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Bereits verlegte Stolpersteine



Dr. Carl Lorenzen
Dr. Carl Lorenzen
© Privatbesitz Lorenzen

Dr. Carl Lorenzen * 1889

Bramfelder Chaussee 269 (Wandsbek, Bramfeld)


Verhaftet 1938
KZ Fuhlbüttel
Flucht in den Tod
06.02.1938

Dr. med. Eduard Friedrich Carl Lorenzen, geb. 27.10.1889 in Schiffbek, gestorben 6.2.1938 im KZ Fuhlsbüttel nach Suizid

Bramfelder Chaussee 269 (Lübecker Straße 11)

Über das Schicksal von Dr. med. Carl Lorenzen ist nicht viel bekannt. Geboren wurde der Mediziner am 27. Oktober 1889 in Schiffbek, heute Hamburg-Billstedt, als Sohn des Malermeisters H. Lorenzen und Ehefrau Maria, geb. Westphalen. Er ließ sich nach dem Ersten Weltkrieg als praktischer Arzt in Bramfeld nieder. Seine Praxis hatte er zunächst in der Hamburger Straße 221 und verzog nach seiner Heirat 1921 in Bramfeld mit Carola Bertha Siemers (12.2.1899–28.3.1993) in die Lübecker Straße 11. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.

Er heiratete in die alteingesessene Bramfelder Familie Siemers, die ihr Ge­höft im Zentrum des Dorfes hatte. 1966 wurde der Hof für den Karstadtneubau abgerissen. Nach Hertha Siemers – der Zwillingsschwester von Carola – wurde die Herthastraße im Zentrum Bramfelds benannt.

Carl Lorenzen war als niedergelassener Arzt auch für die schulärztliche Versorgung der Schule am heutigen Bramfelder Dorfplatz zuständig. Wie es dazu kam, dass er am 24. Januar 1938 wegen "widernatürlicher Unzucht" als Schutzhäftling ins KZ Fuhlsbüttel eingewiesen wurde, konnte bisher nicht geklärt werden.

Nach der Festnahme von Carl Lorenzen trugen die Polizeibeamten den rot unterstrichenen Vermerk "Vorsicht! Selbstmordabsichten" in seine Akte ein. Am 5. Februar 1938 unternahm er in seiner Zelle einen Suizidversuch. Ein Gefängniswärter fand ihn mit Stichverletzungen an der linken Halsseite und veranlasste seine Verlegung ins Lazarett. Am 6. Februar erlag Lorenzen seinen Verletzungen. Als offizielle Todesursache wurde "Herzschwäche mit starkem Blutverlust durch Halsstich" angegeben. Er wurde zunächst in Schiffbek beigesetzt. 1975 wurde er auf Antrag der Familie Siemers auf den alten Bramfelder Friedhof umgebettet.

Carl Lorenzen hat sich durch den Suizid dem Gerichtsverfahren und einer drohenden Aberkennung seiner ärztlichen Zulassung durch die Gesundheitsbehörde und die Ärztekammer entzogen. Seit Juli 1934 wurden zudem die Verfahren zur Entziehung eines Doktortitels vereinfacht. Nunmehr reichte allein die Feststellung aus, dass ein Absolvent "eines Doktortitels einer deutschen Hochschule nicht mehr würdig" sei, wozu auch homosexuelles Verhalten zählte. So kam er auch einem weiteren entwürdigenden und seine Existenz ruinierenden Schritt zuvor. Vor seiner ehemaligen Praxis und Wohnung in der heutigen Bramfelder Chaussee 269 erinnert ein Stolperstein an sein Schicksal.

© Britta Burmeister, Ulf Bollmann, Bernhard Rosenkranz(†)

Quellen: StaH, 332-5 (Standesämter), 1086, 2214 und 3913; StaH 213-8 (Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung), Abl. 2, 451 a E 1, 1 a; StaH 242-1II (Gefängnisverwaltung II), Abl. 12, Lorenzen; StaH 331-5 (Polizeibehörde – Un­natürliche Sterbefälle), Journal 1938 Band 1 (da­rin: Nr. 321); StaH 352-5 (Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen), C II 1938, Standesamt 2 Nr. 44; AB 1920–1924; Bernhard Rosen­kranz/Ulf Bollmann/Gottfried Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, Hamburg 2009, S. 50–52, 233.


Nachtrag: Spätere Forschungsergebnisse zu Dr. Carl Lorenzen

Die Bramfelder Stolpersteingruppe war nicht zufrieden mit dem Wenigen, was sie zu Carl Lorenzen anlässlich der Verlegung seines Stolpersteines erzählen konnte. In den vielen lebensgeschichtlichen Interviews, die seit 1991 in Bramfeld geführt wurden, war der Name des Arztes nie gefallen. Eine Familienangehörige, zu der es einen Kontakt gab, wollte über die "schwere Zeit" nicht sprechen, hatte sich aber einverstanden mit der Verlegung eines Stolpersteins gezeigt.

Die Verlegung des Stolpersteins im Jahr 2009 nutzten wir, um um Hinweise zu Carl Lorenzen zu bitten.

2011 meldete sich eine ehemalige Nachbarin. Sie erinnerte sich, dass Dr. Lorenzen ihr Hausarzt war. Ihre Eltern hatten eine Gastwirtschaft geführt, und wenn dort über ihn gesprochen wurde, schickten die Eltern sie hinaus: "Und Edith stand dann in der Tür. Da habe ich das so mitgekriegt, dass er sich aufgehängt hat. Weil er in einem Kreis gewesen ist, was von den Nazis nicht erlaubt war. Ob sie ihn da nun festgenommen haben, dass er mit jemandem zusammen war oder aber nur in so einem Lokal verkehrt hat, das kann ich nicht sagen. Aber es ist wohl irgendwo eine Razzia gewesen, so ähnlich habe ich das verstanden, und da haben sie ihn mitgenommen. Dann saß er im Gefängnis, er hatte eine Frau und zwei Kinder. Man hat mir das nie genau erzählt …"

Andere Zeitzeugen wussten nichts über ihn. In der Bramfelder Geschichte schien es Dr. Lorenzen nicht gegeben zu haben.

Bis 2015: Im Frühjahr rief ein Enkel Carl Lorenzens an und verabredete ein Interview, an dem auch sein Vater Karl Heinz Lorenzen teilnahm. 2016 meldete sich zudem der älteste Sohn von Karl Heinz Lorenzen, der Fotos seines Großvaters zur Verfügung stellte. Endlich erhielt Carl Lorenzen auch ein Gesicht!

Sowohl die Enkel als auch der Sohn hatten noch nie etwas von der Inhaftierung ihres Vaters bzw. Großvaters und deren Begründung gehört.
Karl Heinz Lorenzen: "Die glücklichste Zeit war im Grunde genommen die Kinderzeit bis zum Tod meines Vaters, (und die schwierigste) wohl der Tod des Vaters." Über seine Familie erzählte er: "Meine Mutter ist eine Bauerntochter und hatte auch die entsprechende Ausbildung und ihren Lebenslauf. Mein Vater war Arzt, der dann aber doch recht früh starb. Da war ich noch keine 14 Jahre alt. (…) wir (haben) zusammen ein recht harmonisches Familienleben gehabt."

Zur Hochzeit hatten die Eheleute Carola und Carl Lorenzen von Carolas Vater die Villa geschenkt bekommen, die dieser nach dem Tod von Carl Lorenzen wieder verkaufte. Die Witwe zog mit ihren beiden Kindern in das Altenteilerhaus der Siemers-Familie an der Bramfelder Chaussee. Die Kinder, so der Sohn, hätten ihr altes Zuhause sehr vermisst.

Über die Praxis seines Vaters berichtete der Sohn: "Das war eine richtige Landarztpraxis. Einen Notdienst, den man rufen konnte, gab es nicht, sondern nachts klingelte das Telefon, und dann musste mein Vater los. Er war nicht gut darauf zu sprechen, wenn er wegen belangloser Dinge gerufen wurde. Aber das kam natürlich mal vor. Es war sonst so eingeteilt, dass er vormittags die ersten zwei Stunden Sprechstunde hatte, und sich dann vormittags einen Teil – also entweder den nördlichen Teil Bramfelds oder den südlichen bis zum Hellbrook (für Hausbesuche) vornahm und nachmittags wechselte. Und am Abend ging es wieder weiter mit der Sprechstunde. Nur am Mittwoch- und Sonnabendnachmittag war frei. (…) Meine Mutter war die Gehilfin meines Vaters in der Sprechstunde. Vor allen Dingen Bestrahlungen und andere Anwendungen hatte sie übernommen. Sie war also zur Hälfte auch dort in der Praxis beschäftigt."

Die Mutter habe es nach dem Tod ihres Mannes schwer gehabt, da sie nun die Familie unterhalten musste. Deshalb habe sie mit 39 Jahren noch eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin absolviert.

Karl Heinz Lorenzen schilderte auch ganz unerwartete Seiten seines Vaters: "Mein Vater spielte hervorragend Klavier und hatte eine Ausbildung als Opernsänger begonnen. Aber – er durfte nicht öffentlich auftreten. Wurde ihm von seinem Schwiegervater verboten. Er sei ja Arzt. Also durfte er nur in der Kirche singen. Das hat er auch gemacht. Oder uns Kindern abends was vorgesungen. Ich habe meinen Vater so häufig gebeten, singe mal wieder. In der Kirche hat er dann Solo gesungen, er hatte eine Ausbildung als Solist, als Bassbariton. Er hätte gerne noch andere Konzerte gegeben. An sich – also er war bestimmt kein schlechter Arzt, er war ein guter Arzt – aber er war mehr so ein bisschen so Künstler. Das hätte ihm wahrscheinlich mehr gelegen. Aber früher wurde noch sehr viel Wert auf das Wort der Eltern oder Schwiegereltern gelegt." Der Schwiegervater Siemers war ein konservativer Großbauer und Ortsvorsteher in Bramfeld gewesen.

2016 bestätigte auch der ältere Lorenz-Enkel, dass in seiner Kindheit über den Tod des Großvaters nicht gesprochen wurde. Er wusste nur, "der ist irgendwann unterwegs an Herzversagen gestorben auf dem Weg von da nach da." Und sein Vater habe ergänzt: "Ist ja auch klar, er ist ja so dick geworden."

Dafür, dass er nun seine Familiengeschichte in einem ganz neuen Licht sieht und dass in Bramfeld an seinen Großvater mit einem Stolperstein erinnert wird, zeigte sich der Enkel sehr dankbar.

Stand: Dezember 2020
© Ulrike Hoppe

Quellen: Stadtteilarchiv Bramfeld, Interview Edith Fleck, 27.5.2011 / Interview Erika Beit, 18.2.2014 / Interview Karl Heinz Lorenzen, 29.4.2015 / Interview Klaus Peter Lorenzen, 13.5.2017

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