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Bescheinigung für Wilhelmina Rosenstern
© US Holocaust Memorial Museum, Washington

Richard Rosenstern * 1886

Eppendorfer Baum 39 (Hamburg-Nord, Hoheluft-Ost)

1941 Lodz
ermordet

Richard Rosenstern, geb. 21.11.1886 in Hannover, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert,
Anfang Mai 1942 nach Chelmno weiterdeportiert und dort ermordet

Eppendorfer Baum 39

Richard Rosensterns Eltern waren der Pferdehändler Siegmund Rosenstern und dessen Gattin Therese, geborene Reinhardt. Richard besuchte das Goethegymnasium in Hannover bis zur dritten Klasse (Quarta), ging dann zur Realschule und schloss mit der Mittleren Reife ab. In Dortmund durchlief er eine Lehre als Kaufmann. Er wurde Verkäufer und Reisevertreter bei verschiedenen Firmen an wechselnden Orten, unter anderem in Hannover und Köln. Im Ers - ten Weltkrieg war er als Landsturmmann im Infanterieregiment 76 in Hamburg stationiert, wo er sich dann auch niederließ.

Richard hatte einen älteren Bruder, Ludwig Rosenstern, geboren am 18.9.1882 ebenfalls in Hannover. Ludwig wurde promovierter Jurist und führte zwischen 1913 und 1915 gemeinsam mit dem Kollegen Dr. Heinrich Müller in Hannover eine angesehene Kanzlei. Im Weltkrieg aus dem Beruf gerissen und zur Armee gezogen, fiel er in den Kämpfen im Elsass am 27.5.1915 in Sondernach bei Colmar.Die berufliche und persönliche Entwicklung Rosensterns lief alles andere als glatt. Wegen Be - truges, Unterschlagung und anderer Delikte wurde er zwischen 1909 und 1931 wiederholt zu Gefängnisstrafen zwischen einigen Wochen und zwei Jahren verurteilt. Seine Ehe mit Margarethe, geborene Oestreicher (geb. 1894), zerbrach und wurde geschieden. Als Rosenstern 1933 wieder einmal aus dem Gefängnis kam, hatte er sich entschieden, sein Leben völlig zu ändern. Er gab den Beruf des Reisenden auf und ließ sich zum Krankenpfleger ausbilden.

Diese Tätigkeit war ihm nur wenige Jahre vergönnt: Mit ihren rassistischen Verordnungen unter sagten die Nationalsozialisten 1939 dem Juden Rosenstern die Pflege von "Ariern". Er war jetzt 53 Jahre alt. Zunächst brachte er sich mit Hilfsarbeiten im Tiefbau durch, verdiente aber so wenig, dass er von der Kultussteuer an die Jüdische Gemeinde befreit war. 1940 hatte er das Glück, eine feste Anstellung als Gartenarbeiter bei der Gärtnerei Sundermann in Hamburg-Niendorf zu finden. Sein Arbeitsplatz war in der Badeanstalt am Kaiser-Friedrich-Ufer. Er verdiente nun 30 RM netto pro Woche, kaum genug für ein kärgliches Leben. Richard Rosenstern war seinem Vorsatz treu geblieben und hatte sich seit nun neun Jahren nichts mehr zuschulden kommen lassen. Auf keinen Fall wollte er seine Arbeit wieder verlieren. Da wurde er am 29. Mai 1941 plötzlich verhaftet und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert. Der Vorwurf lautete: Illegaler Handel. Das gesamte Verfahren gegen ihn war so grotesk. Nach einem anonymen Hinweis an die Gestapo hatte Kriminal- und Staatspolizei die Wohnung der Jüdin Berta Strauß in der Werderstraße 65 II durchsucht, dabei angeblich Verdächtiges gefunden und beschlagnahmt: Eine Dreiviertelliter-Flasche Öl, das sich später als Paraffinöl herausstellte, 1 Pfund Rohkaffee, 3 Pfund Linsen, 1 Pfund Zwiebeln. Woher stamm - ten diese Sachen?

Berta Strauß gestand, das Öl von Richard Rosenstern, Eppendorfer Baum 39 III, bei Strelitz, für 10 RM gekauft zu haben, den Kaffee von Markus Braunschweiger (s. dort), ebenfalls einem Juden (siehe dort). Rosenstern gestand. Er hatte die Flasche von einem Adolf Israel Wolf gekauft, dieser von seiner Nichte Johanna, diese hatte sie von wieder einem anderen und so weiter. Schließlich saßen acht Personen auf der Anklagebank des Landgerichts Hamburg. Mit dem Weiterverkauf der Flasche bei Preisaufschlag hatten sie sich allesamt des unerlaubten Kettenhandels schuldig gemacht. Das Urteil vom 16. September 1941 lautete für Rosenstern auf drei Wochen Gefängnis. Mit diesem Strafmaß musste Rosenstern um seinen Arbeitsplatz fürchten. In einem Brief an das Amtsgericht bat er "ganz ergebenst", wenigstens sein Vorstrafenregister nicht publik zu machen, "denn ich habe mit meinem früheren Leben abgeschlossen".
Rosenstern, unterdessen aus dem Polizeigefängnis entlassen, sollte die Haft bis zum 28. Ok - tober antreten. Dazu kam es nicht mehr. Am 25. Oktober 1941 wurde er nach Lodz deportiert.

Aus einem Brief, den er am 16. April 1942 an die Gettoleitung schrieb, geht hervor, dass er
schwer erkrankt war und das Bett nicht verlassen konnte. Er litt an Furunkulose. Ende April
oder Anfang Mai muss er den "Aussiedelungsbescheid" bekommen haben. In einem undatierten
Brief bat er die Ausweisungskommission, ihn in Lodz bleiben zu lassen. Er habe doch "fünf Monate in meinem Beruf als Krankenpfleger aufopfernd und ehrenamtlich" für die Mitglieder des Hamburger Transportes gearbeitet. Der Antrag wurde abgelehnt.

Zwischen dem 6. und 15. Mai wurde Richard Rosenstern nach Chelmno gebracht und
ermordet. Er war 55 Jahre alt geworden.

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Am 16.4.1942 bescheinigt Richard Rosenstern der – ebenfalls aus Hamburg deportierten und in der Rubenstraße 2, Wohnung 8, einquartierten – Wilhelmina Fischer, die wahrscheinlich den "Aussiedlungsbescheid" aus Lodz erhalten hatte,
"dass dieselbe mir während meiner
Krankheit durch die ich ans Bett
gefesselt bin, in aufopfernder
Weise mir mit jeder nur
erdenklichen Hilfe zur Seite
gestanden hat.
Dieselbe hat sich in erstaunlicher
Weise in das ihr an sich fremde
Metier eingearbeitet und ich bin
überzeugt dass Frau Fischer für
den Sanitätsdienst unbedingt ge-
eignet ist."

In der Unterschrift weist Rosenstern auf seinen Beruf als Krankenpfleger hin. Auch Wilhelmina
Fischer wurde ermordet.
Quelle: USHMM Abb. s.o.

© Johannes Grossmann

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992e2 Band 1; StaH 213-11, Staatsanwaltschaft Landgericht-Strafsachen, 6463/42; StaH 332-8 Meldewesen, A 51 (Richard Rosenstern); StA Hannover, Geburtsurkunde Ludwig Rosenstern, I 59-3174/1882; StA Hannover, Sterbeurkunde Ludwig Rosenstern, I 948-3197/1915;Archiwum Panstwowe, Lodz (Getto-Archiv), Melderegister, PL-39-278-1011-19046.tif und 19047.tif; USHMM, RG 15083,M 300/526, 531-532, Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail vom 12.6.2010.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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