter ihn abholen wollte, rief Lore Poppert vergeblich nach ihrem Mann. Sekunden später stellte sie fest, dass er sich am Kreuz des Schlafzimmerfensters erhängt hatte. Der schnell herbeigerufene Arzt Hans Riebeling konnte nur noch seinen Tod feststellen. Im dem abschließenden Polizeibericht heißt es lapidar: "Nach Angaben des Kriminalsekretärs Meyer, Gestapo Hamburg, Außenstelle HH-Harburg, sollte Poppert, da er Jude ist, abgeschoben werden. Am 28.8.1942 um 15.10 Uhr betrat Kriminalsekretär Meyer die Wohnung des Poppert, um ihn abzuholen; Poppert wurde von ihm im Schlafzimmer seiner Wohnung erhängt vorgefunden. Außerdem hatte er sich noch die Pulsadern geöffnet."

© Klaus Möller

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 200789 Poppert, Julius; StaH, 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 3, 1942, 1519; StaH, 430-5 Bestand Magistrat Harburg-Wilhelmsburg, 181-08 Angelegenheiten der städtischen Polizei, Ausschaltung jüdischer Geschäfte und Konsumvereine 1933–1938; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge, S. 118, 195; Schriftliche Mitteilung der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen vom 3.3.2011; Lohmann, "Nicht so schlimm.", 2. Auflage, S. 293ff.; Schriftliche Mitteilung Johanna Buchholz vom 6.8.2006; Schriftliche Mitteilung der Gedenkstätte Sachsenhausen vom 3.3.2011.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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