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Bereits verlegte Stolpersteine



Hochzeitspaar Silbiger
Hochzeitspaar Elisabeth und Hermann Silbiger
© Privatbesitz

Hermann Silbiger * 1908

Rutschbahn 15 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Minsk

Weitere Stolpersteine in Rutschbahn 15:
Jacob Blankenstein, Sophie Blankenstein, Heinz Heymann, Elisabeth Silbiger, Frieda Warneck, Ruth Warneck

Elisabeth Silbiger, geb. Gerson, geb. am 20.12.1913 in Vechta, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Hermann Silbiger, geb. am 1908 in Osterburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Rutschbahn 15

Elisabeth (Lisa) kam am 20. Dezember 1913 als erste von drei Töchtern im südoldenburgischen Vechta zur Welt. Ihre Eltern waren Sofie (Sophie) Gerson geb. Stehberg (geb. am 10. Mai 1887 in Adelebsen) und Emanuel Gerson (geb. am 31. März 1883 in Jemgum). Emanuel hatte zwei Jahre zuvor seine ostfriesische Heimat, das Rheiderland, verlassen und im Dezember 1911 eine Viehhandlung mit seinem Bruder Adolf (geb. am 31. Juli 1885 in Jemgum) eröffnet.

Im Dezember 1912 heiratete Moni (so wurde Emanuel Gerson in Vechta gerufen) Sofie Stehberg. Das Ehepaar lebte in der Straße Klingenhagen 3 in gehobenen Verhältnissen, da die Viehhandlung in der Region gut angenommen wurde. Die Gersons scheinen sehr aktiv in der jüdischen Gemeinde Vechtas gewesen zu sein, dies lässt sich jedenfalls aus Emanuels späterer Tätigkeit als Gemeindevorsteher schließen. Von der hauptsächlich katholischen Bevölkerung Vechtas war die Familie aber offenbar nicht isoliert. Laut einer jüdischen Zeitung setzte sich beispielsweise ein Großteil des Trauergefolges bei der Beerdigung von Elisabeths Mutter 1934 aus andersgläubigen Menschen zusammen. Diesen Eindruck teilten Zeitzeugen aus Vechta, so etwa die Jugendfreundin von Elisabeth, Agnes Behne: "Bei den Bauern waren die Gersons beliebt, auch mit den kleinen Leuten vom Klingenhagen kamen sie gut aus; aber mit den wohlhabenden Geschäftsleuten ist es wohl nicht zu engeren persönlichen Kontakten gekommen.”

Elisabeths Schwester Rosel wurde am 12. Februar 1923 geboren. Das jüngste Familienmitglied der Gersons, Jutta, kam am 2. März 1928 zur Welt. Zu dieser Zeit besuchte Elisabeth bereits die Handelssaufbauschule "Schwestern Unserer Lieben Frau" in Vechta, wo ihre Schulkarriere eher schwierig verlief. Sie musste die erste Klasse der Handelsschule wiederholen und brach schließlich 1931 die Abschlussklasse ab. Wie in dieser Zeit üblich, schloss sich für Elisabeth nun ein "Haushaltsjahr" an. Damals wurden junge Mädchen in fremde Familien geschickt und lernten dort, einen Haushalt zu führen. Elisabeth kam nach Nieheim in Ostwestfalen, verließ den Ort aber bald wieder, da sie sich nicht gut mit der Gastfamilie verstand, und führte ihr Haushaltsjahr in Bad Pyrmont im Weserbergland fort. Dort arbeitete sie in der Pension von Max de Haas, dem Neffen des Landesrabbiners von Oldenburg, Philipp de Haas.

Ihre Rückkehr fiel mit der Machtübernahme der NSDAP zusammen, die das Leben der Familie in Vechta bedeutend schwieriger machte. Zu Beginn des Jahres 1934 verstarb zudem ihre Mutter Sofie nach kurzer und schwerer Krankheit im Alter von 46 Jahren. Zur Trauer und den wirtschaftlichen Erschwernissen kam nun hinzu, dass die Hausfrau fehlte, die Elisabeth ersetzen musste.

1935, drei Jahre nach ihrer Rückkehr, wurde Elisabeths Verlobung mit dem jüdischen Handlungsreisenden Jacob Menno von Zuiden aus dem niederländischen Zwolle in der Oldenburgischen Volkszeitung annonciert. Vermutlich hatte sie ihn auf Reisen zu ihrer Verwandtschaft nach Holland kennengelernt, die sie öfter unternahm. Die Verlobung wurde allerdings aus unbekannten Gründen wieder aufgelöst. Später lernte Elisabeth den Textilkaufmann Hermann Silbiger kennen, den sie wahrscheinlich auf einer Ungarnreise eines jüdischen Reisebüros getroffen hatte.

Hermann Silbiger war am 5. Mail 1908 als erstes Kind von Moritz Silbiger (geb. am 19. Mai 1882 in Wieliczka) und Anna Silbiger geb. Neger (geb. am 15. Mai 1882 in Przeworsk) zur Welt gekommen. Er entstammte einer Kaufmannsfamilie aus Galizien. Seine Eltern hatten sich 1908 in Osternburg niedergelassen und waren dann wenig später in ein Eigentumshaus in Oldenburg in der Rebenstraße 37 gezogen. Er hatte eine Schwester, Hanni Silbiger (verh. Laing, geb. am 1.10.1909 in Oldenburg), und einen Bruder, Isidor Silbiger. Hanni emigrierte 1939 nach England und lebte dort auch nach dem Krieg. Isidor verstarb 1933. Die Familie gehörte einer Schicht von Juden an, die sich selbst als "Handelsmänner" bezeichneten und erst am Anfang des 20. Jahrhunderts aus den Gebieten, des heutigen Polens und der Ukraine nach Oldenburg gekommen waren. Innerhalb dieser Gruppe herrschte anscheinend großer Zusammenhalt und es wurde häufig untereinander geheiratet. Moritz Silbiger wurde als "Produktenhändler" geführt, eine damals gebräuchliche Bezeichnung für jemanden, der Produkte der heimischen Landwirtschaft auf- und weiterverkaufte.

Nachdem Hermann Silbiger die Volksschule abgeschlossen hatte, begann er eine Lehre zum Textilkaufmann bei der Firma "Flatauer und Co, Textilwaren-Großhandlung". 1928 trat er eine Stelle als "Einkäufer" beim "Textilwaren-Großhandel Heinrich Hirschberg" an. Dort verdiente er zwischen 200 und 300 RM im Monat, ein solides Gehalt, aber ein Vermögen ließ sich damit nicht ansammeln. Sein damaliger Chef Heinrich Hirschberg beschrieb ihn später als "engagierten und wichtigen Mitarbeiter". In den letzten Jahren seiner Arbeit in der Textilwaren-Großhandlung stieg Hermann zum "Abteilungsleiter Versand" auf, bevor die Firma 1938 aufgrund der immer stärker werdenden Repressionen gegen Juden in der NS-Diktatur schließen musste. Danach – so gab Hermann Silbiger später in einem Brief an die örtliche "Devisenstelle" an – habe er 1938 noch 25 Reichsmark in der Woche verdient und erwarte auch für 1939 noch Einkünfte durch Lohnarbeit.

In der Pogromnacht am 10. November 1938 wurde Hermann Silbiger in "Schutzhaft" genommen und in das KZ Sachsenhausen eingewiesen. Das gleiche Schicksal ereilte auch Elisabeths Vater Emanuel, der mit Hermann im Block 42 untergebracht wurde. Am 12. Dezember aus der Haft entlassen, kehrte Hermann nach Oldenburg zurück. Emanuel Gerson war bereits am 6. Dezember freigelassen worden.

Das tägliche Leben der beiden Familien gestaltete sich immer schwieriger. Die Juden in Vechta wurden durch Polizei und durch "arische" Mitbürger schikaniert. Nachdem die Viehhandlung der Gersons 1938 schließen musste, verschlechterte sich zudem die finanzielle Lage. Im Dezember mussten sie das Haus zum Preis von 14.000 Reichsmark verkaufen, durften aber auf den Erlös nicht zugreifen, da es auf ein Sperrkonto überwiesen wurde. Im Juni 1939 meldeten die Gersons sich dann in Oldenburg an und bekamen eine Wohnung in einem "Judenhaus" in der Achternstraße 46 zugeteilt. Dort mussten sie auf engstem Raum zur Untermiete wohnen. Wir wissen nicht, ob Hermann und Elisabeth zu dieser Zeit schon zusammenlebten. Hermanns ehemaliger Arbeitgeber erinnert sich, dass Hermann seit 1936 seine Hochzeit geplant habe.

Hermanns Vater Moritz schaffte es, sein Geschäft bis in den Januar 1939 zu halten, dann musste er es schließlich abmelden. Die Silbigers befanden sich spätestens dann ebenfalls in akuter Notlage, zumal in diesem Jahr auch noch "Sicherungsanordnungen" gegen Hermann und Emanuel Gerson erlassen wurden, d.h. sie durften über ihr Vermögen nicht mehr verfügen. Zudem entlud sich der Judenhass der "arischen" Oldenburger immer öfter auch physisch.

Anfang 1940 verließen beide Familien Oldenburg. Dies geschah nicht freiwillig: Die Gestapo plante die Deportation der ostfriesischen Juden in den Distrikt Lublin/Polen. Die jüdische Zentralorganisation, die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, schlug eilig vor, die ca. 1000 Betroffenen in Deutschland umzusiedeln, um diese frühe Deportation in ein unwirtliches Gebiet zu verhindern.

Die Betroffenen kamen u.a. nach Hamburg, wie die Familien Gerson und Silbiger. Letzere meldete sich am 26. April 1940 in der Hasselbrookstraße 154 an, Familie Gerson am 12. April in der Parkallee 4 II. Kurz darauf zog die Familie Silbiger nach Berlin in eine Wohnung (bei Bornstein) in der Grosse Frankfurterstraße 75. Aus welchen Gründen und wie lange Hermann Silbiger in Berlin lebte, ist unbekannt. Möglicherweise kehrte er nach dem Tod Emanuel Gersons am 21.5.1940 im Polizeigefängnis Hütten wieder nach Hamburg zurück. Als offizielle Ursache für den Tod Emanuel Gersons wurde im Sterberegister "Selbstmord durch Erhängen" angegeben, ob dies der Wahrheit entspricht und mit welcher Begründung Emanuel Gerson überhaupt inhaftiert worden war, ist unklar.

Neuer Vormund für die Kinder wurde Elisabeths Onkel Erich Stehberg. Dies musste geschehen, weil Elisabeth nach damaligem Recht nicht das Sorgerecht für ihre minderjährigen Schwestern übernehmen konnte, obwohl sie diese versorgte und den Haushalt führte. Erich Stehberg meldete sich am 25.6.1940 in Hamburg an.

Ab Mitte 1940 lebte Hermann dann wieder in Hamburg, nun gemeinsam mit den Gersons in der Wrangelstraße 10 III (bei Garcia). Die Hochzeit hatte immer noch nicht stattgefunden. Am 5.8.1940 stellte Hermann er einen "Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses für Ausländer", denn ein solches benötigte er als nun Staatenloser für die Eheschließung. Gegen die Bezahlung von 5 Mark Gebühr wurde seiner Bitte stattgegeben. Hermann und Elisabeth heirateten am 14. August 1940.

Die finanzielle Lage des Paares war schlecht: Anfangs durfte Elisabeth nach Anfrage an die Devisenstelle 160 RM noch monatlich vom restlichen Vermögen ihres Vaters verbrauchen. Davon musste sie nach eigenen Angaben die Miete und den Lebensunterhalt bezahlen. Die Wohnungsmiete betrug zu dem Zeitpunkt 60 RM. Das Geld musste mindestens für sie und ihre Schwester Jutta reichen. Hermann besaß kein Vermögen mehr. Trotzdem zahlte er 1940 und 1941 noch kleine Beträge an Steuern (12 bzw. 8,95 RM für ein Jahr) an die Jüdische Gemeinde in Hamburg. Laut Elisabeth hatte sich das Vermögen ihres Vaters noch um eine Passage-Rückzahlung erhöht. Das bedeutet, dass eine Auswanderung geplant, aber nicht zustande gekommen war. Doch im September 1940 wurde die "Sicherungsanordnung" gegen Elisabeth aufgehoben, weil auch sie kein Vermögen mehr besaß. Die kleine Familie war nun völlig verarmt. Fotografien zeigen, dass Elisabeth abgemagert war. Hermann musste nun Zwangsarbeit in der Hanfspinnerei Steen verrichten. Im Adressbuch, Eintrag 1942, als er selbst längst deportiert worden war, wurde er als Arbeiter und nicht mehr als Kaufmann geführt.

In Hamburg zog die kleine Familie mindestens noch einmal um, nämlich in das "Judenhaus" an der Rutschbahn 15, wo sie im ersten Stock (bei Horvitz) lebte. Im November 1941 wurde den Silbigers dann der sogenannte Evakuierungsbefehl zugestellt. "Evakuierungsbefehle" wurden die Benachrichtigungen über die bevorstehende Deportation verschleiernd genannt. Elisabeths Schwester Jutta wurde auf der Deportationsliste der Gestapo als "Person, die sich freiwillig gemeldet hat" geführt. Vermutlich wollte die Familie das 13-jährige Mädchen nicht alleine zurücklassen.

Am 8. November 1941 wurden Elisabeth Silbiger, Hermann Silbiger, Jutta Gerson und Erich Stehberg dann mit dem Zug vom Hannoverschen Bahnhof in das Getto Minsk deportiert.

Die Spuren von Hermann, Elisabeth, ihrem Onkel und ihrer Schwester verlieren sich, nachdem sie am 10.11.1941 in Minsk angekommen waren. Wir wissen nicht, wie und wann sie zu Tode gekommen sind. Von den Gersons und Silbigers, die 1940 nach Hamburg gekommen sind, überlebte keiner den Holocaust.

Elisabeths zweite Schwester, Rosel Levy geb. Gerson, wurde mit ihrem Ehemann Ernst Josef Levy, mit dem sie erst seit einem halben Jahr verheiratet war, am 6. Dezember 1941 in das Getto Riga gebracht. Auch sie überlebten nicht.

Neben den Stolpersteinen vor dem Haus in der Rutschbahn 15, gibt es noch weitere Gedenkformen- und orte für Elisabeth und ihre Familie: In Vechta liegen vor dem ehemaligen Haus der Gersons ebenfalls Stolpersteine. In der Gedenkstätte Yad Vashem sind mehrere Gedenkblätter für Elisabeth und Hermann hinterlegt. Zudem schildert der Autor Ulrich Behne ihr Schicksal in seinem Buch "Die Viehhändlerfamilien Gerson und das Schicksal der jüdischen Gemeinde zu Vechta”.

Stand Oktober 2014

© Tom Koltermann

Quellen: Ulrich Behne: Die Viehhändlerfamilien Gerson und das Schicksal der jüdischen Gemeinde zu Vechta, Diepholz 2010; Zeitungsartikel "Der Israelit" 23.4.1936, S.14/ 2.1.1934, S.12, http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/2539987 (letzter Aufruf 28.7.2014); Jörg Paulsen: Erinnerungsbuch: ein Verzeichnis der von der nationalsozialistischen Judenverfolgung betroffen Einwohner der Stadt Oldenburg 1933–45, Bremen 2001, S.75, 140; Zeitungsartikel "Oldenburgische Volkszeitung" vom 23.4.1935 eingescannt von Ulrich Behne; . Enno Meyer: Die im Jahre 1933 in der Stadt Oldenburg i. O. ansässigen jüdischen Familien, Stalling 1971, S.18; Christoph Franke: Die Rolle der Devisenstellen bei der Enteignung der Juden. In: Katharina Stengel (Hrsg.): Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus. Frankfurt a.M. 2007, S.81; Leo Trepp: Die Oldenburger Judenschaft: Bild und Vorbild jüdischen Seins und Werdens in Deutschland, Oldenburg 1973, S.324, 340; Auskunft per Mail von Monika Liebscher von der Gedenkstätte KZ Sachsenhausen am 16.7.2014; StaHH, 314-15 Akten des Oberfinanzpräsidenten, R1940/426 Sicherungsanordnung Emanuel Gerson und R1940/425 Sicherungsanordnung; StaHH, 351-11Amt für Wiedergutmachung, 6917 Emanuel Gerson und 33988 Hermann Silbiger; StaHH, 213-1 Oberlandesgericht – Verwaltung, 1202 Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses für Ausländer; StaHH, 522-1 Jüdische Gemeinden, 992b, Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg, Kultussteuerkarte Hermann Silbiger; StaHH, 522-1 Jüdische Gemeinden, 992e2, Deportationslisten; Hamburger Adressbücher (HAB) 1939–1942; http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de873612 (letzter Aufruf 28.7.14)

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