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Bereits verlegte Stolpersteine



Walter Müller * 1911

Reeseberg 53 (Harburg, Wilstorf)


HIER WOHNTE
WALTER MÜLLER
JG. 1911
EINGEWIESEN 1924
ROTENBURGER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1941
HEILANSTALT WEILMÜNSTER
ERMORDET 14.11.1941

Walter Müller, geb. am 9.8.1911 in Harburg, eingewiesen in die Rotenburger Anstalten, verlegt in die "Landesheilanstalt Weilmünster", dort ermordet am 14.11.1941

Stadtteil Wilstorf, Reeseberg 53

Viele Bauernhöfe prägten noch das Bild Wilstorfs, als bereits die ersten mehrstöckigen Wohnhäuser in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts am Reeseberg am Ostrand des Ortes erbaut wurden. Die neuen Bewohnerinnen und Bewohner arbeiteten in der nahe gelegenen Jute-Spinnerei und Weberei, die 1883 in der Ferdinandstraße (heute: Nöldekestraße) errichtet worden war, oder in einem der zahlreichen Harburger Betriebe. Als Walter Müller 23 Jahre nach der Eingemeindung Wilstorfs und Heimfelds in die preußische Fabrikstadt Harburg geboren wurde, war die Einwohnerzahl dieses Industriestandorts auf mehr als 67000 Menschen gestiegen.

Walter Müller wurde als 13-jähriger am 2. Au­gust 1924 wegen "Idiotie" in die Rotenburger Anstalten in der benachbarten Kreisstadt a. d. Wümme eingewiesen. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich diese Einrichtung der Inneren Mission zu einem der größten Zentren im damaligen Deutschen Reich für Epileptiker sowie geistig behinderte und psychisch kranke Menschen. In dieser Zeit wurde in Kreisen der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit eine heftige Debatte über den Wert und die Würde "geisteskranker und verkrüppelter Menschen" geführt. Die Vertreter des Sozialdarwinismus beurteilten den Menschen lediglich nach seiner Nützlichkeit und seinem Wert für die Volksgemeinschaft.

Dieses sozialdarwinistische Gedankengut griffen die Nationalsozialisten auf und fügten es mit ihrem Dogma vom Primat der "arisch-nordischen Rasse" zu einem furchtbaren politischen Programm zusammen. Schon in seinem Buch "Mein Kampf" sprach sich Hitler für die präventive Vernichtung aller so genannten Leistungsschwachen aus, die nur eine Belastung des "Volksganzen" darstellen würden. Ein erster Schritt zur Umsetzung dieses Programms war die Verabschiedung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933. Insgesamt 335 Bewohnerinnen und Bewohner der Rotenburger Anstalten wurden von 1933–1945 auf Grund dieser gesetzlichen Regelung zwangssterilisiert.

Noch gravierender waren auch für die Rotenburger Patientinnen und Patienten die Auswirkungen des so genannten Euthanasie-Erlasses Adolf Hitlers kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, der die massenweise Ermordung unheilbar kranker Menschen vorsah (siehe Zeitleiste "Euthanasie"). Sie sollten in sechs speziellen Heil- und Pflegeanstalten, die mit Gaskammern ausgestattet wurden, umgebracht werden. Um den Ablauf reibungsloser zu gestalten und nach außen hin weitestgehend zu tarnen, wurden die Opfer vorher meistens in speziell dafür bestimmte Zwischenstationen in der Nähe dieser Mordstätten transportiert, in denen sie einige Tagen oder Wochen verbrachten, bevor sie ermordet wurden.

Eine dieser Durchgangsstationen war die "Landesheilanstalt Weilmünster" im Umkreis der Vernichtungsstätte Hadamar in Hessen. Unter den 70 Rotenburger Patienten, die am 30. Juli 1941 als "schwer Pflegebedürftige" bzw. "Kranke ohne Heilungsaussichten" dorthin verlegt wurden, befand sich auch der 30-jährige Walter Müller aus Harburg. In Weilmünster wurden die Betroffenen als "Durchgangskranke" behandelt und getrennt von den anderen Insassen untergebracht. Sie wurden dann allerdings in den folgenden Wochen nicht nach Hadamar weiterverlegt, weil die Tötungen durch Gas inzwischen eingestellt worden waren. Die Überlebenschancen der abgeschobenen Kranken und Behinderten verbesserten sich dadurch aber kaum, weil sie anschließend in dieser ehemaligen Auffanganstalt unter Medikamentenmissbrauch, unterlassener ärztlicher Behandlung, Lebensmittelentzug und sträflicher Vernachlässigung zu leiden hatten. Wie erbärmlich diese Lebensbedingungen waren, verdeutlicht die Tatsache, dass keiner der Rotenburger Patienten überlebte. Ein Großteil starb noch vor der Jahreswende.

Walter Müllers Leben endete am 14. November 1941. Seit 2003 erinnert ein Gedenkstein auf dem Waldfriedhof in Weilmünster an die in der Anstalt in der NS-Zeit ermordeten Menschen.

© Klaus Möller

Quellen: Archiv der Rotenburger Werke der Inneren Mission, Akten Nr. 136, 196; Rotenburger Werke (Hrsg.), Zuflucht; Wunder u. a., Kein Halten, 2. Auflage; Sander, Landesheilanstalt.

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