Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Porträt Lola Töpke
Lola Töpke
© Privatsammlung Seckel

Edith Lola Töpke (geborene Simon) * 1891

Lübecker Straße 78 a (Hamburg-Nord, Hohenfelde)

1941 Riga
HIER WOHNTE
EDITH LOLA TÖPKE
GEB. SIMON
JG. 1891
DEPORTIERT 1941
RIGA
1944 STUFFHOF
ERMORDET 3.1.1945

Siehe auch:
  • www.garten-der-frauen.de
    (Im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg befinden sich einige Grabsteine von und Erinnerungssteine für weibliche(n) Opfer(n) des Nationalsozialismus, für die in Hamburg Stolpersteine verlegt wurden.)

Edith Leonore "Lola" Caroline Töpke, geb. Simon, geb. am 4.7.1891 in Leopoldshall, 1941 deportiert in das Getto Riga, 1944 von dort in das KZ Stutthof, dort umgekommen am 3.1.1945

Lübecker Straße 78a (Lübecker Straße 82)

Edith Leonore Caroline Simon war die älteste Tochter des Juristen Georg Simon und seiner Frau Anna Marie, geborene Seckel. Georg Simon war am 7. März 1853 in Crossen/Thüringen, zur Welt gekommen, Anna Seckel am 25. Juni 1864 in Walsrode in der Lüneburger Heide. 1889 hatten sie geheiratet; zu der Zeit war Georg Simon als Amtsrichter tätig. Beide unternahmen zusammen mehrere größere Reisen, unter anderem nach Italien, Griechenland und Kleinasien sowie nach Skandinavien. Bedingt durch den Beruf des Vaters musste die Familie mehrfach umziehen. So verbrachte Lola, wie sie genannt wurde, ihre Kindheit und Jugend erst in Staßfurt bei Magdeburg, ab 1893 in Nordhausen bei Erfurt, wo ihr Vater inzwischen die Position eines Amtsgerichtsrats innehatte, und ab 1900 in Halle an der Saale. In Nordhausen wurde am 16. Juli 1895 ihre vier Jahre jüngere Schwester Helene Henriette Cäcilie Minna, genannt Ellen, geboren. Ebenfalls dort kam am 4. April 1897 noch ein Junge zur Welt. Heinrich Charles Theodor Robert Simon starb jedoch mit nur vier Monaten am 19. August.

Ende 1897 veröffentlichte Anna Simon unter dem Pseudonym Mania Korff in einem Erfurter Verlag ihren ersten Roman, "Vergebens und andere Geschichten". Darin verarbeitete sie unter anderem den Tod ihres Sohnes. Der Roman wurde ein Verkaufserfolg. In den folgenden Jahren schrieb sie weitere Bücher, die sich anfangs wie ihr Erstlingswerk um die Themen Liebe, Leid, Krankheit und Tod drehten, später auch um soziale Fragen wie das Leben von Arbeiterfrauen.

Während beide Großelternpaare der Kinder ihr Judentum aktiv lebten, war dies bei den Eltern nicht mehr der Fall. 1897 traten Anna und Georg Simon zum evangelischen Glauben über und ließen auch ihre Kinder taufen.

Lola hatte als Kind eine überbordende Fantasie und war sehr verspielt. Dadurch geriet sie in Konflikt mit dem strengen, auf Autorität ausgerichteten preußischen Schulsystem. Schließlich wurde sie vom Schulunterricht als "zu unaufmerksam" ausgeschlossen. Als sie elf Jahre alt war, brachten ihre Eltern sie im 1890 in Jena gegründeten Schulinternat für entwicklungsgeschädigte und -gestörte Kinder des Pädagogen Johannes Trüper unter. Es war zu der Zeit das erste Heilerziehungsheim in Deutschland. Dort stellten die Erzieherinnen und Erzieher Lolas große künstlerische Begabung fest, die sie in der Folge durch eine gezielte musische Erziehung förderten. Ihr Talent soll anlässlich eines Streits mit einem Familienmitglied entdeckt worden sein, bei dem sie erregt ein Stückchen Ton in der Hand hin und her knetete und am Ende feststellte, dass daraus eine Figur geworden war. Nach der mittleren Reife auf einer Schule in Neuchatel in der Schweiz, wo sie zu sportlicher Betätigung angeregt wurde und sich mit der französischen Sprache und Dichtung vertraut machte, kehrte sie 1907, mit 16 Jahren, zu ihrer Familie nach Halle an der Saale zurück. Dort war bereits am 1. Dezember 1903 ihr Vater mit nur 48 Jahren gestorben. Er hatte es beruflich bis zum Landgerichtsrat gebracht. Nach seinem Tod beendete Lolas Mutter ihre schriftstellerische Arbeit und schrieb nur noch einige kleinere Artikel für Literaturzeitschriften.

Lola Simon beschloss, in Halle weiter ihren künstlerischen Neigungen nachzugehen. An der Universität erwirkte sie mit Hilfe ihrer Mutter, die dort nach dem Tod ihres Mannes begonnen hatte, Kunstgeschichte zu studieren, eine Zulassung als Gasthörerin bei den Kunsthistorikern. Nachfolgend besuchte sie die Kunstgewerbeschule in Halle, wo sie die Bildhauerei erlernte. Die deutschen Kunstgewerbeschulen hatten sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts nur zögernd für Frauen geöffnet. Kunst sollte nicht der Berufsfindung, sondern der Geschmacksbildung für höhere Töchter dienen. Daher waren die hauptberuflich Lehrenden auch alles Männer, die darauf achteten, dass die Zahl zu unterrichtender Frauen begrenzt blieb, um genügend Studienplätze für männliche Kommilitonen bereithalten zu können. Doch gelang es der temperamentvollen Lola augenscheinlich, sich auf dem Gebiet der Kunst durchzusetzen.

1913 wurde sie Meisterschülerin von Richard Engelmann an der Weimarer Hochschule für bildende Kunst. Engelmann, vor dem Ersten Weltkrieg einer der führenden deutschen Bildhauer und Radierer, wirkte dort von 1913 bis 1933 als Professor für Bildhauerei. 1935 erteilte ihm die Reichskammer der bildenden Künste Berufsverbot, weil er Jude war. Seine Ehe mit einer nichtjüdischen Frau galt jedoch entsprechend den Kategorien der Nationalsozialisten als Mischehe, sodass er von den Deportationen ab 1941 zurückgestellt wurde und das NS-Regime in der Nähe von Freiburg im Breisgau überleben konnte.

Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 meldete sich Lola freiwillig als Hilfsschwester für das Rote Kreuz, das sie nach Ostpreußen schickte. Nach Kriegsende kehrte sie 1919 nach Weimar zurück. Im April jenes Jahres hatte der Architekt Walter Gropius dort die Kunsthochschule mit der Kunstgewerbeschule vereinigt und das Staatliche Bauhaus gegründet. Hier setzte sie ihr Studium fort. Zwischen 1916 und 1919 hielt sie sich zudem mehrmals in Hamburg auf. Dann wohnte sie stets bei ihrer Tante Agnes, geborene Seckel, verheiratete Pels, in der Heilwigstraße 37 in Eppendorf. Agnes Pels war eine der drei jüngeren Schwestern von Lolas Mutter Anna. Alle vier Seckel-Schwestern lebten in Hamburg: neben Anna und Agnes auch noch Clara (verheiratete Oettinger) und Eugenie (verheiratete Brückmann).

Am 1. Oktober 1919 heiratete Lola Simon in Hamburg den Kaufmann Heinrich "Heinz" Carl Töpke. Er war am 9. Dezember 1894 als Sohn von Hermann Töpke und Fulvia Maria, geborene Carrascoza (Carrascosa), in Quetzaltenango in Guatemala geboren worden. Sein Vater war um 1890 aus Braunschweig nach Guatemala ausgewandert und hatte in Quetzaltenango – zweitgrößte Stadt des Landes – eine Eisenwarenhandlung gegründet. Heinrich, der in Guatemala Enrique genannt wurde, hatte noch fünf Geschwister, darunter Hermann und Alice (Alicia Fulvia). Im Februar 1919 war er nach Hamburg gekommen; vorher hatte er sich in Bad Sachsa aufgehalten. In diesem heilklimatischen Kurort im Harz starb seine Mutter 1919. Wahrscheinlich war sie wegen einer schweren Erkrankung aus Guatemala in der Hoffnung auf Heilung dorthin gekommen, die sich aber als vergeblich erwies. Bald nach der Heirat mit Lola Simon kehrte Heinrich wieder nach Quetzaltenango zurück, während Lola in Deutschland blieb. Im März 1922 ließen sich beide scheiden. "Böswilliges Verlassen seinerseits" lautete der Scheidungsgrund. Lola behielt aber den Namen ihres Mannes. Da die Ehepartner sich sowohl räumlich als auch gesetzlich nach so kurzer Zeit wieder trennten, vermuten Familienmitglieder, dass es sich um eine Zweckheirat handelte, mit der Lola Töpke ihren jüdisch klingenden Geburtsnamen ablegen wollte.

Als 1925 das Bauhaus von Weimar nach Dessau verlegt wurde, ging Lola Töpke nicht mit. Stattdessen zog sie nun auch nach Hamburg, wo ihre Mutter und ihre Schwester Ellen bereits seit einigen Jahren lebten. Beide bewohnten eine geräumige Wohnung am Uhlenhorster Weg 30. Ellen hatte nach dem Abitur in Jena, Halle an der Saale, Hamburg und Marburg Rechts- und Staatswissenschaften studiert und war zum Dr. jur. et rer. pol. promoviert worden. Nun arbeitete sie als Abteilungsleiterin des Hamburger Jugendamts und Landesjugendamts. Lola besuchte in Hamburg die Kunstgewerbeschule (ab 1928 Landeskunstschule, heute Hochschule für bildende Künste) und nahm Unterricht bei dem Schweizer Bildhauer und Illustrator Johann Michael Bossard. Er war als Professor für Plastik an der Kunstgewerbeschule tätig. In der damals noch selbstständigen preußischen Stadt Wandsbek richtete sie sich zudem ein eigenes Atelier ein. Auch arbeitete sie zwei Jahre lang als freie Künstlerin in Holland und nahm Porträtaufträge an. Dazu lebte sie bei verschiedenen Familien in Deutschland, beobachtete deren Kinder im freien Spiel und fertigte dann eine Büste von ihnen an. 1927 mietete sie ein Atelier im Mittelhaus Breite Straße 14 in der damals noch eigenständigen preußischen Stadt Altona, wohnte aber weiter bei ihrer Mutter und ihrer Schwester auf der Uhlenhorst.

Die groß gewachsene Lola Töpke trug ihr dunkles Haar damals modisch kurz geschnitten als Bubikopf – ein Attribut der "neuen", emanzipierten Frau jener Zeit. Sie galt als warmherzig, temperamentvoll und großzügig, gelegentlich auch verschwenderisch. In ihrem Beruf ging sie ganz auf und genoss die Freiheiten des Künstlerlebens, die sich ihr in den 1920er-Jahren in Hamburg boten. Sicher nahm sie an den ausgelassenen und freizügigen Hamburger Künstlerfesten teil, die alljährlich im Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee stattfanden – organisiert von Professoren, Studentinnen und Studenten der Kunstgewerbe- bzw. Landeskunstschule sowie von Mitgliedern der Hamburgischen Sezession, der damals wichtigsten Künstlervereinigung der Stadt. Wohl zur Beruhigung der vielen Hamburger Bürgerinnen und Bürgern, die die Feste als zu freizügig empfanden, schrieb der Hamburger Anzeiger einmal, "dass selbst um die vierte Morgenstunde alles aufs Fleißigste tanzte, aufs Lustigste scherzte, und dennoch die so leicht im Sekt ertrinkenden Grenzen innerlicher Wohlanständigkeit immer spürbar blieben".

Jeden Donnerstagnachmittag traf sich eine kleine Künstlergruppe zum gemeinsamen Arbeiten abwechselnd in den jeweiligen Ateliers. Dazu gehörten außer Lola Töpke auch Lou Amerding, Jürgen Block, Gert Grube und Emma Gold Blau. Lolas Vorbilder waren die Bildhauer Auguste Rodin, ein wichtiger Vertreter der Moderne, und Ernst Barlach als bedeutender Vertreter des Realismus. Als Mitglied der Hamburgischen Künstlerschaft sowie als Gast der Hamburgischen Sezession stellte sie zwischen 1928 und 1932 ihre figürlichen Ton- und Gipsplastiken in der Kunsthalle sowie im Kunstverein aus. Heute befinden sich die meisten ihrer wenigen Arbeiten, überwiegend kleinformatige Keramiken, in Privatbesitz. Ausnahmen bilden die Büste des Kunstkritikers Harry Reuss-Löwenstein von 1928, die das Hamburger Staatsarchiv in dessen Nachlass verwahrt, sowie die Feinkeramik "Tänzerin" von 1928/29 im Bestand des Kieler Stadtmuseums – Warleberger Hof.

Neben ihrer bildhauerischen Arbeit war Lola Töpke auch pädagogisch tätig. Eine ihrer Schülerinnen war Hertha Borchert, die Mutter Wolfgang Borcherts ("Draußen vor der Tür"). Sie lebte zusammen mit ihrem Mann, dem Volksschullehrer Fritz Borchert, in Hamburg-Eppendorf. Lola versuchte sie mit Tonarbeiten an ein plastisches Verständnis heranzuführen. Dies gelang auch zunächst: Hertha Borchert schaffte sich einen Bildhauer- und Töpferbock an und arbeitete bis spät in die Nacht hinein in ihrer Küche an Plastiken. Auf die Dauer erschien ihr das dann aber doch zu mühevoll. Sie wandte sich der Schriftstellerei zu und wurde eine bedeutende plattdeutsche Autorin. Zu der Zeit, als Lola Töpke Hertha Borchert unterrichtete, war Wolfgang Borchert noch ein Kind.

1930 zogen Lola und ihre Schwester Ellen zusammen mit ihrer Mutter Anna vom Uhlenhorster Weg in eine etwas kleinere Wohnung im dritten Stock des Hauses Beim Andreasbrunnen8 in Eppendorf. Wenig später gab Lola ihr Atelier in Altona auf. Am 14.April 1931 starb Anna Simon mit 76 Jahren. Sie wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beerdigt.

Bereits kurz nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 vollzog die Hamburgische Künstlerschaft am 25. April 1933 ihre Gleichschaltung. Sie schloss ihre jüdischen Mitglieder aus, darunter auch Lola Töpke. Die Hamburgische Sezession dagegen löste sich selbst auf, weil sie jüdische Künstlerinnen und Künstler nicht ausschließen wollte. Dass Lola evangelisch getauft war, spielte für das NS-Regime keine Rolle. Da sie mindestens drei jüdische Großeltern hatte, galt auch sie (nach den Nürnberger Gesetzen von 1935) als jüdisch. 1937 musste sie zudem die Reichskammer der bildenden Künste verlassen. Diese war am 1. November 1933 als eine Abteilung der Reichskulturkammer gegründet worden, der alle deutschen Künstlerinnen und Künstler angehören mussten. Sie verstand sich als Standes- und Berufsvertretung ihrer Mitglieder und sollte alle fördern, die ihre Werke im Sinne der Nationalsozialisten gestalteten. Umgekehrt wurden politisch Missliebige sowie Jüdinnen und Juden ausgeschlossen. Lola Töpke hatte ab 1937 faktisch Berufsverbot, denn eine Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste war Bedingung, um im nationalsozialistischen Deutschland überhaupt künstlerisch arbeiten und öffentlich ausstellen zu dürfen. Aus Protest gegen den Rassismus der NS-Machthaber fertigte Lola eine Büste von einem schwarzen Matrosen an, den sie im Hamburger Hafen kennengelernt hatte und der ihr in ihrem Atelier Modell stand. Deshalb denunzierte sie ein Nachbar, der der SS angehörte.

Lolas Schwester Ellen war SPD-Mitglied und wurde unmittelbar nach Beginn der NS-Herrschaft deshalb verfolgt. Bereits Anfang September 1933 emigrierte sie in die Schweiz.

Lola suchte sich nach ihrer Denunziation eine neue Wohnung und lebte spätestens seit 1934 im fünften Stock des Hauses Lübecker Straße 82 (heute Lübecker Straße 78a).

Nach ihrem Ausschluss aus der Kulturkammer konnte Lola Töpke ihren Lebensunterhalt eine Zeit lang noch bei einem Steinmetz verdienen. Außerdem unterstützten sie viele Freundinnen, Freunde und Bekannte, indem sie von ihr Skulpturen kauften oder sie in der Vorweihnachtszeit zum Basteln und Töpfern mit ihren Kindern einluden. Auch ihre Schwester half ihr so gut es ging, indem sie ihr aus dem Ausland monatlich einen kleinen Geldbetrag zukommen ließ. 1938 war Ellen aus der Schweiz, wo sie an einer Klinik und an einer Schwesternschule gearbeitet hatte, nach Frankreich gezogen und noch im selben Jahr weiter nach England. In London arbeitete sie für die Presbyterianer, eine reformierte Kirche, die sich vom Calvinismus ableitet. Ellen bot ihrer Schwester auch an, zu ihr nach England zu kommen. Doch das wollte Lola nicht, die an das Gute im Menschen glaubte und die Nationalsozialisten vollkommen unterschätzte. Vielleicht fürchtete sie sich auch vor einem Neubeginn in einer für sie unbekannten Umgebung, zumal sie als mittlerweile über Vierzigjährige im Ausland nur schwer eine Stelle hätte bekommen können. So blieb sie in Deutschland, wo sie durch die zunehmende Zahl antijüdischer Verordnungen jedoch immer stärker aus dem öffentlichen Leben gedrängt wurde. Auch verschlechterte sich ihre finanzielle Situation zunehmend. Anfang der 1940er-Jahre litt sie außerdem unter gesundheitlichen Problemen. Trotz allem versuchte sie, den Kontakt zu ihren alten Bekannten aufrechtzuerhalten und am großstädtischen Leben teilzuhaben.

Als Ende Oktober 1941 die Deportationen reichsdeutscher Jüdinnen und Juden aus Hamburg begannen, gehörte Lola Töpke zu denen, die einen Deportationsbefehl erhielten. Am 6. Dezember 1941 sollte sie in den Osten zum Arbeitseinsatz "umgesiedelt" werden und deshalb Winterbekleidung und einen Spaten mitbringen. Lola Töpke machte sich keine großen Gedanken und glaubte weiterhin an nichts Schlechtes. So verabschiedete sie sich von ihren verbliebenen Freundinnen und Freunden, wobei sie noch mit einer Bekannten erörtert haben soll, ob es wohl ratsam sei, wegen des nahenden Weihnachtsfests Tannenbaumschmuck einzupacken. Das Schreiben der Gestapo enthielt auch den Befehl, sich am Tag vor der "Umsiedlung" im Logenhaus an der Moorweidenstraße einzufinden. Dorthin begleitete ihre Freundin Alexandra Burchardi sie noch. Am 6. Dezember 1941 wurden 753 Hamburger Jüdinnen und Juden mit Lkws vom Logenhaus zum Bahnhof Sternschanze gebracht, von wo der Transport in den "Osten" abging, das hieß in diesem Fall nach Riga. Wie unerschütterlich Lola Töpke war, zeigt eine von ihr geschriebenen Postkarte, die sie aus dem Zug nach Riga warf. Darauf stand der Satz: "Der Roman Lola geht weiter!" Aus heutiger Sicht erscheint ein solches Verhalten recht naiv. Aber wussten die ersten Deportierten wirklich, welches Schicksal sie erwartete bzw. konnten sie sich vorstellen, zu welcher Barbarei die Nazis fähig waren?

Um für die Neuankömmlinge im Rigaer Getto, die mit 20 Transporten zwischen November 1941 und Februar 1942 eintrafen, "Platz zu schaffen", ermordete die lettische SS unter Aufsicht der deutschen SS in zwei Erschießungsaktionen 27500 überwiegend lettische Gettobewohnerinnen und -bewohner. Als der Hamburger Transport, zu dem Lola Töpke gehörte, am 8. Dezember 1941 Riga fast erreicht hatte, lief die zweite Mordaktion noch. Die Hamburger Jüdinnen und Juden wurden deshalb zum nahe gelegenen Gut Jungfernhof gebracht. Lola Töpke entging dort den Erschießungen im Rahmen der "Aktion Dünamünde" im März 1942, da sie noch kräftig genug war, um arbeitsfähig zu sein. Im Frühjahr 1943 wurde sie mit anderen Überlebenden in das Getto Riga eingewiesen. Ab Sommer 1944, als die Rote Armee weiter Richtung Westen vorrückte, wurden die Getto-Häftlinge in das KZ Stutthof bei Danzig gebracht, wo sie ebenfalls Zwangsarbeit leisten mussten. Zu ihnen gehörte die mittlerweile 53-jährige Lola Töpke. Sie überlebte die entsetzlichen hygienischen Zustände, die Typhus- und Fleckfieberepidemien, die völlig unzureichende Ernährung und die Misshandlungen noch drei Monate. Am 3. Januar 1945 starb Lola Töpke völlig entkräftet im KZ Stutthof.

Ihre Schwester Ellen kehrte drei Jahre nach Kriegsende, im Juni 1948, aus England nach Deutschland zurück. In Frankfurt am Main arbeitete sie zunächst als Sozialreferentin beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge. Von 1955 bis zu ihrer Pensionierung 1963 leitete sie in Berlin das Pestalozzi-Fröbel-Haus, in dem bereits seit 1874 Erzieherinnen ausgebildet wurden und das damit eine wichtige Rolle bei der Entstehung sozialer Frauenberufe gespielt hatte. Auch betreute sie in Berlin ihren gehbehinderten Onkel Ernst Seckel, den jüngeren Bruder ihrer Mutter, und dessen zweite Frau Erna. Beide hatten das KZ There-sienstadt überlebt. Ellen Simon starb am 13. Juli 1982 mit 86 Jahren in Berlin.

Lola Töpkes Grabstein, auf dem auch die Namen ihrer Mutter Anna Marie Simon, ihrer Schwester Ellen Simon und ihrer Cousine Lena Brückmann stehen, befindet sich im "Garten der Frauen" auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf. In diesen vom Verein Garten der Frauen initiierten, finanzierten und getragenen Gedenkort lässt der Verein Grabsteine bedeutender Hamburgerinnen nach Auflösung ihrer Grabstellen verlegen und bewahrt sie so vor der Zerstörung. Außerdem können sich heute die weiblichen Mitglieder des Vereins in diesem Areal des Friedhofs bestatten lassen. Damit tragen diese Frauen als Mäzeninnen zum Erhalt der historischen Grabsteine bei.

Auf dem historischen Grabstein für Anna Simon und ihre Töchter steht zudem der Name von Lolas und Ellens Cousine Lena Brückmann. Deren Mutter Eugenie Brückmann war eine von Anna Simons Schwestern. Sie hatte sich am 14. Juli 1942 in Hamburg selbst getötet, einen Tag vor ihrer Deportation nach Theresienstadt. Für sie liegt ein Stolperstein in der Goernestraße 8 in Eppendorf (s. www.stolpersteine-hamburg.de).

Anna Simons Schwester Clara kam am 13. März 1945 im KZ Bergen-Belsen ums Leben. Für sie liegt ein Stolperstein in der Isestraße 113 (s. "Stolpersteine in der Hamburger Isestraße" und www.stolpersteine-hamburg.de).

Agnes Pels überlebte Theresienstadt und starb 1966 hochbetagt in Amsterdam.

Stand: Mai 2016
© Dr. Stephan Heinemann aus dem Band "Rita Bake: Der Garten der Frauen. Ein Ort der Erinnerung mit historischen Grabsteinen von Gräbern bedeutender Frauen und eine letzte Ruhestätte für Frauen. Hamburg 2013" mit Ergänzungen von Frauke Steinhäuser

Quellen: 4; 5; 6; 8; 9; StaH 332-5, 8730 u. 520/1919; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 17568; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992 e Band 3, Transport nach Riga am 06. Dezember 19041, Listen 1 und 2; Maschinengeschriebenes Manuskript von Dr. Ellen Simon zur Biografie ihrer Schwester Lola Töpke [Original im Besitz von Dr. Herbert Gartmann, München]; Interviews mit Frau Mossdorf und Frau v. F. aus Hamburg vom September 2006; Apel, In den Tod geschickt, S. 105; Meyer, Verfolgung und Ermordung, S. 64–67; Rita Bake, Der Garten der Frauen. Ein Ort der Erinnerung mit historischen Grabsteinen von Gräbern bedeutender Frauen und eine letzte Ruhestätte für Frauen, Hamburg, 2013; Maike Bruhns, Kunst in der Krise, 2 Bde., Hamburg, 2001. Bd. 1: Hamburger Kunst im "Dritten Reich", Bd. 2: Künstlerlexikon Hamburg 1933–1945. Verfemt, verfolgt – verschollen, vergessen, hier S. 389 f.; dies., Jüdische Künstler im Nationalsozialismus, in: Ulrich Bauche (Hrsg.), Vierhundert Jahre Juden in Hamburg. E. Ausst. d. Museums f. Hamburgische Geschichte vom 8.11.1991 bis 29.3. 1992, Die Geschichte der Juden in Hamburg 1590–1990, Bd. 1, Hamburg, 1991, S. 345–360; Stephan Heinemann, Lola Töpke, in: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.), Hamburgische Biografie. Personenlexikon, Bd. 5, S. 368f.; Claus B. Schröder, Wolfgang Borchert. Biografie, Hamburg, 1985, S. 45f.; Friederike Weimar, Die Hamburgische Sezession 1919–1933. Geschichte und Künstlerlexikon, Fischerhude, 2003; Ulrike Wolff-Thomsen, Lexikon schleswig-holsteinischer Künstlerinnen, hrsg. vom Städtischen Museum Flensburg, Heide, 1994, S. 320f.; Franz Termer, Beobachtungen im Bereich des Staukegels Santiago des Vulkans Santa Maria in Guatemala, in: Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Geowissenschaften, Bd. 91 (1939), S. 766–769; Christiane Berth, Kaffee als politisches Druckmittel? Der schwierige Wiederaufbau der Handelsnetzwerke zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Guatemala in den 1950er-Jahren, in: dies. u.a. (Hrsg.), Kaffeewelten. Historische Perspektiven auf eine globale Ware im 20. Jahrhundert, Göttingen, 2015, S. 153–178, hier S. 165–167; dies., Biografien und Netzwerke im Kaffeehandel zwischen Deutschland und Zentralameri-ka 1920–1959, Hamburger Historische Forschungen, Bd. 6, Hamburg, 2014, PDF-Download von: http://hup.sub.uni-hamburg.de/purl/HamburgUP_HHF6_Berth (letzter Zugriff 12.7.2015); Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Hamburger Adressbücher, online auf: http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start (letzter Zugriff 5.5.2015); Stephan Heinemann, Ellen Simon, in: Landeszentrale für politische Bildung Hamburg (Hrsg.), Hamburger Frauenbiografien-Datenbank, online auf: www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3147&qN=simon (letzter Zugriff 5.7.2015); Stephan Heinemann, Anna Marie Simon, in: Landeszentrale für politische Bildung Hamburg (Hrsg.), Hamburger Frauenbiografien-Datenbank, online auf: http://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3130&qN=simon (letzter Zugriff 5.7.2015); Silke Opitz, Leben und Werk des Bildhauers Richard Engelmann, online auf: www.uni-protokolle.de/nachrichten/text/79875 (letzter Zugriff 12.7.2015); Seite "Bauhaus-Universität Weimar", in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Bearbeitungsstand 8. Juni 2015, 03:06 UTC, URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Bauhaus-Universit%C3%A4t_Weimar&oldid=142891192 (letzter Zugriff 12.7.2015); Seite "Johannes Trüper", in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Bearbeitungsstand 26. Mai 2015, 21:51 UTC, URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Johannes_Tr%C3%BCper&oldid=142518982 (letzter Zugriff 12.7.2015); Seite "Franz Termer", in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Bearbeitungsstand 3. Mai 2015, 08:55 UTC, URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Franz_Termer&oldid=141717458 (letzter Zugriff 12. Juli 2015); Lola Töpke, Feinkeramik "Tänzerin", Kieler Stadtmuseum – Warleberger Hof, online auf: http://museen-sh.de/Objekt/DE-MUS-075910/lido/46-1992 (letzter Zugriff 5.5.2015); Geschichte der Bauhaus-Universität Weimar, online auf: www.uni-weimar.de/de/universitaet/profil/portrait/geschichte (letzter Zugriff 1.7.2015); Bauhaus Weimar, Ideen und Orte, online auf: http://bauhaus-online.de/atlas/das-bauhaus/idee/bauhaus-weimar (letzter Zugriff 1.7.2015); Regina Wagner, Historia del café de Guatemala, Bogota, 2001, o. S.; Maquinaria Topke, Quienes Somos, online auf: www.topke.com; Geschichte und Archiv des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, online auf: www.pfh-berlin.de/pestalozzi-froebel-haus/geschichte (letzter Zugriff 5.5.2015); Fotografien der Büsten Lola Toepkes (Kind, Afrikaner) von Dr. Herbert Gartmann, München, mit herzlichem Dank.

druckansicht  / Seitenanfang